philoSCIENCE Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/category/artikel-kategorien/philo-science/ Magazin für praktische Philosophie Fri, 15 Dec 2023 10:51:06 +0000 de-DE hourly 1 Der wunderbare Weihnachtswahnsinn von 1914 https://www.abenteuer-philosophie.com/der-wunderbare-weihnachtswahnsinn-von-1914/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=der-wunderbare-weihnachtswahnsinn-von-1914 https://www.abenteuer-philosophie.com/der-wunderbare-weihnachtswahnsinn-von-1914/#respond Thu, 15 Dec 2022 15:54:47 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6067 Magazin Abenteuer Philosophie

An Weihnachten 1914 war der Erste Weltkrieg noch lange nicht zu Ende. Trotzdem kam es an der Westfront zu einem spontanen Weihnachtsfrieden und einer menschlichen Begegnung über alle Schützengräben hinweg.

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An Weihnachten 1914 war der Erste Weltkrieg noch lange nicht zu Ende. Trotzdem kam es an der Westfront zu einem spontanen Weihnachtsfrieden und einer menschlichen Begegnung über alle Schützengräben hinweg.

 

I

hr werdet wieder zu Hause sein, ehe noch das Laub von den Bäumen fällt“, versprach der deutsche Kaiser im Sommer 1914 den Soldaten, die begeistert in dieses Abenteuer, Krieg genannt, zogen. Alle wollten sie mitmachen, nur weg von der Uni, der Schule, weg aus Ausbildung und Familie. Wer zu jung war, schwindelte ein bisschen; wer zu alt oder unabkömmlich war, drosch martialische Phrasen. Seit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 war Frieden gewesen, viel zu lange, jetzt endlich wurde das Leben wieder interessant.

Die Euphorie hielt nicht lange an; man hatte sich das Heldentum anders vorgestellt. Auch der Heldentod war als Idee viel romantischer gewesen: ein Blick zum Himmel, ein letzter Gedanke an das Vaterland und an die Lieben daheim, und dann „gefallen auf dem Feld der Ehre“… Und so sah das „Feld der Ehre“ zu Weihnachten 1914 an der Westfront aus: Von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze lagen sich Briten, Belgier und Franzosen auf der einen Seite und Deutsche auf der anderen Seite in Schützengräben gegenüber. Man hatte sich festgefressen, beschoss einander, ertrug die Schreie der Verwundeten und der im Niemandsland zwischen den Fronten Sterbenden, machte ein paar Meter Bodengewinn, verlor ihn wieder. Zwischen den Granattrichtern ragten nur noch Baumstümpfe hervor. Nach wochenlangem Regen, der wegen des lehmigen Bodens nicht versickern konnte, stand das Land unter Wasser, in den Schützengräben ertranken die Verwundeten. Schlamm, Nässe, Kälte, Ratten waren die eigentlichen Feinde der Soldaten, hüben wie drüben. Und der Gestank, der Gestank der verwesenden Leichen und des Angstschweißes der Männer. Der Krieg stinkt, er stinkt zum Himmel.

Dann kam Weihnachten. Man merkte es an den Päckchen von zu Hause und an den faltbaren Weihnachtsbäumchen, die die deutsche Heeresleitung zur Hebung der Moral schickte. Wahrscheinlich gab es auch eine doppelte Portion Schnaps. Den Plumpudding, den die Briten erhielten, konnten sie jedenfalls mit Rum oder Whiskey flambieren, wie es sich gehört. Pünktlich zu Weihnachten gab es auch ein Geschenk an alle Seiten von „ganz oben“. Der Regen hörte auf, die Temperatur sank, leichter Frost und etwas Raureif überzogen das Land, der Boden wurde hart.  Was ich im Folgenden erzähle, geschah in der einen oder anderen Form auf der ganzen Länge der Westfront und war mitnichten der einmalige Zwischenfall, als der er später dargestellt wurde. Was man auch im Hinterkopf behalten muss: Fast immer ging die Initiative von den deutschen Soldaten aus, vor allem von den bayerischen und sächsischen Regimentern, und am „innigsten“ waren die Beziehungen zu den britischen Gegnern.

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen guten Willens (Lukas 2.14)

Ach, Gott! Der „Lenker der Schlachten“, wie er jetzt genannt wurde, war für Frieden auf Erden gerade nicht zuständig. Das mussten die Menschen guten Willens alleine bewerkstelligen: Ganz unerwartet erschienen am 24. Dezember auf der Brüstung eines Schützengrabens brennende Kerzen und ein paar jener großmütig gespendeten faltbaren Weihnachtsbäumchen. („Aufgepasst! Das kann eine neue Finte des Feindes sein.“) Dann erklang „Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft …“. Geschlafen hat man nicht auf der anderen Seite, man hat zugehört, immer noch bereit, sofort zu schießen. Doch diese Deutschen haben immer noch gesungen, mehrere Strophen. (Zwischenfrage: Wer kennt heute noch Weihnachtslieder auswendig, und gleich mehrere Strophen?) Plötzlich war Weihnachten nicht mehr nur ein Datum im Kalender, plötzlich war es das Fest, das man zusammen mit der Familie gefeiert hatte, zu Hause, als noch kein Krieg war. Und aus dem britischen Schützengraben antwortete es „Silent Night, Holy Night, all is calm …“ Ja, alles war calm, ruhig, denn niemand dachte ans Schießen, auch nicht, als sich über dem deutschen Schützengraben eine Pickelhaube erhob, und sich darunter ein Gesicht zeigte, und der Mund rief: „Merry Christmas!“ Anderswo hieß es „Joyeux Noel!“, aber dass es immer „Frohe Weihnachten!“ hieß, das verstand man. Es kam zu regelrechten Sängerwettstreiten „O come, all ye faithful, joyful and triumphant …“ von der britischen Seite. Die Deutschen fielen auf dieselbe Melodie ein mit „Herbei, o ihr Gläub’gen …“, und bei den Lateinern klang es „Adeste fideles …“ Ein Wahnsinn, ein Weihnachtswahnsinn. Und das war erst der Anfang.

„Können wir uns treffen? Wir sollten die Toten begraben. Können wir rüberkommen?“ „Nein!“ „Kommt ihr zu uns?“ „Nein!“ „Können wir uns in der Mitte treffen?“ „Ja.“ Von jeder Seite kam eine kleine Abordnung, die Hände erhoben zum Zeichen, dass man unbewaffnet war, misstrauisch beäugt von den schießbereiten Kameraden. Zuerst rauchte man, Rauchen beruhigt. Dann wurde ausgemacht, wie und wann man die Toten, die teilweise schon lange in diesem Niemandsland lagen, begraben wollte. Jeder half. Wenn es einen Pfarrer oder Priester gab, egal welcher Glaubensrichtung, sprach der ein Gebet: „Vater unser“ ,„Our Father“ ,„Notre Père“. Danach wurde der Lebenden gedacht. Es wurde gefeiert, geraucht, getrunken, gelacht. Man tauschte englischen Plumpudding gegen deutsche Hartwurst und als Souvenirs Adressen und Uniformknöpfe. Die Soldaten zeigten einander Fotos: „Das ist meine Familie, mein neugeborener Sohn, mein Haus … Und morgen spielen wir Fußball!“ Unmöglich, nicht Fußball zu spielen, wenn Engländer und Sachsen zusammenkommen. In England wurde das Spiel erfunden, in Leipzig wurde 1900 der Deutsche Fußball-Bund gegründet. „Der Boden ist voller Granattrichter.“ „Wir dribbeln darum herum.“ „Wir haben keinen Fußball.“ „Eine Blechbüchse tut es auch.“ Im Jahr 2008 setzte die UEFA, die Union der Europäischen Fußballverbände, dem Weihnachtsfußball von 1914 ein Denkmal.

Der Weihnachtsfrieden von 1914 war angesichts der vorausgehenden Gräuelpropaganda auf allen Seiten so unwahrscheinlich, dass man froh ist, ihn durch Fotos belegen zu können. Es gibt zahlreiche Fotos, und damit meine ich nicht die der offiziellen Kriegsberichterstatter, deren Aufgabe es ja war, die Kriegsmoral hochzuhalten. Auf englischer Seite hatte ein Soldat mit Namen Turner eine Kamera dabei, von ihm stammen die meisten Fotos. Private Aufzeichnungen waren auf allen Seiten verboten und Briefe wurden zensiert, trotzdem gelangte die Nachricht vom Weihnachtsfrieden, den alle Beteiligten ja selbst als ein Wunder erlebt hatten, durch Briefe in die Heimat. In England wurden sie relativ häufig in Zeitungen abgedruckt, auch wenn der Tenor dahin ging: Wir Engländer sind eben Gentlemen … In Deutschland erschien die Geschichte der „Schützengrabenanbiederei“, wie es verächtlich hieß, selten, und in Frankreich nie. Was nicht sein durfte, war auch nie geschehen.

So sahen das auch die Generäle aller kriegführenden Länder, denen diese empörende Nachricht erst nach ihrem opulenten Weihnachtsfestessen zu Ohren kam, sonst wäre ihnen der Bissen wohl im Hals stecken geblieben. Sie reisten an die Front, um nach dem Rechten zu sehen. Zeit genug für die Soldaten, ihren Gegnern zu versichern, sie würden über die Köpfe schießen, wenn sie denn schießen müssten, und sie, die Gegner, möchten es bitte genauso halten. So geschah es. Es ist schwer, einem Soldaten nachzuweisen, dass er absichtlich danebengeschossen hat. Die Offiziere an der Front, die entweder selbst mitgemacht oder der Verbrüderung tatenlos zugesehen hatten, wurden gerüffelt, den Soldaten wurde mit dem Kriegsgericht gedroht, aber bis es dazu kam, waren viele der Friedenshelden von 1914 schon tot. Selbstverständlich wurden Vorkehrungen getroffen, dass sich solche Unbotmäßigkeiten nicht wiederholten.

Pazifismus kommt vom lateinischen „pacem facere“, Frieden machen

Alle Beteiligten wussten, dass der Weihnachtsfrieden nur eine kurze Verschnaufpause war, dass es danach wieder weitergehen würde mit dem Schießen und dem Sterben. Wieder war das Wetter der Vorbote. Am 27. Dezember stieg die Temperatur, es regnete, die Soldaten nutzten die Zeit, die Schützengräben auf Vordermann zu bringen. Trotzdem trafen sich die englischen und die sächsischen Soldaten noch einige Tage zur Tea Time, um ein Glas wärmenden Tees miteinander zu trinken. Sachsen an Engländer: „Gentlemen, unser Oberst hat befohlen, ab Mitternacht das Feuer wieder aufzunehmen. Es ist uns eine Ehre, Sie darüber zu informieren.“ Zwischen dem französischen 99. Infanterieregiment und dem 20. Bayerischen Reserveregiment herrschte noch bis zum 14. Januar 1915 Waffenstillstand, obwohl die Bayern von den eigenen Leuten, den Preußen, beschossen wurden. John William Anderson, Kommandant einer anderen bayerischen Einheit, überbrachte in Belgien den Gegnern persönlich eine wertvolle Monstranz, die er in einem Kohlenkeller gefunden hatte.

Pazifisten sind Außenseiter und die Narren der Nation(en). Sie gelten bestenfalls als Träumer, meistens als Feiglinge. Dabei sind sie es, die erkannt haben, dass der Frieden nicht vom Himmel fällt, sondern dass man ihn „machen“ muss – und die notfalls bereit sind, den Kopf dafür hinzuhalten. Denn nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem man sich zu bewähren habe, sagte Bundespräsident Gustav Heinemann bei seinem Amtsantritt 1969, sondern der Frieden. Wir wissen heute, dass im Ersten Weltkrieg, der später der Große Krieg genannt wurde und der als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts gilt, zum ersten Mal Giftgas, Panzer und Flugzeuge eingesetzt wurden, und dass der Irrsinn noch bis 1918 dauerte, nachzulesen in dem unübertroffenen Anti-Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque.  Warum nur konnte aus dem kleinen Frieden kein großer werden?

Aus einem Feldpostbrief: „Es war alles nur menschlich. Es war Weihnachten.“

Aubet Gassner

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Humor und Optimismus https://www.abenteuer-philosophie.com/humor-und-optimismus/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=humor-und-optimismus https://www.abenteuer-philosophie.com/humor-und-optimismus/#respond Wed, 29 Jun 2022 23:03:29 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=5565 Magazin Abenteuer Philosophie

Wie wir uns das Leben leichter lachen
Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

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Wie wir uns das Leben leichter lachen

Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

Wie schreibt man einen Artikel über Humor? Muss dieser nicht vor Witz und Weisheit sprühen? Und ich hadere: Warum habe gerade ich mich für diesen Artikel – freiwillig – gemeldet? Ein Clown hat mir einmal erklärt: „Will jemand besonders witzig sein, wirkt das immer furchtbar peinlich!“
Ein anderer Rat, der mir in diesem Moment einfällt: „Nimm dir vor, dich mindestens einmal am Tag so richtig zu blamieren.“ Ist aber ein Artikel der richtige Ort für solch eine Blamage? Aber jetzt verstehe ich die zweite Botschaft des oben erwähnten Clowns besser: „Wahre Komik entsteht erst aus Todesangst …“ Ich sitze also erstarrt wie eine Maus vor der Schlange angesichts der leeren Bildschirmseite meines Computers.

Ein Experiment

Jetzt kommt mir eine andere Geschichte in den Sinn: ein Experiment. Es soll veranschaulichen, ob Sie von Ihrem Partner oder von Ihrem Hund mehr geliebt werden. Anmerkung: Katzen oder Hamster eigenen sich dafür weniger!
Versuchsanordnung: Sperren Sie Partner und Hund (allenfalls auch nacheinander – je nach Größe) in den Kofferraum Ihres Autos. Öffnen Sie ihn nach einer Stunde und Sie sehen ein eindeutiges Ergebnis. Und wenn dieses Experiment vielleicht auch nicht tauglich ist, die Liebe oder Güte einer Partnerschaft gegenüber dem Vergleichshund festzustellen, so ist es ein wunderbares Experiment, um den Humor zu testen.
Stellen Sie sich also vor, Sie sind im Kofferraum eingesperrt: Was tun Sie in dieser Stunde? Woran denken Sie? Was fühlen Sie? – Die einzige Handlungsoption, die Ihnen bleibt, – zumindest nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, – ist, mit Humor zu reagieren. Welches Ausstiegsszenario planen Sie? – Ich meine hier nicht den Ausstieg aus Ihrer Beziehung, sondern mit welchen Worten, welcher Gestik und Mimik entsteigen Sie dem Kofferraum?

…. Raum und Zeit zum Nachdenken … (Sie haben eine ganze Stunde Zeit.)

Haben Sie etwas WIRKLICH Gutes gefunden? Gratulation, Sie sind ein humorvoller Mensch.

Herr, schenke mir Sinn für Humor! Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.

