151 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/151/ Magazin für praktische Philosophie Tue, 14 Dec 2021 16:09:06 +0000 de hourly 1 Geistige Immunität https://www.abenteuer-philosophie.com/geistige-immunitaet/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=geistige-immunitaet https://www.abenteuer-philosophie.com/geistige-immunitaet/#respond Fri, 21 Sep 2018 05:46:39 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1372 Magazin Abenteuer Philosophie

„Viele Menschen glauben, Meditation bedeute einfach nur, mit geschlossenen Augen dazusitzen. Diese Art von Meditation kann sogar meine Katze, sie sitzt ruhig da und schnurrt. Wir Tibeter rezitieren oft so viele Mantras wie das „Om mani padme hum“, dass wir vergessen, den Ursachen des Leidens wirklich auf den Grund zu gehen. Vielleicht rezitiert meine Katze in Wirklichkeit „Om mani padme hum“ wenn sie schnurrt?“

Der Beitrag Geistige Immunität erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
Magazin Abenteuer Philosophie

Viele Menschen glauben, Meditation bedeute einfach nur, mit geschlossenen Augen dazusitzen. Diese Art von Meditation kann sogar meine Katze, sie sitzt ruhig da und schnurrt. Wir Tibeter rezitieren oft so viele Mantras wie das „Om mani padme hum“, dass wir vergessen, den Ursachen des Leidens wirklich auf den Grund zu gehen. Vielleicht rezitiert meine Katze in Wirklichkeit „Om mani padme hum“ wenn sie schnurrt?“ Mit diesen Worten zeigt der Dalai Lama wie so oft seinen Sinn für   Humor, der nicht einmal vor seiner eigenen Religion zurückschreckt. Doch wie funktioniert sinnvolle Meditation?

Der amerikanische Journalist Douglas Abrams hat den Dalai Lama 2015 eine Woche lang zu seinen Gedanken zum Thema Freude und zu seiner spirituellen Übungspraxis interviewt. Anlass war ein  treffen des Dalai Lama mit Desmond Tutu, dem ehemaligen Erzbischof von Südafrika, einer der moralischen Leitfiguren des friedlichen Kampfes gegen die Apartheid. Aus diesen Gesprächen ging ein Buch hervor, „Das Buch der Freude“, das 2016 im Lotos Verlag erschien. Es ist eine Quelle der Inspiration, ein Einblick in den philosophischen Geist des Dalai Lama und ein Handbuch voller praktischer spiritueller Übungen.

Einige Formen der Meditation sollen einfach nur einen Zustand des Nichtdenkens herbeiführen. Sie funktionieren wie ein Schmerzmittel: Angst und Wut verschwinden für eine Weile, aber sie kommen wieder, wenn die Meditation zu Ende ist.

Dalai Lama

Alle spirituellen Traditionen haben das Ziel, Schmerz zu überwinden und zum Glück zu führen. Der Buddha lehrte vor zweieinhalbtausend Jahren, dass man dem Schmerz nicht ausweichen kann: „Das Leben ist Schmerz“ ist die erste Edle Wahrheit des Buddhismus. Vermeidung funktioniert nur bedingt, Stress, Sorgen und Schwierigkeiten holen jeden Menschen immer wieder ein. Also ist es nicht zielführend, den Belastungen und Sorgen zu entfliehen und sich nach einem „ewigen Urlaub“ zu sehnen. Viel sinnvoller ist es, mit innerer Stärke den Belastungen des Lebens zu trotzen, so wie es das Immunsystem des Körpers zeigt. Unzählige Krankheitserreger werden täglich davon abgehalten, uns zu schaden. Wir werden dann krank, wenn unser Abwehrsystem schwach wird.

„Geistige Immunität wird dadurch erworben, dass wir lernen, destruktive Gefühle zu vermeiden und positive zu entwickeln.“ Und deswegen, so führt der Dalai Lama aus, beschäftigt er sich bei seinen eigenen Meditationen mehr damit, die Ursache der Dinge zu suchen, anstatt ihre Symptome zu bekämpfen. Diese Meditationsform nennt er „analytische Meditation“. Sie hat das Ziel, Abstand zu den Alltagsgedanken und flüchtigen Emotionen zu gewinnen.