Thomas Morus

An diesem Beispiel erkennen wir die unendlich vielen Vorteile eines humorvollen Lebens. Denn es gibt im Alltag viele Kofferräume, in denen wir uns von Menschen oder Situationen eingesperrt fühlen, – aber wir sind uns auch selbst der beste Gefängniswärter. Wir sperren uns ein, wenn wir uns selbst zu wichtig nehmen, unsere eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse, unsere Sorgen und Ängste überdimensional groß werden lassen. Natürlich dürfen wir wütend sein, uns ängstigen, unsere Sorgen pflegen, die Tragik des Lebens – im Großen wie im Kleinen – ganz auskosten. Aber was bringt es? Deswegen geht der Kofferraum nicht früher auf! Es ist also einfach intelligenter, sich in dieser Zeit ein lustiges „Ausstiegsszenario“ zu überlegen. Die Zeit wird dann viel amüsanter und schneller vergehen. Garantiert!

Tragik und Tiefe des Humors

Jetzt kommt das Gegenargument der Oberflächlichkeit. Aber das greift nicht. Steigen Sie aus dem Kofferraum mit dem Witz auf den Lippen:
„Warum summen Bienen? – Weil sie den Text vergessen haben!“
Nein, das funktioniert nicht. Gerade in der Tragik und in der Selbstbetroffenheit der Situation müssen Sie wirklich in die Tiefe gehen. Der Humor, den Sie hier brauchen, wird aus dem Grunde Ihres Herzens und Denkens geboren und nicht an der Oberfläche.

Wir können sagen: Das Leben ist ein Spiel. Wir nehmen selbst Spiele meist zu ernst. Wie dann erst das Leben! Aber es geht um eine gewisse Leichtigkeit, eine spielerische Freude, einen Kitzel der Herausforderung und nicht (nur) um die Tragik der Ereignisse. Selbst der Tod kann uns zu Humor veranlassen.
Es läutet an der Türe einer altehrwürdigen Wiener Dame. Sie öffnet und sieht einen winzigen Tod vor sich stehen. „Nein, bittscheen noch nicht. Ich will noch nicht! Ein bissl noch, bitte!“ – „Keine Sorge, gnä´ Frau. Diesmal hol ich nur Ihren Hamster!“
Oder eine Schlagzeile, die zu meinen besonderen Lieblingswitzen gehört:
„Hubschrauber über dem Wiener Zentralfriedhof abgestürzt. 300 Leichen bereits geborgen!“
Und ein angeblich aus dem Leben gegriffener Ausspruch:
Die Todesstrafe soll vollzogen werden. Die Beamten holen den Verurteilten ab, – vermutlich an einem Montag. Dieser sagt: „Die Woche fängt ja gut an!“
Und noch ein Witz zum Thema Tod – ein unfreiwilliger Versprecher einer österreichischen Politikerin voller Pathos in Coronazeiten: „Wie viele Tote müssen noch sterben?“

Fast in jedem Witz steckt eine gehörige Portion an Tragik.
„Zwei Jäger treffen sich.“

Oder ein wenig subtiler:
Fuchs, Hase und Bär müssen zur Musterung. Sie wollen aber nicht einrücken. Der Fuchs schneidet sich die Lunte, der Hase die Ohren ab und der Bär reißt sich seine Zähne aus. Fuchs und Hase kommen glücklich zurück, aber der Bär ist verzweifelt. Zahnlos lispelt er: „Zu groß und zu dick!“

Hier taucht auch das wichtige Thema der fehlgeschlagenen Erwartungen auf. Im Witz erwartet man immer etwas, aber diese Erwartung trifft eben nicht ein. Da ist es schon egal, ob es der Bär ist oder der Zuhörer. Wichtig ist die Enttäuschung im besten Sinne des Wortes, das Unerwartete und nicht zu Erwartende. Aber auch hier gleich noch eine Enttäuschung: Witz ist nicht gleich Humor. Beim Witz lachen wir über meist anonymisierte andere und freuen uns, dass es diesmal wenigstens nicht uns betroffen hat. Aber Humor ist die Fähigkeit, über uns selbst zu lachen. Und Humor ist auch nicht Spott, sondern er hat etwas Weises an sich – ohne Hass, Rache oder Bösartigkeit.

„Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“

Karl Valentin

Passieren uns nicht manchmal Dinge im Leben, die in der besten Slapstickkomödie vorkommen könnten? Lachen wir darüber, denn das Tragische ist ohnehin schon passiert. Ein weiser Narr namens Karl Valentin hat dieses Phänomen so erklärt: „Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“ Die negative Seite drängt sich meist von selbst auf. Machen wir uns aber ganz bewusst auf die Suche nach der positiven und der komischen.

Tabus und warum nur der Hofnarr die Wahrheit sagen darf

In Humor und Witz tut sich oft (verborgene) Wahrheit auf. Daher sind Witze von Natur aus nicht politisch korrekt, sie berühren sehr oft Tabus. Sie sprengen Grenzen des Denkens und können auch die Absurdität von Haltungen und Meinungen offenbar machen. Hierzu zähle ich auch die Wortwitze, die aufzeigen, wie oft wir gedankenlos Begriffe verwenden wie hier:
Eine Blondine: „Ich bekomme eine Vollholzküche!“ Die andere Blondine nachdenklich: „Und wo gibst du das Geschirr hin?“
Ich erinnere mich hier auch an einen Witz, der vor etlichen Jahren die österreichische Politik erschütterte:
Eine weiße und eine schwarzafrikanische Mutter sitzen in einem Zugabteil. Ihre Säuglinge werden hungrig und sollen die Brust bekommen. Sagt das weiße Baby: „Mama, ich hätte auch gerne einmal Kakao!“
Dieser Witz ist harmlos, nicht diskriminierend und doch darf er heute nicht mehr erzählt werden. Verlieren wir dadurch à la longue als Gesellschaft den Humor? Irgendwann werden keine Beamten-, Ärzte-, Politikerwitze u. s. w. mehr erzählt werden dürfen. Zigeuner- und Indianerwitze sind derzeit wohl schon tabu.

Aber wir erkennen auch, dass die Witze eng verknüpft sind mit kollektiven und individuellen Themen. In Abwandlung eines bekannten Sprichwortes formuliere ich daher: Verrate mir deinen Lieblingswitz und ich sage dir, wer du in Wahrheit bist. Überprüfen Sie das bei sich selbst und bei Freunden. Sie werden staunen. Witz und Humor enthüllen unser Inneres. Aber weil die Wahrheit in ein Lächeln gehüllt ist, tut sie nicht so weh.

Humor ist einer der wichtigsten Schlüssel zu innerer Freiheit!

Michael von Brück

Humor – nicht nur um das Leben leichter zu lachen

Bloß das Leben leichter zu lachen, wäre wohl bei aller philosophischer Betrachtung zu wenig. Ja, es ist ein angenehmer Nebeneffekt. Aber Humor ist viel mehr. Der französische Philosoph André Comte-Sponville (in seinem Buch: Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben – Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte) geht sogar so weit, Humor als Tugend zu bezeichnen. Denn er verleiht Leichtigkeit, Abstand von Problemen und dem eigenen Ich, sprengt Grenzen des Gewohnten und Althergebrachten und eröffnet so neue Perspektiven und Möglichkeiten.
Wenn wir angesichts von Corona, Krieg und Klimawandel wie die oben erwähnte Maus vor der Schlange erstarren, so können wir nichts dagegen tun. Auch dazu gibt es einen Witz:
Treffen sich im Weltraum die Erde und ein Komet: „Wie geht es dir, Erde?“ – „Schlecht! Habe Homo sapiens!“ Der Komet antwortet lächelnd: „Ach was, das geht vorüber!“
Aber in Zeiten wie diesen reicht es nicht, bloß auf Zeitablauf zu setzen. Jedes Gefühl der Ohnmacht und des Opferseins führt in Passivität, Verzweiflung und Stress. Wir könnten stattdessen alle gemeinsam das Rezept für die „Bessere-Welt-Suppe nachkochen:
Man nehme je 500 g Eigeninitiative und Verantwortungsgefühl, 200 g Toleranz, füge 4 EL Mut dazu, schmecke das Ganze ab mit einer Brise Menschenliebe, würze mit Wille und Ausdauer und verfeinere am Schluss mit einem Schuss Humor.

Humor gibt uns Kraft und innere Freiheit. Denken wir uns und die Welt neu und legen wir einfach los. Nutzen wir diese gewonnene Kreativität in uns, denn humorlose Pessimisten haben noch nie die Welt verändert.

Ohne Optimismus geht der Wille zur Gestaltung der Zukunft verloren.

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Träumen – Reisen in der Nacht https://www.abenteuer-philosophie.com/traeumen-reisen-in-der-nacht/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=traeumen-reisen-in-der-nacht https://www.abenteuer-philosophie.com/traeumen-reisen-in-der-nacht/#respond Mon, 13 Dec 2021 17:20:58 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1975 Magazin Abenteuer Philosophie

Kennen Sie das? Sie wollen weglaufen, sind aber wie festgewurzelt, kein Entrinnen ist möglich. Nackte Panik breitet sich aus, unausweichlich nähert sich der bedrohliche Schatten... Oder sanftes Fliegen, heiteres Schweben in lichten Wolken, wohltuende Leichtigkeit. Träume zählen zu den geheimnisvollsten Erlebnisebenen unseres Menschseins.

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ennen Sie das? Sie wollen weglaufen, sind aber wie festgewurzelt, kein Entrinnen ist möglich. Nackte Panik breitet sich aus, unausweichlich nähert sich der bedrohliche Schatten… Oder sanftes Fliegen, heiteres Schweben in lichten Wolken, wohltuende Leichtigkeit. Träume zählen zu den geheimnisvollsten Erlebnisebenen unseres Menschseins.

Alle Menschen träumen. Auch jene, die behaupten, es nicht zu tun. Sie können sich kaum bis gar nicht daran erinnern, während andere von lebhaften Traumbildern berichten. Nachdem man 1924 durch die Erfindung des EEG (Elektroenzephalogramm) die Gehirnaktivität sichtbar machen konnte, beschäftige sich die Wissenschaft auch mit den Gehirnströmen während des Schlafs. In den 1950er Jahren wurde die sogenannte REM-Phase (Rapid Eye Movement) zum Unterschied von der NON-REM-Phase identifiziert und ihr das intensivere Traumerleben zugeschrieben. Die heftigen Augenbewegungen hinter den Augenlidern eines Schlafenden zeigen, dass es eine Art inneres Schauen gibt. Auch Tiere träumen. Aus Tierversuchen weiß man, dass einige Säugetiere nach mehrwöchigem Entzug des REM-Schlafes sterben, beim Menschen zumindest, dass sich sein psychisches Leben deutlich verschlechtert, Aggressionen und unkontrolliertes Verhalten zunehmen. Es scheint, als ob das Träumen eine regulierende Funktion hat und wir es für das psychische Gleichgewicht benötigen.

In der Antike wurde dem Traum heiltätige Wirkung zugeschrieben. Berühmt dafür war der Tempelschlaf im griechischen Heiligtum von Epidauros, dem Heilgott Asklepios gewidmet, über das seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. berichtet wurde. Nach kultischen Reinigungen musste sich der Kranke in einen speziellen Raum zur Ruhe begeben. In den folgenden Träumen, so hieß es, werde Asklepios eine Botschaft übermitteln, welches Heilverfahren am besten geeignet sei. Die Priesterschaft interpretierte die Träume und legte die Therapie fest. Im Mittelalter und in den folgenden Jahrhunderten spielte der Traum keine große Rolle. An Bedeutung gewann er wieder vor rund 100 Jahren, als Sigmund Freud die Deutung der Träume einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machte. In seinem Werk „Die Traumdeutung“, eines der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts, wurde der Traum als „via regia“, als „Königsweg zum Unbewussten“ beschrieben, in dem sich verdrängte Inhalte der Psyche, vielfach sexueller Art, in verschlüsselter Form manifestieren. Sein Schüler Carl Gustav Jung schlug eine andere Richtung im Verständnis der Träume ein. Er betrachtete, wie auch Freud, die Träume als Ausdruck des Unterbewussten, beschränkte das jedoch nicht auf die Libido, sondern sah darin die Aufarbeitung von Tagesgeschehen und die Möglichkeit, den Standort der eigenen Evolution zu bestimmen. In der Jung‘schen Psychologie ist diese innere Evolution in jedem Menschen angelegt. Der Traum spielt dabei eine wichtige Rolle. In ihm begegnen uns Bilder, die uns in symbolischer Sprache aufzeigen, wo wir stehen, was uns wirklich wichtig ist, wo wir einer Gefahr entgegengehen oder was unsere gegenwärtige Herausforderung ist. Das besondere dieser Symbolsprache ist, und das erkannte unter anderen auch der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm, dass sie allen Menschen gemeinsam ist und sich auch in den Mythen und Märchen wiederfindet. „Die Träume eines heutigen Einwohners von New York oder Paris sind die gleichen wie die, welche von Menschen berichtet werden, die vor tausend Jahren in Athen oder Jerusalem lebten. Die Träume antiker und moderner Menschen sind in der gleichen Sprache geschrieben wie die Mythen, deren Urheber zu Beginn der Geschichte lebten. […] Aber der moderne Mensch hat diese Sprache vergessen, nicht wenn er schläft, aber wenn er wach ist“.

Was ist wirklich?

Vom taoistischen Philosophen Zhuangzi stammt eine berühmte Geschichte: „Ich schlief und träumte, ich sei ein Schmetterling. Dann erwachte ich und war wieder Zhuangzi. Ich fragte mich: Bin ich nun ein Mensch, der träumt, er sein ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der träumt, er sein ein Mensch?“ Niemand kann eine endgültige Antwort auf diese Frage geben. Sie hängt vom Betrachtungsstandpunkt ab. In der östlichen Philosophie heißt es, dass wir Menschen in zwei Wirklichkeiten parallel existieren: in einer verstandesbezogenen äußeren, in der wir erklären, bewerten, wissen; und in einer intuitiven inneren Wirklichkeit, die das erfasst, was hinter den Mauern des Verstandes liegt. In der äußeren Wirklichkeit leben wir, wenn wir wach sind, der inneren begegnen wir im Traum, wenn sich die Gefängnisgitter des Verstandes  öffnen. Diese beiden Wirklichkeitsebenen, die einander wie Tag und Nacht ergänzen, werden auch als Wachbewusstsein und Schlafbewusstsein bezeichnet, als Bewusstes und Unterbewusstes. Was der Verstand in seinem Drang nach Erklärbarkeit ausblendet, zeigt ihm die Nachtseite unserer Existenz. Umgekehrt können wir mit dem Verstand die Botschaften des Inneren beleuchten und in unsere Sichtweisen integrieren.

Alles ist möglich

Im Traumbewusstsein werden die Grenzen der materiellen Wirklichkeit aufgehoben: Die engen Regeln von Raum und Zeit gelten nicht mehr, wir können an mehreren Orten und zu verschiedenen Zeiten gleichzeitig sein, in wechselnde Formen schlüpfen, jung und alt sein, weise und tierhaft, Heilige und Bösewichte. Bereits Verstorbene treten auf der inneren Bühne mit vitaler Gegenwärtigkeit auf und Lebende sind tot, wir können die Schwerkraft aufheben, fliegen und fallen. Die Möglichkeiten der inneren Welten sind grenzenlos und erlauben unzählige Kombinationen.

Wenn wir im Wachbewusstsein sind, haben wir bestimmte Themen, um die sich unser Leben dreht. Wir sind tätig, mit Beruf, Partnerschaft, Familie, haben Wünsche und Hoffnungen, wälzen Sorgen und Probleme. Aber im Traum können ganz andere Elemente im Zentrum stehen. Wir können von einem kleinen Moment des vergangenen Tages träumen, Ereignissen und Begegnungen, die wir nicht einmal richtig bemerkt haben, die aber etwas in uns angestoßen haben, das verarbeitet werden will.

Der Traum kann uns auch „das Andere“ in uns offenbaren. Wir haben womöglich in der äußeren Welt ein positives Bild von uns selbst, im Traum tun wir jedoch Schockierendes. Umgekehrt kann der, der sich für einen Versager hält, zum bewunderten Helden werden. In der Jung’schen Psychologie wird das die kompensatorische und komplementäre Kraft des Traums genannt, sie gleicht aus und zeigt uns die andere Seite unserer Wirklichkeit. Der Traum bildet einen aktuellen Zustand ab. Keinesfalls darf das Unbewusste wie ein Abfalleimer verstanden werden, als Anhängsel des Bewusstseins, sondern als zweite Seite derselben Medaille. „Die Botschaften des Unbewussten sind von größerer Wichtigkeit, als man gewöhnlich annimmt. Da das Bewusstsein allen möglichen äußeren Anziehungen und Ablenkungen ausgesetzt ist, lässt es sich leicht dazu verleiten, Wege zu gehen, die seiner Individualität fremd und nicht gemäß sind. Die allgemeine Funktion der Träume ist, solche Störungen des geistigen Gleichgewichts auszugleichen, indem sie Inhalte komplementärer und kompensatorischer Art hervorbringen. Träume von hohen, schwindelerregenden Orten, Luftballons, Flugzeugen […] gehen häufig mit Bewusstseinszuständen einher, die durch […] Selbstüberschätzung […] gekennzeichnet sind. Wird die Warnung durch den Traum überhört, dann treten wirkliche Unfälle an ihre Stelle“, meint C.G. Jung. Besondere Bedeutung haben Wiederholungträume, die immer wiederkehrende psychologische Situationen anzeigen, für die das Unterbewusste nach Lösungen sucht.

Manchmal werden sogar Träume erlebt, die Jung als „große Träume“ bezeichnet. Man hat den Eindruck, dass diese Träume direkt aus dem kollektiven Unbewussten stammten, dem großen gemeinsamen Menschheitswissen. Bezeichnend ist, dass diese Bilder lange in uns nachwirken und einprägend sind. In ihnen begegnen wir dem inneren Ich, dem großen Weisen in uns in personifizierter Form, oder unseren Schatten, den noch nicht bewussten Inhalten unserer Existenz. Diese Träume markieren große Wenden.

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte

Unser Unterbewusstsein ruft Träume hervor, um das, was man nicht durch das Bewusstsein wahrnehmen kann, mitzuteilen und bedient sich dabei der Symbolsprache. Mit Symbolen können komplexe Sachverhalte in komprimierter Form dargestellt werden. Symbole werden nicht „erfunden“, sie sind seit Jahrtausenden geistiges Menschheitserbe. „Es hat noch kein Genie gegeben, das sich mit Feder oder Pinsel hingesetzt hätte: Ich werde jetzt ein Symbol erfinden, […]es wird immer nur ein Zeichen sein. Ein Zeichen ist immer weniger als die Sache, auf die es hindeutet, ein Symbol immer mehr, als wir auf den ersten Blick begreifen“, konstatierte Jung. Sie träumen von einem Auto? Das tat man vor 200 Jahren noch nicht. Aber es ist ein Fortbewegungsmittel, etwas, mit dem ich mich durch das Leben bewege. Vor 200 Jahren träumte man von einem Pferd oder einer Kutsche, einem Rad etc. Jedes Symbol, das im Traum erscheint, hat etwas mit dem Träumenden selbst zu tun, gleichsam ein innerer Bestandteil des Träumenden selbst und kann daher nur vom ihm selbst begriffen werden. Was bedeutet das Auto für mich? Welchen Bezug habe ich dazu?

Wenn jemand vom Vater träumt, den er ermordet, dann ist es nicht unbedingt der physische Vater, den er töten will,  sondern etwas in ihm, das „wie ein Vater ist“. Eine innere Überzeugung, ein Glaubenssatz, von dem er sich lösen will?

Seine Träume zu verstehen bedeutet, sich auf die Symbolik einzulassen, um zu begreifen, was sie zu sagen haben. Dazu müssen wir auch die Gefühle und Emotionen in einem Traum berücksichtigen. Wir können im Traum auf unserem eigenen Begräbnis im Sarg liegen ohne dabei erschrocken oder traurig zu sein. Vielleicht begraben wir etwas, mit dem wir Frieden geschlossen haben? Die eigene aktuelle Lebenssituation muss für das Traumverständnis einbezogen werden. Daher können zwei Personen dasselbe träumen und es ist doch nicht gleich. „Wenn wir schlafen, erwachen wir zu einer anderen Daseinsform. Wir träumen. Wir erfinden Geschichten, die sich nie ereignet haben […]. Manchmal sind wir der Held, manchmal der Bösewicht […]. Doch welche Rolle wir auch immer im Traum spielen, wir sind der Autor, es ist unser Traum, wir haben die Handlung erfunden“, meint Erich Fromm.

Der innere Freund

Seine Träume zu verstehen ist nichts Kompliziertes. Warum sollte uns das innere Ich Botschaften schicken, von dem es nicht will, dass das Bewusstsein sie versteht? Oft eröffnet sich die Botschaft eines Traumes intuitiv und spontan und etwas in uns weiß, was es bedeutet. Sich mit seinen Träumen auseinanderzusetzen braucht Mut und Offenheit, so wie der ganze Weg der Menschwerdung. Wenn wir unsere Träume ernstnehmen, können sie uns wertvolle Hinweise liefen. Oder wie es Fromm formulierte: „Ich halte die Symbolsprache für die einzige Fremdsprache, die jeder von uns lernen sollte. Wenn wir sie verstehen, kommen wir mit dem Mythos in Berührung, der einer der bedeutendsten Quellen der Weisheit ist, wir lernen die tieferen Schichten unserer Persönlichkeit kennen.“

Literaturhinweis:

  • „Traum und Traumdeutung“, C.G. Jung, dtv 1997
  • „Träume – eine Reise in unsere innere Wirklichkeit“, Stefan Klein, Fischer Taschenbuch 2017
  • „Erinnerungen, Träume, Gedanken,“, C.G. Jung, Walter Verlag 1987
  • „Die Traumdeutung“, Sigmund Freud, Fischer Bücherei, 1961
  • „Märchen, Mythen, Träume“ Erich Fromm, rororo 2012

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Freiheit ist in der Corona-Krise plötzlich wieder ein Thema. Meist werden die Einschränkungen unserer Freiheit beklagt. Wer aber nützt seine Freiheit zu Verzicht, Solidarität und aktiver Mithilfe bei der Krisenbewältigung? Gerade diese Unfähigkeit, unsere Freiheit sinnvoll zu nutzen, macht Freiheit so gefährlich.

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reiheit ist in der Corona-Krise plötzlich wieder ein Thema. Meist werden die Einschränkungen unserer Freiheit beklagt. Wer aber nützt seine Freiheit zu Verzicht, Solidarität und aktiver Mithilfe bei der Krisenbewältigung? Gerade diese Unfähigkeit, unsere Freiheit sinnvoll zu nutzen, macht Freiheit so gefährlich.

„Frei sein heißt zum Freisein verurteilt sein!“ In diesem berühmten Zitat von Jean-Paul Sartre steckt ein radikaler Freiheitsbegriff: dass nämlich Freiheit wesentlich zum Mensch-Sein gehört, dass wir uns unserer Freiheit nicht entledigen können; dass also Freiheit nicht nur ein Anspruch, sondern auch eine Last ist; dass uns genau diese Freiheit in jeder Hinsicht verantwortlich macht; und dass wir ausnahmslos immer die Wahl haben. Diese Ausnahmslosigkeit gipfelt bei Sartre in der provokanten Aussage: „Niemals sind wir freier gewesen als unter der deutschen Besatzung.“ Ähnlich formuliert es Viktor Frankl in seinem Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen – ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“: „In der Art, wie der Mensch sein unabwendbares Schicksal auf sich nimmt, … darin eröffnet sich auch noch in den schwierigsten Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens eine Fülle von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten.“ Frankl schränkt allerdings ein, dass „nur wenige und seltene Menschen solcher Höhe fähig und gewachsen“ seien und dass „nur wenige im Lager sich zu ihrer vollen inneren Freiheit bekannt“ haben.

Sowohl bei Sartre als auch bei Frankl klingt das Opfer-Täter-Thema an: Indem der Mensch seine in jeder Lebenssituation vorhandene Freiheit nicht wahrnimmt, macht er sich selbst zum Opfer. Dies betrifft die Frau, die über ihren untreuen oder alkoholsüchtigen Mann klagt, den Mitarbeiter, der unter einem ungerechten Chef leidet, aber auch den Schwerkranken und den Schwerverbrecher, die die Schuld ihrer Krankheit bzw. ihrer Verbrechen einem Kindheitstrauma zuschreiben. Und es betrifft natürlich uns „Corona-Beschränkte“, wenn wir den Schuldigen in unseren Regierungen oder in geheimnisumwitterten Verschwörungen suchen. In der Opferhaltung beklagen wir uns über die Einschränkungen unserer Freiheit, ohne aber unsere vorhandene Freiheit wahrzunehmen. Oft entledigen wir uns sogar der Einschränkungen wie einem schwierigen Partner oder einer uns vereinnahmenden Arbeit, ohne aber diese gewonnene Freiheit für etwas Sinnvolles zu nutzen, ja oft sogar in noch schlimmere Abhängigkeiten zu schlittern.

Freiheit von – Freiheit zu

Für dieses Dilemma, sich zwar von etwas zu befreien, dann aber diese Freiheit nicht für etwas gut nutzen zu können, findet sich ein interessanter Erklärungsansatz bei Immanuel Kant. Er unterscheidet dazu zwischen negativer und positiver Freiheit. Negative Freiheit bedeutet für ihn die Unabhängigkeit von unseren Instinkten und sinnlichen Antrieben. Positive Freiheit ist das Vermögen der Vernunft, sich selbst ihre Gesetze zu geben, und damit die Fähigkeit zur „sittlichen Selbstbestimmung“. Negative Freiheit ist demnach die Bedingung für die positive Freiheit. Wer beispielsweise von der Angst vor Arbeitslosigkeit erfüllt ist, wird nicht frei für eine mutige Konfrontation mit seinem Chef oder für eine Kündigung sein. Und wenn doch, wird ihn seine Angst schnell in das nächste Abhängigkeitsverhältnis führen.

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Bekannt geworden ist der politische Philosoph Isaiah Berlin (1909-1997) mit seinen „Two Concepts of Liberty“. Bei ihm ist die negative Freiheit generell eine „Freiheit von“: frei von allen äußeren Zwängen, Einschränkungen und Einmischungen. Der Mensch kann selbstständig handeln, ohne dass irgendjemand ihn daran hindert. Die positive Freiheit dagegen ist eine „Freiheit zu“: Frei zu tun und zu lassen, was man möchte, also nach seinem eigenen Willen zu handeln. Die Problematik dieser zwei Konzepte wird am einfachen Beispiel vom Wolf und vom Schaf deutlich. Werden beiden dieselbe negative Freiheit (Freiheit ohne irgendwelche Beschränkungen) eingeräumt, wird der Wolf das Schaf fressen. Folglich wird zwar der Wolf, nicht aber das Schaf seine positive Freiheit leben können. Wölfe werden natürlich auf die Jagd ohne jede Einschränkung drängen. Schafe dagegen werden sich für ein generelles Jagdverbot starkmachen. Politisch spiegelt sich darin der Gegensatz von Liberalismus und Sozialismus: auf der einen Seite der freie Markt, auf der anderen der Staat als Regelungsinstanz.

Politisch betrachtet ist die radikale negative Freiheit eine große Gefahr. Liberalismus und Turbokapitalismus (sogar als Raubtierkapitalismus bezeichnet) haben ihre gefährlichen Krallen tief in die menschliche Seele, die Gesellschaft und unseren Planeten geschlagen. Aber auch die radikale positive Freiheit birgt große Gefahren: Wenn jeder auf seine Freiheit pocht, jederzeit zu tun und zu lassen, was man möchte, kann daran schon eine Partnerschaft zerbrechen, und umso mehr eine Familie, eine Gesellschaft oder eine Staatengemeinschaft. Die Zunahme an Single-Haushalten, weil man sich in seiner Freiheit zur Selbstverwirklichung nicht einschränken möchte, kündigt ebenso davon wie die Unfähigkeit der Europäischen Union, sich auf gemeinsame Linien zu verständigen. Autonomie und Turbo-Egoismus sind das Gebot der Stunde – auf individueller wie auf staatlicher Ebene.

In der derzeitigen Corona-Pandemie werden alle Gefahren und Widersprüchlichkeiten von negativer und positiver Freiheit offensichtlich: Die Regierenden, die sich einerseits fürchten, harte Einschränkungen zu verfügen, weil sie um ihre Popularität und auch um die Wirtschaft bangen, sich andererseits aber dazu durchringen müssen, weil es im Wertekanon unserer Gesellschaft nichts Schlimmeres als den Tod gibt. Dem gegenüber eine Vielzahl von Bürgern, die die Einschränkungen nicht als ihren Schutz, sondern als Angriff auf ihre Bürgerrechte sehen. Diese sind trotz einer Notlage weder zur positiven Freiheit, sich einzuschränken und aus ihrer gewohnten Komfortzone herauszutreten bereit, noch mit kreativen Lösungen und Verzicht zur wirtschaftlichen Bewältigung der Krise beizutragen. Hier soll dann doch wieder der Staat im großen Stile ein- und in die Tasche greifen.