„Bei der analytischen Meditation kann man seine Gedanken als Gedanken sehen und lernt, nicht an sie gekettet zu sein, sich nicht mit ihnen zu identifizieren. Man erkennt, dass die eigenen Gedanken nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Man stellt ständig die Frage: Was ist die Realität? Was ist dieses Selbst oder Ich, das wir so sehr lieben und das so viel von unserer Anteilnahme in Anspruch nimmt? Wir stellen Betrachtungen über die Unbeständigkeit und die vergängliche Natur unserer Existenz an.“ Dalai Lama Mit anderen Worten, man erkennt, wer man wirklich ist und was nur flüchtige Äußerlichkeiten sind. Meditation kommt vom Wort „meditare“, was bedeutet zur Mitte gehen, sozusagen zum Wesen einer Sache. In unserer schnelllebigen Zeit werden wir aber durch viele Einflüsse, insbesondere die Medien, die Werbung und die vielen Ablenkungen immer nach außen gezogen. Wir leben in einer Welt der Zerstreuung. Viele Menschen empfinden sich wie ein Hamster im Rad, immer am Rennen, nie ankommend. Das frustriert und macht unglücklich. Im Sanskrit bedeutet Leid „Dukkha“, was so viel bedeutet wie „eine schlechte Achse haben“, also ein Rad, das „eiert“, ist die Achse nicht in der Mitte, sondern irgendwo exzentrisch. Umgekehrt bedeutet Glück „Sukkha“, „eine gute Achse haben“, also ein Rad, das rund läuft. Wenn uns das Leben also aus unserer Achse wirft, so werden wir solange leiden, bis wir uns besinnen und zu unserem Zentrum zurückkehren. Das Zentrum steht für alle unvergänglichen Dinge, das Äußere für die flüchtigen Gedanken, Emotionen, für Besitzdenken. Diese vergänglichen Elemente zu überwinden, lehrt der Buddhismus in seinen vier Erhabenen Wahrheiten und ist das Ziel der analytischen Meditation.

Durch die analytische Meditation können wir zur Wurzel von Angst und Wut vorstoßen. Wir können zum Beispiel entdecken, dass 90 % unserer Wut mentale Projektionen sind. Wir entdecken, dass wütende Worte in der Vergangenheit geäußert wurden und außer in unserem Gedächtnis nicht mehr existieren. Wer über diese Dinge nachdenkt, vermindert die Intensität seiner Wut und entwickelt eine mentale Immunität, sodass er selten in Zorn gerät.

Dalai Lama

 

Die analytische Meditation kann verschiedenste Themen behandeln und ist eine Möglichkeit, die Ursache von negativen Emotionen zu analysieren:

Übung der analytischen Meditation:

  1. Setzen Sie sich aufrecht hin und achten Sie auf eine ruhige und tiefe Bauchatmung.
  2. Sie können die Augen offen oder geschlossen halten.
  3. Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf Themen, die mit Emotionen wie Angst, Wut, Trauer oder Verzweiflung verbunden sind.
  4. Versuchen Sie nun, Ihre Sicht auf diese Probleme zu erweitern: Woher kommen diese Emotionen? Was davon ist begründet, was unbegründet? Wo haben Sie ähnliche Situationen in Ihrem Leben schon einmal bewältigt? Was bedeuten die eigenen Probleme in Relation mit den Problemen der Welt? Werden die Themen am Ende Ihres Lebens immer noch gleich belastend sein? Welche Tugenden oder innere Stärken können Sie dadurch nun entwickeln?

Diese Reflexion wird Ihr Bewusstsein erheben, wird Distanz zu manchen Problemen generieren und Ihre geistige Immunität fördern. Im Buddhismus wird von drei Wurzeln des Heilsamen gesprochen:

  1. Nicht-Anhaften
  2. Weisheit
  3. Mitgefühl

Durch die analytische Meditation wird die Unterscheidungskraft des Menschen, oder mit anderen Worten die Weisheit gestärkt: Was ist wichtig? Was ist dauerhaft? Was ist die Ursache der Dinge Dadurch entsteht auch ein gewisser Abstand zu den belastenden Themen des Lebens, also das „Nicht- Anhaften“.