Auflösen könnte all diese Widersprüchlichkeiten die Beherzigung des Zitates vom Arzt und Politiker Rudolf Virchow (1821-1902): „Die Freiheit ist nicht die Willkür, beliebig zu handeln, sondern die Fähigkeit, vernünftig zu handeln.“

Zukunftsschau in die Antike

Die Freiheit als Willkür und Zügellosigkeit ist für den bedeutenden griechischen Philosophen Platon das Hauptproblem in der Demokratie. Er beschreibt im 8. Buch seiner Politeia (Der Staat), in welchem Zusammenhang die Staatsformen mit den Charaktereigenschaften der Menschen bzw. der Regierenden stehen. Es sind demnach nicht die Systeme an sich, die eine Regierungsform schlecht machen, sondern die fehlenden Werte der Menschen. Während es beispielsweise bei der Oligarchie die Seelenkrankheit der Gier nach Geld ist, ist es in der Demokratie die maßlose Freiheit, mit der Willkür, Verschwendung und Schamlosigkeit einhergehen. Seine fast 2500 Jahre alten Worte sind erschreckend aktuell:

„Eltern fürchten ihre Kinder, … der Lehrer fürchtet unter solchen Umständen seine Schüler, … die Schüler scheren sich nicht um ihren Lehrer, … die Jungen stellen sich den Älteren gleich, … die Grauköpfe treiben sich indessen mit jungen Hüpfern herum und kopieren die jungen Leute.“ Schließlich agieren die Bürger nur noch nach eigener Lust und Laune, „wenn man ihnen die geringste Unterordnung abverlangt, begehren sie unwillig auf, … und schließlich kümmern sie sich auch um die Gesetze nicht mehr.“ Das Gemeinwesen versinkt immer mehr in Unregierbarkeit, die „maßlose Freiheit wird Anarchie“… „Gegenseitige Prozesse und Parteikämpfe“ sind die Folge. In dieser Situation „pflegt das Volk mit Vorliebe einen einzigen zu seinem Anführer zu wählen“. Dieser wird „in der ersten Zeit allen freundlich zulächeln, er macht ihnen seine Komplimente und sagt ihnen, dass er kein Tyrann sei. Privat und politisch macht er zahlreiche Versprechungen, erlässt Schulden und verteilt Land unter das Volk sowie seinen Anhang“… „Sobald er sich Ruhe verschafft hat, wird er zunächst immer irgendwelche Kriege anzetteln, damit das Volk ihn weiterhin als Führer braucht. Damit die Bürger durch Kriegssteuern arm werden und sich obendrein mit ihren täglichen Sorgen zu beschäftigen gezwungen sind und damit sie ihm weniger nachstellen können … Einige werden diese Vorgänge missbilligen, sofern sie das Herz am rechten Fleck haben. So muss denn der Tyrann all diese aus dem Wege räumen, wenn er an der Herrschaft bleiben will, bis er den Staat gesäubert hat.“ (Platon, Der Staat, 8. Buch 557-567)

Für Platon führt die maßlose willkürliche und vernunftlose Freiheit letztlich immer in die Knechtschaft. Seine Worte veranschaulichen drastisch, wie eine von Parteikämpfen zerfressene Demokratie über die Demagogie in die Tyrannis schlittert. Eine Gegenwarts- und eine Zukunftsschau.

Auch im alten Rom beklagte man am Ende der Republik die maßlose Freiheit des Volkes. Bei Cicero lesen wir, dass die Masse fast ausschließlich an billigem Korn und an den Gratislustbarkeiten (panem et circenses) interessiert war. Die wahre Freiheit verschwand in dem Maße, wie die Masse, die sich aus politisch ungeschulten Leuten zusammensetzte und darüber hinaus entsittlicht und käuflich war, an Macht gewann. Wahre Freiheit hieß in Rom libertas. Die libertas war an dignitas geknüpft, an Würde, Tüchtigkeit und Verdienst. Der Mensch galt als umso freier, je tugendhafter er war. Dem gegenüber steht der Begriff der licentia, besser mit Zügellosigkeit übersetzt, aber laut Tacitus „dummerweise oft mit der Freiheit gleichgesetzt“. Diese falsch verstandene und gelebte Freiheit (licentia), eine Form von Verantwortungslosigkeit, Werte- und Sittenverfall, waren laut Cicero die Ursache für den Untergang der Republik und damit der wahren Freiheit (libertas). Für Cicero hängen res publica (wörtlich „öffentliche Sache“) und libertas, die wahre innere Freiheit des Menschen verbunden mit dignitas, also Würde, Tüchtigkeit und Verdienst zusammen. In dem Maße, wie die libertas im Volk verloren geht, in dem Maße geht die res publica zugrunde. Sagen wir es brutal: Wir stehen in unseren westlichen Demokratien am Scheideweg. Führt uns unsere falsch verstandene Freiheit mit Egoismus, Individualismus, Verantwortungslosigkeit, Gier und Verschwendung in noch tiefere Parteikämpfe und gesellschaftliche Gräben? Dann wird unsere res publica vielerorts über die Zwischenstation der Demagogie in einer neuerlichen Tyrannis enden. Oder führt uns eine wert(e)volle Erziehung zu Würde und Verantwortlichkeit und damit zur libertas, zu einer richtig verstandenen und gelebten Freiheit? Dann werden wir unsere res publica erneuern.

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Was aber ist Schönheit? Schönheit ist so viel wie der Glanz des Guten, Göttlichen und Wahren. Schönheit ist der Glanz, der alles das umgibt, was sinnvoll und bejahbar ist. (Quarch in: Platon und die Folgen)

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as aber ist Schönheit? Schönheit ist so viel wie der Glanz des Guten, Göttlichen und Wahren. Schönheit ist der Glanz, der alles das umgibt, was sinnvoll und bejahbar ist. (Quarch in: Platon und die Folgen)

Herr Quarch, wie definieren Sie als Philosoph den Begriff Schönheit?

Eine schwierige Frage, denn Philosophen haben Schönheit in unterschiedlichen Epochen höchst unterschiedlich interpretiert. Die griechischen Philosophen folgten der Deutung der Dichterin Sappho, die sagte: „Schön ist das, was einer liebt!“ In der griechischen Kunst und in der Renaissance suchte man das Schone in der geordneten Proportion und der Harmonie. Und ein neuzeitlicher Denker wie Immanuel Kant konnte sagen: „Schön ist, was ohne Interesse gefallt!“ – was so ziemlich das genaue Gegenteil der Interpretation Sapphos ist.

Ich halte es mit den alten Griechen: Schönheit ist das, was Menschen begeistert und unbedingt anspricht, weil es ihnen die Wahrheit über ihr eigenes Sein offenbart.

Wie stellen Sie den Zusammenhang zwischen Schönheit und dem eigenen Sein her?

Dafür müssen wir zunächst einmal den delphischen Imperativ befolgen: Erkenne dich selbst! Wir  müssen uns fragen, wie sich das Wesen des Menschseins beschreiben lasst. Und das ist weiß Gott nicht einfach – zumal die zeitgenössische Philosophie solche Fragen verbietet. Lassen Sie es mich deshalb erneut mit den Griechen versuchen! Für Platon und die Seinen war klar: Sein ist Lebendigkeit. Und Lebendigkeit folgt einer ihr eigenen Logik: Sie organisiert sich in Systemen, die allesamt die Tendenz haben, mit sich selbst übereinzustimmen.

Diesen Zustand nennt die griechische Sprache harmonía. Wenn man im Sinne der abendländischen Tradition das Schone als das Harmonische bestimmt, dann ist verständlich, inwiefern Schönheit die Wahrheit über die Lebendigkeit verrat: Sie macht ihr Grundprinzip leicht verständlich.

Als Platon-Liebhaber sprechen Sie in einem Ihrer Vorträge von der Verbindung zwischen der Philosophie und der Schönheit.

In Platons Augen ist Schönheit so etwas wie die sinnen fällige Erfahrung des Guten und Sinnvollen. Sich mit Schönem zu befassen und sich auf Schönes einzulassen, ist in seinem Verständnis deshalb eine Grundvoraussetzung für alles Philosophieren. Denn am Schönen wird erfahrbar, was das Gute und Göttliche ist: stimmige Harmonie – Übereinstimmung eines Seienden mit sich und der Welt.

„Wer mit dem Schönen und Göttlichen umgeht, wird selbst schön und göttlich“, sagte Platon.

Wie nehmen Sie diesbezüglich die Strömungen des Zeitgeistes wahr?

Das ist sein Programm der Philosophie. Wir haben uns weit von diesem Schönheitsverständnis entfernt. Schönheit gilt nur noch als das Gefällige, das bestimmten konventionellen Schönheitskriterien genügt. Dadurch hat das Schöne seine begeisternde Kraft eingebüßt. Es ist zur konsumierbaren Ware konvertiert und dadurch des Potenzials beraubt worden, Menschen zu verändern.

Kann man den Sinn für das Schöne schulen?

Durchaus. Der erste Schritt dazu ist eine Schulung der Wahrnehmung. Um Schönheit zu erfahren, muss man wahrnehmen – sich öffnen für das Ansprechende in Natur und Kunst. Das bedeutet aber auch, sich von Erwartungen und Konzepten freizumachen. Wer in ein Museum geht, um sich informieren zu lassen oder um Bilder zu konsumieren, wird ihre Schönheit nicht wahrnehmen. Man muss sich dem Anspruch des Schönen stellen und sich darauf einlassen. Sonst bleibt man nur bei sich.

In Zeiten des Wandels (Klimakrise, Digitalisierung, Werteverlust) spielt doch die Kunst auch eine Rolle.

Kunst hat immer die Kraft, Menschen zu begeistern und kulturelle und geistige Transformationen zu beflügeln. Das wird aber nicht gelingen, solange der Kunstbetrieb total kommerzialisiert ist und sich, was Kunst ist, nicht durch Schönheit, sondern durch seinen Marktwert definiert. Das ist meines Erachtens der Grund für die beispiellose kreative Flaute der gegenwärtigen Zeit. Der Homo oeconomicus hat den Künstler verdrängt.

Welche Ansätze sehen Sie, den Spieß wieder umzudrehen?

Offen gestanden sehe ich davon nur sehr wenig. Deshalb bin ich selbst aktiv geworden und habe mit einigen Gleichgesinnten eine Neue Platonische Akademie ins Leben gerufen, die es sich nach dem Vorbild der antiken Akademie Platons und der platonischen Renaissance-Akademie Marsilio Ficinos unter anderem zur Aufgabe machen wird, das Bewusstsein fur die Notwendigkeit der Schönheit neu zu wecken. Mitte 2020 wollen wir damit an die Öffentlichkeit treten.

Haben Sie einen praktischen Tipp für unsere LeserInnen, wie man seine Sensoren für das Schöne empfänglicher macht bzw. wie man mehr Schönheit in den heutigen Alltag bringen kann?

Solange die Sonne auf- und untergeht, gibt es an Schönheit keinen Mangel. Ebenso wenig, solange es Blumenläden gibt. Schönheit ist da. Man muss sie nur sehen. Wichtig dafür ist die innere Haltung: Wer immer nur cool sein will und meint, nichts und niemand durfte oder wurde einen angehen, wird ewig für den Anspruch des Schönen taub und blind bleiben. Wer sich darin gefällt, die einfachen

Schönheiten des Lebens kitschig zu finden und sich dessen schämt, von Schönheit berührt zu werden, wird nichts von der begeisternden Kraft des Schönen finden. Man kann so leben – ber man ist dann von allen guten Geistern verlassen.

 


Christoph Quarch

© Christoph Quarch

„Ich bin Philosoph aus Leidenschaft. Seit mir als jungem Mann ein Büchlein mit „Platons Meisterdialogen“ in die Hand gefallen ist, beseelt mich eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die ich als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben verstehe. Als Bestsellerautor, Redner, ZEIT-Reiseleiter/-veranstalter, Sinnstifter und Denkbegleiter für Unternehmen greife ich zurück auf die großen Werke der abendländischen Philosophie, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen.

Meine Philosophie kreist um die Frage erfüllten Menschseins im 21. Jahrhundert: Was bedeutet es, in vollem Sinne lebendig zu sein? Worin liegt im digitalen Zeitalter die unveräußerliche Würde des Menschen? Welches Denken brauchen wir, um den Herausforderungen des Klimawandels gewachsen zu sein?

Antworten darauf ergeben sich für mich aus dem Umstand, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist: Unser Selbst formt sich im Gespräch mit dem anderen; wir entdecken Sinn, indem wir uns von der Welt anrühren lassen. Leben gelingt, wo wir – zurückgebunden an die lebendige Natur – gemeinsam schöpferisch tätig sind.“

Als Radiophilosoph ist er in allen öffentlichen Sendern vertreten, einmal wöchentlich in seiner SWR-aktuell-Kolumne „Der Frühstücks-Quarch“. Er lehrt Ethik und Wirtschaftsphilosophie an drei Hochschulen und ist einer der weltweit innovativsten Platon-Spezialisten und einer der besten Kenner des griechischen Geistes im deutschsprachigen Raum. Für ZEIT REISEN ist er seit 2016 als Philosophiereiseleiter tätig. Als Autor und Herausgeber sind von ihm zahlreiche Bücher erschienen, zuletzt: „Aufbrechen. Philosophische Inspirationen für Reisende“ (legendaQ 2019), „Wo die Seele singt. Über Kunst in Unternehmen“ (ReMedium-Verlag 2019), „Das große Ja. Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens“, „Platon und die Folgen“ (J.B. Metzler 2018).

Er ist verheiratet und hat zwei noch schulpflichtige Kinder und lebt mit seiner Familie in Fulda.

Mehr unter: www.christophquarch.de

 

 

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Unser heutiger wissenschaftlicher Materialismus sieht die gesamte Natur als Maschine. Auch wir Menschen sind wie Roboter, unsere Gehirne genetisch programmierte Computer. Und alles entwickelt sich planlos und zufällig nach Nirgendwo. Das wirklich Fatale an dieser toten Weltsicht sind jedoch ihre katastrophalen Auswirkungen auf Natur und Mensch.

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nser heutiger wissenschaftlicher Materialismus sieht die gesamte Natur als Maschine. Auch wir Menschen sind wie Roboter, unsere Gehirne genetisch programmierte Computer. Und alles entwickelt sich planlos und zufällig nach Nirgendwo. Das wirklich Fatale an dieser toten Weltsicht sind jedoch ihre katastrophalen

Woran erkennt man, dass sich der heute vorherrschende wissenschaftliche Materialismus in eine Religion und seine Wissenschaftler in Priester verwandelt haben? Daran, dass sich seine Hypothesen in Glaubensgrundsätze und Dogmen verwandelt haben. Daran, dass alle, die diese Dogmen hinterfragen, zunächst belächelt, dann denunziert und in weiterer Folge aus der „wissenschaftlichen Gemeinde“ exkommuniziert werden. Daran, dass die Masse der Gläubigen – das sind wir – diese Dogmen als fix und völlig unhinterfragt in den Lebensalltag integriert hat, was aus uns sogenannte „Wissenschaftsgläubige“ macht.

Zum Beispiel zeigen uns alle Kulturen bis heute die Sonne als lebendiges Wesen, als Gott oder Göttin, als eigenständiges Bewusstsein im Universum. Kinder zeichnen die Sonne bis zu ihrem zehnten Lebensjahr als Wesen mit einem lächelnden Gesicht. Dann löscht ihnen der wissenschaftliche Materialismus das Leben aus der Sonne. Zurück bleibt – siehe Wikipedia – eine „an der Oberfläche 6000° C heiße Plasmakugel, …, ein durchschnittlich großer Stern im äußeren Drittel unserer Milchstraße, …, der 99,86 % der gesamten Masse des Sonnensystems ausmacht“. Der Glaube an eine lebendige Sonne gehört in das Forschungsgebiet der Kulturgeschichte, wo primitive Kulturen die „regelmäßige tägliche und jährliche Wiederkehr der Sonne ängstlich erwartet und mittels kultischer und magischer Rituale beschworen haben“ (Wikipedia).

Der Wissenschaftswahn

Es ist nicht die Wissenschaft als solche, die zum Beispiel ein herausragender Wissenschaftler wie Rupert Sheldrake bekämpft, sondern genau diese wissenschaftliche Arroganz und den damit verbundenen Dogmatismus. Sheldrake, den meisten durch seine Theorie der morphogenetischen Felder bekannt, brachte 2012 ein Buch mit dem Titel „Science Delusion“ (im Deutschen „Der Wissenschaftswahn: Warum der Materialismus ausgedient hat“) auf den Markt. Während einer seiner Widersacher, Richard Dawkins, mit seinem Buch „Der Gotteswahn“ sich als ein erklärter Gegner von Religion und als der Vertreter des „Neuen Atheismus“ positioniert, zeigt sich Sheldrake mit seinem Buch „Der Wissenschaftswahn“ nicht als Gegner, sondern sogar als Anhänger der Wissenschaft. Aber er stellt sich dezidiert gegen die heutige wissenschaftliche Überzeugung, dass wir die Natur der Realität schon verstanden hätten, und nun nur noch die Details erforschen müssten.

10 Dogmen und ihre fatalen Folgen

Sheldrake untersucht zehn Dogmen der heutigen materialistischen Wissenschaft in einer wissenschaftlich methodisch korrekten Form. Zu diesen Dogmen gehören unter anderem: die Mechanizität der gesamten Natur; die Unbewusstheit der Materie und des ganzen Universums; die Zufälligkeit und Sinnlosigkeit der gesamten Natur; der Geist als reine Gehirnaktivität; die Vererbung als etwas rein Materielles mittels der Gene und mechanischer chemischer Reaktionen.

Obwohl die Wissenschaft selbst, beispielsweise mit der Quantenmechanik, diese Dogmen bereits überholt hat, obwohl die mechanistische, materialistische Sicht keinerlei Beweisgrundlage hat, sondern rein auf Glaubensgrundsätzen basiert, obwohl es weit sinnvoller wäre, das Universum, unser Sonnensystem und unsere Erde als lebendigen Organismus zu betrachten, dem ein Entwicklungsziel innewohnt, anstatt als eine ziellos herumtreibende Zufalls-Maschine, wurden diese Dogmen zur Standardweltsicht in Politik, Erziehung, Wirtschaft und Medizin. Das wirklich Fatale daran sind die katastrophalen Auswirkungen dieser Dogmen: Wer den Menschen auf eine rein körperliche Maschine reduziert, wird als medizinische Behandlung – wenn also die Maschine eine Funktionsstörung aufweist – nur den mechanischen chirurgischen Eingriff oder die Verabreichung chemischer Substanzen zulassen. Alles andere erscheint dem auf diese Weltsicht eingeschworenen Dogmatiker als Illusion, Placebo, Humbug, ja sogar Häresie. Und Häretiker werden heute – wenn schon Gott sei Dank nicht mehr verbrannt – so zumindest gebrandmarkt. Auch Tiere und Pflanzen sind seelenlose Wesen. Da sie – nach geltender Meinung – reiner Körper ohne Denken sind, kann man mit ihnen machen, was man will. Dies ist die Grundlage der modernen Landwirtschaft mit ihren gentechnischen Veränderungen und sonstigem Umgang mit Tieren und Pflanzen.

Manifest für eine post-materialistische Wissenschaft

Mit Rupert Sheldrake, der natürlich längst aus der wissenschaftlichen Community exkommuniziert ist, hat sich eine ganze Reihe weiterer Wissenschaftler weltweit mutig gegen das materialistische Dogma der heutigen Wissenschaft gestellt. 2014 wurde in Tuscon, Arizona ein internationaler Kongress zum Thema „Post-materialistische Wissenschaft, Spiritualität und Gesellschaft“ veranstaltet. Neben den Hauptorganisatoren Gary E. Schwartz, Mario Beauregard und Lisa Miller trafen einander renommierte Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen, um über die Auswirkungen der materialistischen Ideologie und ein notwendiges neues post-materialistisches Paradigma zu diskutieren. Daraus entstand das „Manifest für eine post-materialistische Wissenschaft“.

In diesem Manifest heißt es: „Die moderne wissenschaftliche Weltsicht begründet sich vor allem auf Annahmen, die mit der klassischen Physik eng verbunden sind. Der Materialismus – die Idee, dass die Materie die einzige Realität ist – ist nur eine dieser Annahmen… Während des 19. Jahrhunderts verfestigten sich diese Annahmen, verwandelten sich in Dogmen und verschmolzen zu einem ideologischen Glaubenssystem, das als »wissenschaftlicher Materialismus« bekannt wurde. Dieses Glaubenssystem setzt voraus, dass der Geist nichts anderes als die körperliche Aktivität des Gehirns ist und dass unsere Gedanken keine Auswirkungen auf unser Gehirn und unseren Körper haben. Die Ideologie des »wissenschaftlichen Materialismus« setzte sich in der Wissenschaft im 20. Jahrhundert durch. Sie wurde so vorherrschend, dass eine Mehrheit der Wissenschaftler zu glauben begann, sie basiere auf einer feststehenden empirischen Evidenz und stelle die einzige rationale Sicht auf die Welt dar.“

Der Erfolg der materialistischen Wissenschaft für unser Verständnis der Natur und den technologischen Fortschritt wird nicht infrage gestellt, aber „die übermächtige Dominanz des Materialismus hat in der akademischen Welt die Wissenschaft streng begrenzt und die Entwicklung der wissenschaftlichen Erforschung von Geist, Bewusstsein und Spiritualität behindert. Der Glaube an diese Ideologie, als exklusiver Erklärungsrahmen für die Wirklichkeit, hat Wissenschaftler gezwungen, die subjektive Dimension der menschlichen Erfahrung zu vernachlässigen. Dies führte zu einem stark verzerrten und verarmten Verständnis von uns selbst und unserem Platz in der Natur. Die Wissenschaft aber ist in erster Linie eine undogmatische, aufgeschlossene Methode des Erwerbs von Wissen über die Natur durch Beobachtung, experimentelle Untersuchungen und theoretische Erklärungen von Phänomenen. Ihre Methodik ist nicht gleichbedeutend mit dem Materialismus und sollte nicht bestimmten Überzeugungen, Dogmen oder Ideologien untergeordnet werden.“

In weiterer Folge werden in den Punkten 7 bis 11 des Manifestes unterschiedliche empirische Phänomene der Quantenmechanik, der Psychoneurologie, der Psi-Forschung und der Erforschung von Nahtod-Erfahrungen angeführt, die mit der klassischen Physik und der materialistischen Wissenschaft nicht erklärbar sind. Dies führt zu Punkt 12 im Manifest: „Manche materialistisch ausgerichteten Wissenschaftler und Philosophen weigern sich, diese Phänomene anzuerkennen, da sie nicht mit ihrer exklusiven Auslegung der Welt vereinbar ist. Die Ablehnung von post-materialistischen Untersuchungen der Natur oder die Weigerung, wissenschaftliche Entdeckungen zu veröffentlichen, die den post-materialistischen Ansatz stützen, stehen im Widerspruch zum wahren Geist der wissenschaftlichen Untersuchung, der besagt, dass empirische Daten immer angemessen behandelt werden müssen. Daten, die nicht zu den bevorzugten Theorien und Vorstellungen passen, können nicht von vornherein verworfen werden. Solch eine Ablehnung gehört in das Gebiet der Ideologien, nicht der Wissenschaft.“

Das Herzstück des Manifestes

bringt die wichtigsten Grundsätze und in weiterer Folge die damit verbundenen Konsequenzen einer post-materialistischen Wissenschaft auf den Punkt:

  • „Der Geist repräsentiert einen Aspekt der Realität, der genauso ursprünglich ist wie die physische Welt. Der Geist ist elementar im Universum. Beispielsweise kann er nicht von der Materie abgeleitet, noch zu etwas Grundlegenderem reduziert werden.
  • Es gibt eine tiefe Vernetzung zwischen dem Geist und der physischen Welt.
  • Der Geist (Wille/Intention) kann den Zustand der physischen Welt beeinflussen und wirkt auf einer non-lokalen (oder erweiterten) Art und Weise. Zum Beispiel ist er nicht wie Gehirn und Körper auf bestimmte Punkte im Raum begrenzt, auch nicht auf bestimmte Zeitpunkte wie die Gegenwart. Da die Möglichkeit besteht, dass der Geist nicht-lokal die physische Welt beeinflusst, können die Absichten, Gefühle und Bedürfnisse des Experimentierenden nicht gänzlich von den Ergebnissen der Experimente isoliert werden, und das sogar bei kontrollierten und blinden Versuchsanordnungen.
  • Die Bewusstseine sind offenbar unbegrenzt und können sich auf eine Weise vereinigen, die einen einheitlichen Allgeist (One Mind) nahelegen, einen Geist, der alle individuellen Bewusstseine miteinschließt.
  • Nahtod-Erfahrungen während eines Herzstillstandes lassen vermuten, dass das Gehirn sich wie ein Sende-/Empfangsgerät von mentalen Energien verhält, z.B. kann der Geist durch das Gehirn wirken, aber er wird nicht von diesem erzeugt. Nahtod-Erfahrungen, die während eines Herzstillstands geschahen, in Verbindung mit den Nachweisen von forschenden Medien, legten weiterhin die Vermutung des Überlebens des Bewusstseins nach dem körperlichen Tod und der Existenz von anderen, nicht-physischen Realitätsebenen nahe.
  • Wissenschaftler sollten sich nicht vor der Erforschung von Spiritualität und spirituellen Erfahrungen fürchten, da sie einen zentralen Aspekt der menschlichen Existenz darstellen.
  • Das post-materialistische Paradigma verändert grundlegend die Vision, die wir von uns selbst haben, indem es uns unsere Würde und Kraft als Menschen und als Wissenschaftler wiedergibt. Dieses Paradigma unterstützt positive Werte wie Mitgefühl, Respekt und Frieden. Durch das Hervorheben der tiefen Verbindung zwischen uns und der Natur in ihrer Gesamtheit fördert das post-materialistische Paradigma Umweltachtsamkeit und den Erhalt unserer Biosphäre.

Die Macht eines Manifestes

Mit einem Manifest (lat. manifestus) werden Dinge augenscheinlich und offenbar. Es ist augenscheinlich, dass uns unsere materialistische Wissenschaft ein ziel- und sinnloses und ein mechanisches „totes“ Leben vermittelt. Dementsprechend ist heutzutage unser Umgang mit Mensch und Natur. Und dieser Umgang mündet nach derzeitigem Ermessen in eine moralische, soziale und ökologische Katastrophe. Mit einem Manifest jedoch werden die Dinge auch „angreifbar“ in doppeltem Sinne: Einige werden dieses Manifest angreifen. Andere werden die Suche nach einer neuen – post-materialistischen – Weltsicht in Angriff nehmen, um darauf einen neuen Umgang mit Mensch und Natur zu begründen.

Literaturhinweis:

  • Manifest für eine post-materialistische Wissenschaft auf www.abenteuer-philosophie.com
  • Rupert Sheldrake, Der Wissenschaftswahn: Warum der Materialismus ausgedient hat.
  • Jeremy W. Hayward, Liebe, Wissenschaft und die Wiederverzauberung der Welt.

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Was ist das Gehirn? https://www.abenteuer-philosophie.com/was-ist-das-gehirn/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=was-ist-das-gehirn https://www.abenteuer-philosophie.com/was-ist-das-gehirn/#respond Tue, 18 Sep 2018 08:24:20 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1733 Magazin Abenteuer Philosophie

Wie entsteht Bewusstsein? Wird es vom Gehirn erzeugt oder „bloß“ empfangen? Dies ist nach wie vor ein großes Rätsel. Die Antwort darauf kann unser Weltbild revolutionieren ...

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WWie entsteht Bewusstsein? Wird es vom Gehirn erzeugt oder „bloß“ empfangen? Dies ist nach wie vor ein großes Rätsel. Die Antwort darauf kann unser Weltbild revolutionieren …

Die Wissenschaften der Psychologie, der Neurologie und auch der Philosophie versuchen, das Bewusstsein zu lokalisieren. Zur Erklärung des Bewusstseins gibt es zwei grundsätzliche Hypothesen hinsichtlich der Funktion des Gehirns. Die gängigste Hypothese sieht das Gehirn als eine Art Computer, also als ein Rechenwerk, das über einen großen Speicher für alle komplexen Informationen, die der Körper verarbeitet, verfügt. Diese „Produktionshypothese“ besagt, dass das Gehirn das Bewusstsein erschafft. Sie kann aber nicht alle Phänomene des Bewusstseins hinlänglich erklären. Als Alternative gibt es die „Transmissionshypothese“, die das Gehirn als eine Art Funkgerät versteht.

Als ein Beispiel für die vielen Phänomene, die mit der Produktionshypothese nicht befriedigend erklärt werden können, möchte ich einen Fall von „terminaler Geistesklarheit“ vorstellen. Dies sind Fälle von Menschen mit völlig eingeschränktem Bewusstsein und in vielen Fällen auch mit nachgewiesen geschädigtem Gehirn, wo klare lichte Momente präfinal  auftreten. Rätselhaft ist dabei nicht nur das Auftreten dieser Momente, sondern auch warum sich diese gerade kurz vor dem Tod ereignen.

Das Beispiel von Käthe ist ein eindrucksvoller und berührender Fall. Käthe, geboren am 30.5.1895, hatte im Alter von sechs Wochen lang andauernde Krämpfe und lernte erst mit 2,5 Jahren gehen. Mit sechs Jahren, am 17.6.1901, kam sie in die Heil- und Pflegeanstalt Hephata in Treysa in Hessen (D) und verbrachte dort ihr gesamtes weiteres Leben bis zu ihrem Tod am 1.3.1922. Der damalige Anstaltsleiter Dr. Friedrich Happich (1883 – 1951) schrieb:

„Käthe war von Geburt völlig verblödet und hat nie ein Wort sprechen gelernt. Stundenlang starrte sie auf einen Punkt, dann zappelte sie wieder stundenlang ohne Unterbrechung. Sie schlang Nahrung hinunter, schied das Aufgenommene wieder aus, stieß einen tierischen Laut aus und schlief. Andere Lebensregungen haben wir in den langen Jahren von ihr nie wahrgenommen. Nie haben wir bemerkt, dass sie auch nur eine Sekunde an dem Leben ihrer Umgebung teilnahm. Auch körperlich wurde das Mädchen immer elender; ein Bein musste ihr abgenommen werden, und das Siechtum wurde immer stärker.“

Am Morgen des 1.3.1922 sagte eine Schwester zum Oberarzt, dass es mit Käthe wohl bald vorbei sein würde, denn sie sänge schon eine Zeit lang vor sich hin. In derartigen Anstalten ist bekannt, dass auffällig anderes Benehmen ein Zeichen für sein nahes Ende sei.