Aber diese beiden Faktoren sind noch nicht genug. Ganz essenziell ist der dritte Punkt, das Mitgefühl. In einem buddhistischen Text aus dem 12. Jahrhundert wird über Lojong gesprochen, das Praktizieren des Mitgefühls:

Bedenke, dass du Leiden erleben wirst, solange du dich zu sehr auf dich selbst konzentrierst. Wenn du dich darauf versteifst, zu bekommen, was du willst und zu vermeiden, was du nicht willst, wirst du kein Glück finden.

Dalai Lama

Der Dalai Lama und mit ihm viele Tibeter, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sind selbst ein wunderbares Beispiel für das Praktizieren des Mitgefühls. Tausende Tibeter wurden und werden noch immer misshandelt, in grausamen Gulags, chinesischen Konzentrationslagern, festgehalten. Der entscheidende Faktor, ob sie die Qualen überstehen konnten, oder daran zugrunde gingen, ist laut dem Dalai Lama das Mitgefühl mit den Folterern. Nicht die wilde Entschlossenheit, sondern die Warmherzigkeit dessen, der weiß, welchen grausamen Fehler gegen seine Seele der andere nun aus Unwissenheit begeht.

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, dass Verletzungen bei Mensch und Tier schneller heilen, wenn sich die Individuen um andere kümmern, statt nur um sich selbst. Botenstoffe wie Oxytocin und Serotonin werden im Gehirn ausgeschüttet, die unser Glücksgefühl steigern und sich förderlich auf Heilungsprozesse im Körper auswirken. Mitgefühl bedeutet aber nicht Mitleid. „Wenn wir einen Menschen sehen, der von einem Felsbrocken zerquetscht wird, bedeutet Mitgefühl nicht, sich auch unter den Felsbrocken zu legen, um zu spüren, was der andere spürt, sondern bei der Entfernung des Felsbrockens zu helfen.“ Dalai Lama

Übung des Mitgefühls:

  1. Nehmen Sie eine bequeme Sitzposition ein
  2. Machen Sie einige tiefe Atemzüge durch die Nase
  3. Denken Sie an einen Angehörigen, einen Freund oder auch eine Person, mit der Sie Schwierigkeiten haben. Beobachten Sie, welche Gefühle auftauchen. Wenn es positive Gefühle sind, verweilen Sie bei ihnen.
  4. Denken Sie daran, dass jeder Mensch frei von Leiden sein will. Füllen Sie Ihr Herz mit dem Wunsch, dass alle Menschen frei von Leiden sein mögen. Was können Sie dafür tun? Was können Sie sagen? Wie können Sie dazu beitragen?

Was hält uns davon ab, unser Denken zu schulen – indem wir diese oder ähnliche Übungen in die Praxis umsetzen? Der Dalai Lama steht jeden Tag zwischen drei und vier Uhr auf, um für ca. vier Stunden seine Übungen zu praktizieren! Daraus bezieht er seine Weisheit, seine scharfe Intelligenz und seine unerschütterliche und ansteckende Freude! Warum sollten Sie es nicht auch versuchen?

 

Literaturhinweis:
  • Dalai Lama, Desmond Tutu, Douglas Abrams: Das Buch der Freude. Lotos Verlag, 2016, München.
  • Franz Alt, Dalai Lama: Der Apell des Dalai Lama an die Welt, Benevento Publishing Verlag, 2015, Wals bei Salzburg

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Bestelle diese Ausgabe oder abonniere ein Abo. Viel Inspiration und Freude beim Lesen.