Dr. Happich kommentierte:

„Als wir gemeinsam das Sterbezimmer betraten, trauten wir unseren Augen und Ohren nicht: Die von Geburt an völlig verblödete Käthe sang sich selbst die Sterbelieder.  ‚Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh? Ruh, Ruh, himmlische Ruh!‘ Eine halbe Stunde lang sang Käthe. Ihr Gesicht war vergeistigt und verklärt. Dann schlief sie still ein. Immer wieder sagte der Arzt, dem ebenso wie der pflegenden Schwester die Tränen in den Augen standen: ‚Medizinisch stehe ich völlig vor einem Rätsel. Durch eine Sektion kann ich, wenn es verlangt wird, nachweisen, dass Käthes Hirnrinde restlos zerstört und anatomisch Denkfähigkeit nicht mehr möglich war.‘“

„Käthe hatte also nur scheinbar an alledem, was in der Umgebung vor sich ging, nicht teilgenommen. In Wirklichkeit hatte sie aber sichtlich gar manches in sich aufgenommen. Denn woher hatte sie Text und Melodie des Liedes, wenn nicht aus der Umgebung? Und sie hatte den Inhalt des Liedes richtig verstanden und wandte ihn in der entscheidenden Stunde ihres Lebens an. Das war schon wie ein Wunder. Noch größer erschien uns das Wunder, dass die bis dahin völlig stumme Käthe plötzlich klar und deutlich Worte des Liedes wiedergeben konnte, obwohl durch zahlreiche Hirnhautentzündungen solche anatomischen Veränderungen in der Hirnrinde vor sich gegangen sind, dass es dem Verstand nicht begreiflich ist, dass das sterbende Mädchen plötzlich klar und deutlich und mit Verständnis singen kann.“

Das Phänomen der terminalen Geistesklarheit ist zwar schon seit der Antike mehrfach erwähnt, wird aber erst seit kurzer Zeit untersucht. Von Brayne, Lovelace und Fenwick wurde 2008 eine Untersuchung vorgestellt, in der das Pflegepersonal von Hospizen hinsichtlich ungewöhnlicher Phänomene in Todesnähe befragt wurde. Michael Nahm hat 2012 ein erstes umfangreiches Werk über die Phänomene in Todesnähe und im Speziellen die terminale Geistesklarheit veröffentlicht.

Es ist sehr beachtenswert, bei wie vielen organischen Gehirnerkrankungen terminale Geistesklarheit auftreten kann. Es gibt Fälle von Hirnhautentzündung, massiver Gehirnvereiterung, abnormer Füllung von Gehirnpartien mit Wasser und Blut, Schlaganfälle, Gehirnzersetzung durch Tumore, Fälle von Demenz wie der Alzheimerkrankheit. Es gibt auch Fälle von psychischen Erkrankungen, bei denen das Gehirn kaum verändert wird, wie z.B. bei der Schizophrenie. Bei vielen dieser Krankheiten ist es nach dem herkömmlichen Verständnis der Funktionen des Gehirns ausgeschlossen, dass der Mensch je wieder zu einer Geistesklarheit kommen könnte. Und doch leuchtet der ursprüngliche Geist kurz vor dem Tode wieder vollständig auf.

Oskar Bloch, ein Professor für Chirurgie in Kopenhagen, formulierte diese Unerklärlichkeit 1909 so:

„Man wusste längst, dass Geisteskranke Perioden haben können, in denen sie ganz gesund sind. … Wenn so ein Geisteskranker in seiner klaren Periode stirbt, so stirbt er ganz so wie ein Geistesgesunder. Wenn aber der, welcher seit Jahren geisteskrank ist, der teilnahmslos dasaß, als ob die Welt für ihn nicht vorhanden sei, der mehr wie ein Tier als wie ein Mensch lebte, ja, der nicht einmal in Bezug auf Intelligenz so hoch wie ein Tier stand, wenn der plötzlich Zeichen von Vernunft zeigt – und dies geschieht kurz bevor er stirbt – muss man mit Recht staunen.“

Terminale Geistesklarheit wurde von den Alten oft „das letzte Aufflackern der Seele“ genannt. Man könnte es aber genauso als ein Zeichen für die Befreiung der Seele aus dem in solchen Fällen wahrlichen „Kerker“ ansehen.

Da das Hirn in wiederholten Fällen terminaler Geistesklarheit in relevanten Gehirnstrukturen weitgehend oder ganz zerstört gefunden wurde, erscheint die immer wieder genannte, biochemische Erklärung, dass kurz vor dem Tod ausgeschüttete Endorphine – diese können bekanntlich Glücksgefühle auslösen – für die terminale Geistesklarheit verantwortlich „sein könnten“, völlig unzureichend. An dem exemplarischen Fall „Käthe“ ist leicht zu erkennen, dass die Hypothese, das Bewusstsein würde vom Gehirn hervorgebracht und wäre nichts anderes als das Produkt der Komplexität des Nervensystems, diesen Fall nicht befriedigend oder besser gesagt gar nicht erklären kann. Und diese Unerklärbarkeit durch das „Computermodell“ des Gehirns verbindet diesen Fall der terminalen Geistesklarheit mit vielen anderen Phänomenen wie außerkörperliche Erfahrungen, Inselbegabungen, Spontanheilungen, Gedankenübertragung und anderen.

Als Alternative gibt es die heute wenig bekannte „Transmissions- oder Übertragungshypothese“. Schon Immanuel Kant hatte darauf aufmerksam gemacht, dass sich alle beobachtbaren Bewusstseinsphänomene mindestens genauso gut – wenn nicht besser – erklären lassen, wenn angenommen wird, dass das Gehirn nicht das Bewusstsein erzeugt, sondern stattdessen nur wie ein Überträger wirkt. Heute repräsentiert diese Funktionen das Funkgerät am besten wieder. Diese Hypothese setzt aber auch eine über den physischen Körper hinausgehende Wesenheit voraus, die wir als Seele oder Geist bezeichnen können.

William James (1842 – 1910), der amerikanische Psychologe und Philosoph, Frederic W. H. Myers (1843 – 1901), der englische Dichter und Parapsychologe, und Henri Bergson (1859 – 1941), französischer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur, haben zahlreiche Belege dafür vorgelegt, dass das Bewusstsein sich vom physischen Körper trennen kann, und es eine nachtodliche Kontinuität des Bewusstseins gibt.

Diese Thesen sind in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts nahezu ganz in Vergessenheit geraten. Diese Zeit war geprägt von den plakativen Thesen Friedrich Nietzsches und Bertrand Russels und von Materialismus und Positivismus.

In neuerer Zeit machte John Searle (*1932), einer der renommiertesten Gegenwartsphilosophen, im Jahre 2004 darauf aufmerksam, dass „der Materialismus“ „in einem gewissen Sinn die Religion unserer Zeit“ ist, zumindest für die meisten „professionellen Experten“, die „auf den Gebieten der Philosophie, Psychologie, Bewusstseinsforschung und anderen Disziplinen“ tätig sind, die sich mit der Erforschung des Geistes („mind“) befassen. Der Materialismus wird von diesen Experten „akzeptiert, ohne ihn zu hinterfragen und er bildet den Rahmen, innerhalb dessen andere Fragen gestellt, angesprochen und beantwortet werden“.

Wenn wir nun die Transmissionshypothese auf den oben geschilderten Fall Käthe anwenden, dann erscheint Übertragung zumindest in eine Richtung gestört. Die terminale Geistesklarheit zeigt, dass die Umweltinformationen in Form des Liedes offensichtlich aufgenommen wurden. Ein übergeordnetes Bewusstsein hat möglicherweise alles „mitbekommen“, aber die Verbindung zur Steuerung des Körpers war gestört. Kurz vor dem Tod, war zumindest eine teilweise Verbindung da, sodass Käthe diesem Moment „würdevoll“ entgegentrat.

Wir stehen nun vor der seltsamen Situation, dass das derzeitige Paradigma zur Frage des Bewusstseins, die Produktionshypothese, viele Phänomene des Bewusstseins nicht befriedigend erklären kann und gleichzeitig wird die diese Themen viele besser abdeckende Transmissionshypothese ignoriert. Aber eine breite Annahme der Transmissionshypothese wäre mit einer Revolution des Weltbildes verbunden. Sie würde alle Lebensbereiche betreffen und mit einem umfassenden gesellschaftlichen Wandel verbunden sein.

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Unser Ziel war es, den Einfluss der materialistischen Ideologie auf die Wissenschaft und die Entstehung eines post-materialistischen Paradigmas für Wissenschaft, Spiritualität und Gesellschaft zu analysieren. Wir sind zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen ...

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ir sind eine Gruppe von international anerkannten Wissenschaftlern aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen (Biologie, Neurowissenschaften, Psychologie, Medizin, Psychiatrie), die an einem internationalen Gipfel über post-materialistische Wissenschaft, Spiritualität und Gesellschaft teilgenommen haben. Der Gipfel wurde von Gary E. Schwartz, PhD und Mario Beauregard, PhD, der University of Arizona, und Lisa Miller, PhD, der Columbia University, gemeinsam ausgerichtet. Dieser Gipfel fand vom 7. bis 9. Februar 2014 auf der Canyon Ranch in Tucson, Arizona, statt. Unser Ziel war es, den Einfluss der materialistischen Ideologie auf die Wissenschaft und die Entstehung eines post-materialistischen Paradigmas für Wissenschaft, Spiritualität und Gesellschaft zu analysieren. Wir sind zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen:

1.

Die moderne wissenschaftliche Weltanschauung basiert überwiegend auf Annahmen, die eng mit der klassischen Physik verbunden sind. Der Materialismus – die Vorstellung, dass die Materie die einzige Wirklichkeit ist – ist eine dieser Annahmen. Eine verwandte Annahme ist der Reduktionismus, die Idee, dass komplexe Dinge verständlich werden, indem man sie auf die Wechselwirkung ihrer Teile oder auf noch einfachere bzw. grundlegendere Dinge wie kleine materielle Teilchen reduziert.

2.Im 19. Jahrhundert verengten sich diese Annahmen, wurden zu Dogmen und verschmolzen zu einem ideologischen Glaubenssystem, das als „wissenschaftlicher Materialismus“ bekannt wurde. Dieses Glaubenssystem impliziert, dass der Geist nichts anderes ist als die körperliche Aktivität des Gehirns, und dass unsere Gedanken keinen Einfluss auf unsere Gehirne und Körper, unsere Handlungen und die physische Welt haben können.

3. Die Ideologie des wissenschaftlichen Materialismus hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in der Wissenschaft durchgesetzt. So dominant, dass die meisten Wissenschaftler zu glauben begannen, dass sie auf etablierten empirischen Erkenntnissen basierten und die einzige rationale Sicht der Welt darstellten.

4. Wissenschaftliche Methoden, die auf materialistischer Philosophie basieren, haben nicht nur unser Verständnis der Natur verbessert, sondern auch mehr Kontrolle und Freiheit durch Fortschritte in der Technologie ermöglicht.

5. Die fast absolute Dominanz des Materialismus in der akademischen Welt hat jedoch die Wissenschaften stark eingeschränkt und die Entwicklung des wissenschaftlichen Studiums von Geist und Spiritualität behindert. Der Glaube an diese Ideologie als exklusiver Erklärungsrahmen für die Realität hat die Wissenschaftler gezwungen, die subjektive Dimension der menschlichen Erfahrung zu vernachlässigen. Dies hat zu einem stark verzerrten und verarmten Verständnis von uns selbst und unserem Platz in der Natur geführt.

6. Wissenschaft ist in erster Linie eine nicht-dogmatische und aufgeschlossene Methode, die sich durch Beobachtung, experimentelle Forschung und theoretische Erklärung von Phänomenen Wissen über die Natur aneignet. Ihre Methodik ist nicht gleichbedeutend mit Materialismus und sie sollte sich nicht mit einem bestimmten Glauben, Dogma oder einer bestimmten Ideologie befassen.

7. Im späten 19. Jahrhundert entdeckten Physiker empirische Phänomene, die durch die klassische Physik nicht erklärt werden konnten. Dies führte in den 1920er und frühen 1930er Jahren zur Entwicklung eines revolutionären neuen Zweiges der Physik, der Quantenmechanik (QM). Die QM hat die materiellen Grundlagen der Welt in Frage gestellt, indem sie gezeigt hat, dass Atome und subatomare Teilchen nicht wirklich feste Objekte sind; sie existieren nicht mit Sicherheit an definierten räumlichen Orten und zu definierten Zeiten. Am wichtigsten ist, dass die QM den Geist explizit in seine konzeptionelle Grundstruktur eingeführt hat, da festgestellt wurde, dass die beobachteten Teilchen und der Beobachter, der Physiker und die zur Beobachtung verwendete Methode miteinander verbunden sind. Nach einer Interpretation von QM impliziert dieses Phänomen, dass das Bewusstsein des Betrachters für die Existenz der beobachteten physischen Ereignisse entscheidend ist und dass mentale Ereignisse die physische Welt beeinflussen können. Die Ergebnisse der jüngsten Experimente unterstützen diese Interpretation. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die physische Welt nicht mehr die primäre oder einzige Komponente der Realität ist, und dass sie ohne Bezug auf den Verstand nicht vollständig verstanden werden kann.

8. Psychologische Studien haben gezeigt, dass die bewusste Aktivität des Verstandes das Verhalten kausal beeinflussen kann und dass der Erklärungs- und Vorhersagewert von kausalen Faktoren (z.B. Überzeugungen, Ziele, Wünsche und Erwartungen) sehr hoch ist. Darüber hinaus zeigt die Forschung in der Psychoneuroimmunologie, dass unsere Gedanken und Emotionen die Aktivität der mit dem Gehirn verbundenen physiologischen Systeme (z.B. Immunsystem, endokrine, kardiovaskuläre Systeme) deutlich beeinflussen können. In anderer Hinsicht zeigen Studien der Neuroimagination, der emotionalen Selbstregulation, der Psychotherapie und des Placebo-Effekts, dass mentale Ereignisse die Gehirnaktivität signifikant beeinflussen.

9. Untersuchungen so genannter „Psi-Phänomene“ deuten darauf hin, dass wir manchmal ohne den Einsatz gewöhnlicher Sinne und in einer Weise, die über die üblichen Grenzen von Raum und Zeit hinausgeht, aussagekräftige Informationen erhalten können

Darüber hinaus zeigt die PSI-Forschung, dass wir physische Geräte und lebende Organismen (einschließlich anderer Menschen) aus der Ferne geistig beeinflussen können. Die PSI-Forschung zeigt auch, dass entfernte Geister sich in einer nicht-lokalen korrelativen Weise verhalten können, d.h. Korrelationen zwischen entfernten Geistern werden hypothetisiert, obwohl sie nicht verbunden sind (sie sind mit keinem bekannten Energiesignal verbunden), ohne Abschwächung (sie verschlechtern sich nicht mit zunehmender Entfernung) und augenblicklich (sie scheinen gleichzeitig zu sein). Diese Ereignisse sind so häufig, dass sie nicht als anomal oder als Ausnahmen von Naturgesetzen angesehen werden können.

10.Bewusste geistige Aktivität kann beim klinischen Tod während eines Herzstillstands erlebt werden (eine so genannte Nahtoderfahrung [NTE]). Einige Nahtod-Betroffene (NTB) haben über wahre außerkörperliche Wahrnehmungen (d.h. Wahrnehmungen, die nachweislich der Realität entsprechen) berichtet, die während eines Herzstillstands aufgetreten sind.

Die NTB berichten auch über tiefe spirituelle Erfahrungen während der NTE, die durch einen Herzstillstand ausgelöst wurden. Bemerkenswert ist, dass die elektrische Aktivität des Gehirns innerhalb weniger Sekunden nach einem Herzstillstand aufhört.

11. Kontrollierte Laborexperimente haben dokumentiert, dass Medien für besondere Forschungszwecke (Menschen, die behaupten, mit dem Geist von Menschen kommunizieren zu können, die physisch gestorben sind) manchmal sehr genaue Informationen über den Verstorbenen geben können. Dies unterstützt die Schlussfolgerung, dass der Verstand getrennt vom Gehirn existieren kann.

12. Einige materialistisch orientierte Wissenschaftler und Philosophen weigern sich, diese Phänomene zu erkennen, weil sie nicht mit ihrer exklusiven Weltanschauung übereinstimmen. Die Ablehnung der post-materialistischen Naturforschung oder die Weigerung, solide wissenschaftliche Erkenntnisse zu veröffentlichen, die einen post-materialistischen Rahmen unterstützen, stehen im Widerspruch zum wahren Geist der wissenschaftlichen Forschung, der darin besteht, dass empirische Daten immer richtig behandelt werden sollten. Daten, die nicht den bevorzugten Theorien und Überzeugungen entsprechen, können nicht a priori verworfen werden. Eine solche Ablehnung gehört in das Reich der Ideologie, nicht in die Wissenschaft.

13. Es ist wichtig zu erkennen, dass Psi-Phänomene, Nahtoderfahrungen bei Herzstillstand und replizierbare Beweise aus glaubwürdigen Forschungsmedien nur durch die Linse des Materialismus betrachtet anormal erscheinen.

14. Außerdem können materialistische Theorien nicht erklären, wie das Gehirn den Geist hervorbringen kann, und sie sind nicht in der Lage, über die in diesem Manifest erwähnten empirischen Beweise Rechenschaft abzulegen. Dieses Scheitern sagt uns, dass es an der Zeit ist, uns von den Fesseln und Gläsern der alten materialistischen Ideologie zu befreien, unser Konzept der natürlichen Welt zu erweitern und ein post-materialistisches Paradigma anzunehmen.

15. Nach dem post-materialistischen Paradigma:

  1. Stellt der Verstand einen Aspekt der Wirklichkeit dar, der ebenso elementar ist wie die physische Welt.
    Der Verstand ist fundamental im Universum, das heißt, er kann nicht aus der Materie abgeleitet und auf etwas Grundlegenderes reduziert werden.
  2. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen dem Verstand und der physischen Welt.
  3. Der Verstand (Wille/Intention) kann den Zustand der physischen Welt beeinflussen und in einer nicht-lokalen (oder erweiterten) Weise arbeiten, d.h. er ist nicht auf bestimmte Punkte im Raum, wie Gehirne und Körper, oder auf bestimmte Zeitpunkte, wie die Gegenwart, beschränkt. Da der Verstand die physische Welt nicht lokal beeinflussen kann, können die Absichten, Emotionen und Wünsche eines Probanten nicht vollständig von den experimentellen Ergebnissen isoliert werden, auch nicht bei kontrollierten und blinden Experimenten.
  4. Der Verstand hat scheinbar keine Grenzen und kann sich auf eine Art und Weise vereinen, was auf einen einzigartigen einheitlichen Verstand schließen lässt, der alle individuellen Verstande einschließt.
  5. Nahtoderfahrungen [NTE] bei Herzstillstand deuten darauf hin, dass das Gehirn als Transceiver mentaler Aktivität fungiert, das heißt, der Geist kann durch das Gehirn arbeiten, wird aber nicht von ihm produziert. NTEn, die bei einem Herzstillstand auftreten, sowie Beweise aus Forschungseinrichtungen deuten weiterhin auf das Überleben des Bewusstseins nach dem körperlichen Tod und die Existenz anderer Ebenen nicht-physischer Realität hin.
  6. Wissenschaftler sollten sich nicht scheuen, Spiritualität und spirituelle Erfahrungen zu erforschen, da sie einen zentralen Aspekt der menschlichen Existenz darstellen.

16. Die postmaterialistische Wissenschaft lehnt die empirischen Beobachtungen und den hohen Wert der bisherigen wissenschaftlichen Leistungen nicht ab. Sie versucht, die menschliche Fähigkeit zu erweitern, die Wunder der Natur besser zu verstehen und dabei die Bedeutung von Verstand und Geist als Teil der zentralen Struktur des Universums wiederzuentdecken. Der Post-Materialismus schließt die Materie mit ein, die als Grundbestandteil des Universums betrachtet wird.

17. Das postmaterialistische Paradigma hat weitreichende Auswirkungen. Es verändert grundlegend unser Selbstverständnis und gibt uns unsere Würde und Macht zurück, als Menschen und als Wissenschaftler. Dieses Paradigma fördert positive Werte wie Mitgefühl, Respekt und Frieden. Durch die Betonung einer tiefen Verbndung zwischen uns und der Natur im Allgemeinen fördert das postmaterielle Paradigma auch das Umweltbewusstsein und den Erhalt unserer Biosphäre. Darüber hinaus ist es nicht neu, aber seit vierhundert Jahren vergessen, dass ein gelebtes transmaterielles Verständnis der Grundstein für Gesundheit und Wohlbefinden sein kann, wie es in alten Geist-Körper-Geist Praktiken, religiösen Traditionen und kontemplativen Ansätzen erhalten und bewahrt wurde.

18.Der Übergang von der materialistischen zur post-materialistischen Wissenschaft kann für die Entwicklung der menschlichen Zivilisation von entscheidender Bedeutung sein. Es kann noch entscheidender sein als der Übergang vom Geozentrismus zum Heliozentrismus.

Hinweis: Diese Übersetzung des Manifests wurde mit Hilfe von https://www.deepl.com/translator durchgeführt

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Wer diesen Buchtitel nicht kennt, kennt vielleicht „Blade Runner“, den Film von Ridley Scott, der auf diesem Buch basiert. Es gibt viele Vorbehalte gegen Science-Fiction. In den meisten Fällen ist die Zukunft, die da beschworen wird, dystopisch, d. h. eine negative Vision (im Gegensatz zu eutopisch bzw. utopisch). Das Buch von Philip K. Dick, einem der besten amerikanischen Science-Fiction-Autoren des 20. Jh.s, macht da keine Ausnahme.

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Träumen Androiden von künstlichen Schafen?

Wer diesen Buchtitel nicht kennt, kennt vielleicht „Blade Runner“, den Film von Ridley Scott, der auf diesem Buch basiert. Es gibt viele Vorbehalte gegen Science-Fiction. In den meisten Fällen ist die Zukunft, die da beschworen wird, dystopisch, d. h. eine negative Vision (im Gegensatz zu eutopisch bzw. utopisch). Das Buch von Philip K. Dick, einem der besten amerikanischen Science-Fiction-Autoren des 20. Jh.s, macht da keine Ausnahme. Erschienen ist es bereits 1968, und man kann nur staunen über den Weitblick des Autors. Die Fragen, die er darin aufwirft, sind erst jetzt richtig brisant geworden, da die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) so rasante Fortschritte macht. Die mit KI ausgestatteten Maschinen sind uns Menschen dicht auf den Fersen; manche Wissenschaftler warnen sogar davor, dass sie uns noch überholen werden. Es ist dringend geboten, die Position des Menschen neu zu bestimmen.

Was macht den Menschen aus?

Wir befinden uns in der Zeit nach dem „großen Krieg“, einem Atomkrieg, der die Erde fast unbewohnbar gemacht hat. Die Menschheit hat sich selbst abgeschafft. Nahezu alle Überlebenden sind auf den Mars ausgewandert. Um ihnen die Besiedlung zu erleichtern, wurden Superroboter konstruiert, eine neue Art von Sklaven. Sie sind äußerlich nicht von Menschen zu unterscheiden, sind mit einer überragenden Intelligenz, aber auch einem „Verfallsdatum“ ausgestattet, und dürfen die Erde nicht betreten. Aber der Mars ist nicht das Paradies, das man den Auswanderern vorgaukelt. Auch deshalb kommt es immer wieder zu Sklavenaufständen von Androiden, die sich gegen ihre Herren auflehnen, zur Erde zurückkehren und sich hier unter die Menschen mischen. Auf der Erde zurückgeblieben sind vorwiegend sogenannte Untermenschen wie das „Spatzenhirn“ John Isidore, die vom nuklearen Fallout stark geschädigt worden sind, und Kopfjäger, professionelle Killer, die die eingeschlichenen Androiden jagen.

Einer der Androiden-Jäger ist Rick Deckard, dessen Name nicht zufällig an den französischen Philosophen René Descartes (1596–1650) erinnert. Für Descartes ist der Mensch das zweifelnde Wesen. Der Mensch zweifelt an der Realität, an den Anderen, die diese Realität gestalten, sogar an sich selbst und an der eigenen Existenz. Aber, so sagt Descartes, es gibt eine Bewusstheit, die diese Zweifel formuliert, und „das bin ich“. Androiden kennen den cartesianischen Zweifel nicht. Für Philip K. Dick definiert sich der Mensch durch seine Komplexität und seine Zweideutigkeit. Menschlich sein heißt, sich zu widersprechen, keine unverrückbaren Gewissheiten zu haben, keine Antworten zu haben, die ein für alle Mal und überall gleichermaßen gelten.

Wenn wir Rick Deckard kennenlernen, ist er noch voll und ganz von seiner Mission überzeugt; die Kopfgeldprämien, die er für jeden ausgeschalteten Androiden, kurz „Andy“ genannt, erhält, erleichtern ihm seine Überzeugung.

Falls die Begeisterung doch einmal nachlässt, hängt er sich an seine „Stimmungsorgel“, auf der er den gewünschten Gemütszustand einstellen kann, z. B. sexuelle Erregung oder professionelle Sachlichkeit. Hier drängt sich zum ersten Mal die Frage auf, worin er sich dann noch von den menschenähnlichen Robotern unterscheidet, die er jagt. Deckard hört eine Androidin in Mozarts „Zauberflöte“, welche „besser als Elisabeth Schwarzkopf, Lotte Lehmann oder Lisa della Casa“ singt, die er noch aus alten Aufnahmen vor der Zeit des großen Krieges kennt.

Wem käme da nicht Olympia aus der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach in den Sinn? Olympia ist ein singender Automat, und Hoffmann verliebt sich in sie. Rick Deckard ist wie sein Schöpfer Philip K. Dick ein Opernliebhaber. Er fühlt sich zu der Sängerin hingezogen. Trotzdem wird sie „eliminiert“. Rick kommen die ersten Zweifel. War das wirklich nötig? Ja, versucht er sich zu beruhigen, Andys sind Maschinen. Sie können kein Mitgefühl, keine Empathie empfinden. Aber, fragt er sich plötzlich, was tue ich denn anderes? Und dann die Unsicherheit: Woher weiß ich, dass ich ein Mensch bin und keine Maschine?

Menschen empfinden Mitgefühl. Wirklich?

In der Philosophiegeschichte hat diese Frage eine lange Tradition: Was kann ich wissen? Woher weiß ich, dass ich ich bin und kein anderer? Ganz einfach durch meine Erinnerung … Genau.

Das, was wir „Ich“ nennen, ist vor allem eine Konstruktion der Erinnerung.

Und wenn die Erinnerung nun nicht meine wäre, sondern – künstlich? Hier befinden wir uns wieder im Roman, wo dem Gehirn von Androiden eine künstliche Erinnerung mitgegeben wird. In der Wirklichkeit sind wir noch nicht so weit, wir machen das selbst. Menschen verfügen über klare „Erinnerungen“ an Geschehnisse, die nie passiert sind. Und dass wir unsere Erinnerungen im Nachhinein manipulieren und „umschreiben“, kann man bei einiger Aufmerksamkeit an sich selbst feststellen. Sehr poetisch hat diesen existenziellen Zweifel der chinesische Philosoph und Dichter Dschuang Dsi (um 365–290 v. Chr.) ausgedrückt: „Ich schlief und träumte, ich sei ein Schmetterling. Ich erwachte und sah, dass ich ein Mensch bin. Aber woher weiß ich, dass ich kein Schmetterling bin, der träumt, er sei ein Mensch?“

Auf dem Boden dieses Zweifels keimt nun das Mitgefühl auch für nichtmenschliche Lebensformen. Tiere gehören dazu. Ein Tier zu haben, bedeutet, sich als Mensch zu fühlen. In der apokalyptischen Romanzeit gibt es nicht mehr viele echte, sondern fast nur noch künstliche Tiere. Sie sehen nicht nur genauso aus wie echte, sie verhalten sich auch so, reagieren auf ihren Besitzer und kennen seine Eigenarten. Der Besitzer entwickelt seinerseits eine emotionale Beziehung zu dem künstlichen Tier.

Zwei Anmerkungen seien hier erlaubt: Für René Descartes galten Tiere ohnehin als eine Art Maschine, deren Verhalten in Analogie zu den Gesetzen der Mechanik erklärt werden konnte; ihre Äußerungen waren für ihn nur Reaktionen ohne Bewusstseinsinhalte. Tiere verfügen, laut Descartes, nicht über die „geistige Substanz“ (res cogitans), die den Menschen auszeichnet.

Wenden wir nun den Blick in die Echtzeit, nach Japan. Dort hatte die Firma Sony Ende der 90er-Jahre den Computerhund Aibo herausgebracht und trotz sehr guter Absatzzahlen die Produktion 2006 bzw. die der Ersatzteile etwas später eingestellt. Damit hatte Sony viele Menschen zuerst glücklich gemacht und dann in bodenlose Verzweiflung gestürzt: Wo sollten sie Ersatzteile herbekommen, um ihren Hund „am Leben“ zu erhalten? Die „toten“ Hunde wurden sogar in einer buddhistischen Begräbniszeremonie „ausgesegnet“. Ende 2017 hat Sony die Produktion wieder aufgenommen.

Die neue Version von Aibo ist mit KI ausgestattet, die es dem Hund ermöglicht, etwa die Augen aufzuschlagen und zu bellen, wenn man ihn streichelt.

Der Mensch trifft Entscheidungen und übernimmt Verantwortung. Bestenfalls.

Auch Androiden sind einsam. Die letzten drei haben sich bei „Spatzenhirn“ John Isidore in einem verlassenen Haus einquartiert. Isidore ist glücklich. Er ist nicht mehr allein. Er weiß durchaus, mit wem er es zu tun hat. Seine neuen Freunde sind auf der Flucht, sie sind so unerwünscht wie er, aber er kann ihnen helfen, sie verstecken, sie schützen, wenn es sein muss.

Er ist bereit, sich selbst zu opfern. Plötzlich scheint er der einzige wahre Mensch zu sein. In dem heruntergekommenen Haus findet er eine Spinne. Eine Spinne! Eine echte, lebende Spinne! Die Androiden schneiden der Spinne die Beine ab. Unfähig, sich in andere Wesen hineinzuversetzen, können sie böse und gefährlich sein. Rick Deckard findet und erschießt sie.

Androiden sind keine wehrlosen, unschuldigen Opfer (oder vielleicht doch: Sie sind so programmiert); sie sind Kampfmaschinen oder anders ausgedrückt autonome Waffensysteme. Im Hinblick darauf sagte der frühere NATO-Generalsekretär Rasmussen: „Wir sprechen nicht über eine Zukunftsvision. Die militärische Nutzung Künstlicher Intelligenz steht unmittelbar bevor.“

Um das klar zu machen: KI ist nicht „böse“. Ihre Software schreibt sich selbst fort, ist also lernfähig. Bei den sogenannten „Killer-Robotern“ entscheidet sie aber aufgrund von Algorithmen und ohne menschliches Zutun, ob und wer getötet wird. Die ethischen Fragen, die sich hier auftun und die dringend einer Diskussion bedürfen, sind u. a. die nach Entscheidung und Verantwortung.

Ridley Scotts Film aus dem Jahr 1982 entscheidet sich übrigens für ein von der Buchvorlage abweichendes Ende. Bei ihm zeigen die Androiden Trauer über den Verlust von ihresgleichen, also Mitgefühl, und Rick Deckard brennt mit einer Androidin durch. Ist Deckard ein Mensch oder ein Android? Das ist ungewiss, aber er scheint ein Mensch zu sein, wenn Menschsein bedeutet, nicht nur für Tiere, sondern auch für Androiden Mitgefühl zu entwickeln, für alle Wesen, lebendig im überkommenen Sinne oder nicht. Gleichzeitig schließt ihn diese Haltung aus der Gemeinschaft der Menschen aus, die alles nichtmenschliche Leben zum Abschuss freigegeben hat. Hier setzt der Film „Blade Runner 2049“ von Denis Villeneuve an, der Ende 2017 in die Kinos kam. Die Süddeutsche Zeitung attestierte ihm, „nicht nur die richtigen Fragen zur Zukunft des Menschen und seiner Maschinen“ zu stellen, sondern sie auch „mit hypnotischen Bildern“ zu beantworten.

„Blade Runner“ ist nicht so sehr ein Science-Fiction-Abenteuer (das ist nur der Vorwand), sondern ein philosophischer, moralischer und ethischer Durchlauf, ein Roman der Fragestellungen und der Ideen. Die Grundstimmung ist die des metaphysischen Ausgesetztseins. Die Frage heißt nicht „Wie geht die Geschichte aus?“, sondern „Wer bin ich?“.

 

Literaturhinweis

  • Philip K. Dick, Blade Runner (Do androids dream of electric sheep), Fischer TB 2017
  • Ridley Scott, Blade Runner. Film von 1982
  • Denis Villeneuve, Blade Runner 2049. Film von 2017
  • buddhistische Trauerzeremonie für AIBO-Hunde unter „aibo funeral“ im Netz
  • über „Blade Runner 2049“ SZ Nr. 228 vom 04. Oktober 2017

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In den Anfängen meiner wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Oxford habe ich mich mit sogenannten Liquid Junction Potentials (Flüssigkeitsgrenzflächenpotenzialen) beschäftigt. Dabei handelt es sich um elektromagnetische Spannungen, die
zwischen zwei Flüssigkeitsphasen, z. B. zwischen einer öligen und einer wässrigen, entstehen. Solche Grenzflächen stellen
z. B. auch die Zellmembranen dar, die elementarsten Bausteine allen Lebens.

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In den Anfängen meiner wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Oxford habe ich mich mit sogenannten Liquid Junction Potentials (Flüssigkeitsgrenzflächenpotenzialen) beschäftigt. Dabei handelt es sich um elektromagnetische Spannungen, die zwischen zwei Flüssigkeitsphasen, z. B. zwischen einer öligen und einer wässrigen, entstehen. Solche Grenzflächen stellen z. B. auch die Zellmembranen dar, die elementarsten Bausteine allen Lebens. Die Funktion unserer Herzmuskelzellen und Nervenzellen wäre unmöglich, ohne die sich ständig ändernden Spannungsverhältnisse an diesen Grenzflächen verschiedener Flüssigkeitsphasen. Es ist genau jene Grenzfläche, jene Stelle, an welcher die lipide Phase gerade nicht mehr ist, aber die wässrige Phase gerade noch nicht begonnen hat. Jene unendlich kleine Leere, in welcher sich die elektromagnetische Spannung aufbaut und die alles Leben erst ermöglicht (die wir dann durch mathematische Gleichungen wie Nernst- oder Goldmanngleichung beschreiben können). Die Faszination dieses Prinzips hat mich bis heute nicht losgelassen und im Laufe der letzten 35 Jahre zu verschiedenen Betrachtungen inspiriert, die ich darstellen möchte.

Zeit

Vorweg möchte ich zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen: Stellen wir uns folgende Frage: „Wo ist die Vergangenheit?“ Unser erster Gedanke wird unwillkürlich sein: „Hinter mir!“ Und auf die Frage „Wo ist die Zukunft?“, wird die erste Antwort sein: „Vor mir.“ Nun, bei genauerer Betrachtung aber ist hinter mir die Lehne meines Stuhles und vor mir der Bildschirm oder die Zeitschrift, aber weder Vergangenheit noch Zukunft lassen sich dort finden. Wo ist aber nun die Vergangenheit, wo ist die Zukunft? Beide existieren ausschließlich in meinem Kopf – in Form von Erinnerungen, Engrammen, Vorstellungen und Projektionen.

Die eigene Vergangenheit ist bis zu einem gewissen Grad ein plastischer Prozess, der sich im Hier und Jetzt abspielt.

Im Zuge dieses permanenten Prozesses wird die Vergangenheit konstruktivistisch geformt und spiegelt das, was stattgefunden hat, eingepasst und angepasst an das eigene Selbstbild und Weltbild wider. So erscheint dann die Vergangenheit hier und jetzt in unserer Erinnerung, das heißt, die Vergangenheit passiert genau in diesem Augenblick in unserem Kopf. Und genau dieser Augenblick, diese „zeitlose Zeit“, ist gerade schon wieder vorbei. Unser Bewusstsein bewegt sich nämlich genau an jener Grenzfläche zwischen Vergangenheit und Zukunft, genau dort, wo die Gegenwart gerade noch nicht aufgehört hat und die Zuknft gerade noch nicht begonnen hat. Und wie verhält es sich mit dieser Zukunft? Sie entsteht ebenfalls hier und jetzt in unserem Kopf als Projektion unserer Erinnerungen.

Physikalische Körper/Raum

Bezüglich physikalischer Körper kann man sagen, dass zwei physikalische Körper nicht zur selben Zeit am selben Ort sein können und deshalb im Universum erst als Wahrnehmung durch die Sinne existieren. Sie tauchen erst in unserer Wahrnehmung und in unserem Bewusstsein dadurch auf, dass sie von anderen Körpern begrenzt werden. Prinzipiell gibt es keine leeren Räume im Universum, die Räume zwischen den Gestirnen sind ebenfalls gefüllt, dort finden sich dann vielleicht weniger Teilchen oder weniger verständliche Objekte: z. B. Lichtkorpuskel, Moleküle, Gesteinsbrocken, Antimaterie, schwarze Materie usw. Und wenn wir die Materie betrachten, wissen wir genau, wo ein Körper anfängt und wo ein anderer aufhört. Jetzt gibt es aber genau an der Stelle, an welcher das eine gerade aufgehört hat und das andere gerade noch nicht begonnen hat, ebenso eine Art Grenzfläche, wo das eine gerade nicht mehr und das andere gerade noch nicht ist. Das ist jene Grenzfläche, mit deren Bedeutung für unsere Existenz wir uns in den folgenden Absätzen beschäftigen werden.

Der Körper des Menschen und sein Ichempfinden

Ist es nicht so, dass unser Körper – zumindest das, was wir dafür halten – genau dort anfängt, wo ein anderer physikalischer Körper aufhört? Wenn ich plötzlich woanders anfange und aufhöre, bin ich dann eine andere Person? Als ich jung war, gab es in meiner Heimatstadt viele Kriegsversehrte, die im Krieg einen Arm oder ein Bein verloren hatten. Ist ein solcher Kriegsversehrter noch dieselbe Person? – Eigentlich Ja. Wenn wir uns jetzt also die physikalische Ebene anschauen, dann würde ich sagen: Unserem Empfinden nach sind wir der, der in seiner Haut steckt.  Das ist zumindest das Lebensgefühl, das wir haben. Hören wir wirklich dort auf, wo unsere Haut aufhört? Sind wir wirklich nach außen begrenzt? Sind wir auch ein physikalischer Körper, der dort aufhört, wo ein anderer anfängt? Machen wir nun einen kleinen Gedankensprung. In unserem Darm leben mehrere Kilogramm Bakterien, ohne deren Hilfe wir selbst nicht lange leben würden, weil die Verdauung nicht mehr funktionieren würde. Sind nun diese Bakterien, die in uns leben, wir selbst? Haben wir ihnen gegenüber ein Ichempfinden, weil wir ohne sie nicht leben, obwohl sie doch eigenständige Lebewesen sind? Oder ist die Darminnenhaut meine Außengrenze? Das könnte man weiterspinnen und könnte sagen, dass auch unsere Mitochondrien ein Teil des empfundenen ICH sind. Doch entwicklungsgeschichtlich sind sie eigene Lebewesen mit eigener DNA, die sich in unseren Körperzellen eingenistet haben. Sie haben sich vor Millionen von Jahren, als die Meere immer salziger wurden, in unseren Zellen ein Urmeermilieu geschaffen, in dem sie überleben können. Außerhalb von uns würden sie nicht mehr existieren können. Sie geben unseren Zellen dafür Energie ab und es entsteht eine Symbiose. Sie bezahlen sozusagen eine Untermiete an uns. Die Mitochondrien, obwohl eigenständige Lebewesen, sind für uns doch sicher ein Teil von dem, was wir als ICH empfinden. Wir empfinden sie wie eigene Organe. Übrigens, wenn ich ein Kunstherz bekomme…, ist dieses Kunstherz, ohne das ich nicht leben kann, ein Teil dessen, was ich als ICH empfinde?

Kann es vielleicht sein, dass wir überhaupt gar nicht dort aufhören, wo wir glauben, dass wir aufhören?

Kann es sein, dass unsere Darmbakterien doch ein Teil von uns sind? Oder vielleicht sogar Bakterien, die irgendwo außerhalb sind, zum Beispiel auf der Haut? Oder solche, die ganz wo anders sind? Die wir uns manchmal holen, wenn wir eine Infektionskrankheit brauchen, die unser Immunsystem aufrüttelt und dadurch vielleicht eine Krebserkrankung verhindert wird? Bei den Antworten auf diese Frage scheint es fließende Übergänge zu geben. So können wir feststellen: Auf physikalischer Ebene gibt es offensichtlich keine genaue Abgrenzung von uns, wir können nicht genau definieren, wer oder was wir sind. Die Grenzflächen sind unscharf. Wir verändern uns auch ständig. In einem Zeitraum von 12–14 Jahren wird unser gesamter Körper ausgetauscht, alle Zellbestandteile, alle Ionen, Aminosäuren und Eiweiße. Es scheint also eher so zu sein, dass wir ein Prozess sind: Aufnahme von Stoffen, Einbau, Funktion, Ausschleusung. Ich würde sagen, wir sind eine Zusammenfügung von Prozessen mit offenen Verbindungen nach außen.  Wir sind eine zeitabhängige Zusammenfügung von Teilchen und komplexen thermodynamischen Abläufen, die in einen konstanten Prozess münden, den wir Leben nennen. Das, was physikalisch als ICH empfunden wird, ist eine Art Fokussierungspunkt von biochemischen Prozessen und biologischen Abläufen, von Zellen mit ihrer DNA und deren unterschiedlichen Funktionen. Nennen wir es vielleicht eine fokussierte Zusammenfügung. Auf physikalischer Ebene können wir also nicht genau sagen: Das ist eine bestimmte Person, die lebt oder bereits verstorben ist. Letztere gibt es ja auch noch, aber in einer anderen Konsistenz: einerseits in der Erinnerung anderer, andererseits in verändertem Aggregatszustand, z. B. als Mineral und Kohlenstoff.

Existenz

Wenn Menschen schon sehr lange tot sind, ist das nicht so offensichtlich, wie wenn sie gerade gestorben und noch warm sind … Also hat die physikalische Ebene unserer Existenz etwas mit Offensichtlichkeit zu tun und sie hat eine gewisse Unschärfe. Cäsar ist nach wie vor im Bewusstsein der Menschen stark präsent und es gibt ihn sicher auch nach wie vor physikalisch, nur nicht so offensichtlich. Wahrscheinlich wurde er schon in Form von Mineralsalzen und Kohlenstoff ausgeschwemmt ins Meer. Es gibt ihn nicht mehr als die fokussierte Zusammenfügung, die seine Zeitgenossen kannten. Unsere gesamte Existenz hat also eine gewisse Unschärfe und diese wird dadurch erhöht, dass sich alles, wie wir gehört haben, ausschließlich im Hier und Jetzt in uns abspielt. Auch hier, im Zeitkontinuum, begegnen wir also mit der Ausschließlichkeit des Jetzt einer Grenzfläche, an welcher sich die Existenz vollzieht und in keine Richtung auf der Zeitachse entweichen kann. Und nur aus diesem Hier und Jetzt heraus und aus dieser Offensichtlichkeit können wir annehmen, es handelt sich um eine bestimmte Person.

Wirklichkeit

Als Letztes betrachten wir in diesem Kontext noch die Wirklichkeit: Auch sie unterliegt einem Grenzflächenphänomen: Sie hört dort auf, wo sie auf unser Bewusstes und unser Unbewusstes trifft, denn im Auftreffen auf unsere Sinne und unser Bewusstes/Unbewusstes unterliegt sie Interpretation und Verformung und verliert ihren phänomenologischen Anspruch einfach so zu sein wie sie ist, in ihrer Soheit, wie es die Buddhisten nennen würden. In anderen Worten:

An dieser Grenzfläche, wo die Wirklichkeit über die Sinne auf das Bewusste und das Unbewusste trifft, endet diese Wirklichkeit, und genau dort, wo die Wirklichkeit endet, fange ich selbst an und werde nie wissen, wie die Wirklichkeit draußen tatsächlich ist.

Diesen Gedanken kann man auch noch erweitern und sagen, dass das Unbewusste dort anfängt, wo das Bewusste aufhört. Manchmal verschwimmt das auch ein wenig: Manchmal ist es so, dass man etwas mehr im Unbewussten ist. In Trance zum Beispiel treibt man dann an dieser Grenzfläche zwischen Bewusstem und Unbewusstem entlang. Oder wenn man in der Früh aufwacht und gerade geträumt hat, ist man schon ein wenig im Bewussten, aber auch noch ein wenig im Unbewussten und denkt sich vielleicht: „Ich mache die Augen wieder zu und träume genau dort weiter, wo ich aufgehört habe …“ Und manchmal gelingt das sogar. Dann taucht man wieder hinunter in das große, weite Unbewusste, in das Reich der Träume. Nach diesen Betrachtungen können wir vielleicht auch einen Gedanken des großen buddhistischen Philosophen Nagarjuna aus dem 2. Jh. gut nachvollziehen, der die Existenz des Menschen mit dem Feuer vergleicht: „Nicht die Flamme ist das Feuer, nicht das Holz. – Nicht mehr Holz und noch nicht Flamme, das ist des Feuers Wesen. Es hat kein Sein in sich und deshalb ist es.“

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Der Beitrag Wo fängst du an und wo höre ich auf? erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

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