Diese Artikel könnten Dich auch interessieren

Der Beitrag Geistige Immunität erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
https://www.abenteuer-philosophie.com/geistige-immunitaet/feed/ 0
Nr. 151 (1/2018) https://www.abenteuer-philosophie.com/ausgabe-151-das-neue-wir/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=ausgabe-151-das-neue-wir https://www.abenteuer-philosophie.com/ausgabe-151-das-neue-wir/#respond Fri, 18 May 2018 14:34:29 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1174 Magazin Abenteuer Philosophie

Der Beitrag Nr. 151 (1/2018) erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
Magazin Abenteuer Philosophie

Diese Ausgabe bestellen

6,90Add to cart

Aus dem Inhalt

philoSPIRIT

Christine Schramm
Das neue WIR
Kooperation statt Konkurrenz
Andreas Stock
Geistige Immunität
Der Dalai Lama verrät, wie Sie mit Meditation die Kraft aus der Mitte stärken
Sabina Jarosch
Berührende Medizin
Neueste Erkenntnisse der Berührungsforschung

philoSCIENCE

Heribert Holzinger
Die Renaissance begann in Köln
Wie die deutsche Mystik eine neue Welt hervorbrachte
Barbara Fripertinger
Mut zur Faulheit
Die Arbeit und ihr Schicksal – Philosophicum Lech 2017
Barbara Fripertinger
A Long and Winding Road
Interview mit Martin Seel über die Balance von Tugenden und Lastern

philoSOCIETY

Walter Krejci
Wir Deutschen!
Betrachtungen eines Wahldeutschen über ein Volk mit Potenzial
Manuel Stelzl
Eine Ethik der Zukunft
Wie sie aussehen müsste, damit wir überleben können
Jan Opielka
Gehe mir nicht in die Sonne
Ein kleines Plädoyer für eine große Grundkultur
Sabina Jarosch
Das Hohe Friedensfest
Der weltweit einzige Feiertag, der nur in Augsburg gilt

philoART

Ingrid Kammerer
Die Irrfahrt des Michael Aldrian
Das neue Buch von Gerhard Roth
Katharina Lücke
Der Film: Human
Wenn Sie Ihr Herz öffnen, beginnt Ihr Gespräch mit der Welt
Sophie von Allersleben
Chartres
Die Kathedrale der Welt – Die Welt als Kathedrale

philoSOPHICS

Astrid Ringe
Der Mond ist aufgegangen
Gudrun Gutdeutsch
Die Entdeckung der Langsamkeit
Manuel Stelzl
„Sei wie ein Fels, …“
Marcus Aurelius Antonius
Martinissimo
Wo Kühe und Schafe Edelweiß fressen
Kirgisien – Nomadische Stammeskultur in unberührter Natur
Ingrid Kammerer
Die kleine Welle
Renate Knoblauch
Narzissos und die Angst vor Veränderung

Diese Ausgaben könnten Dir auch gefallen

Der Beitrag Nr. 151 (1/2018) erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
https://www.abenteuer-philosophie.com/ausgabe-151-das-neue-wir/feed/ 0
„Sei wie ein Fels …“ https://www.abenteuer-philosophie.com/marcus-aurelius-fels/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=marcus-aurelius-fels https://www.abenteuer-philosophie.com/marcus-aurelius-fels/#respond Fri, 26 May 2017 06:37:31 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1379 Magazin Abenteuer Philosophie

"... an dem sich beständig die Wellen brechen! Er steht fest und dämpft die Wut der ihn umbrausenden Wogen! Ich Unglücklicher sagt jemand, dass mir dieses Schicksal widerfahren musste! Nicht doch, sondern glücklich bin ich, dass ich trotz dieses Schicksals kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt noch von der Zukunft geängstigt!“ Marcus Aurelius Antoninus (120–180 n. Chr.)

Der Beitrag „Sei wie ein Fels …“ erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
Magazin Abenteuer Philosophie

Sei wie ein Fels an dem sich beständig die Wellen brechen! Er steht fest und dämpft die Wut der ihn umbrausenden Wogen! Ich Unglücklicher sagt jemand, dass mir dieses Schicksal widerfahren musste! Nicht doch, sondern glücklich bin ich, dass ich trotz dieses Schicksals kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt noch von der Zukunft geängstigt!

Marcus Aurelius Antoninus (120–180 n. Chr.)

Es ist etwas typisch Menschliches, durch den korrumpierenden Einfluss von Reichtum und politischer Macht mit der Zeit sich dramatisch zu verändern. Wie viele solcher Beispiele gab es bislang in der Geschichte – und wie wenige echte Vorbilder auf der anderen Seite? Nämlich Menschen mit Charakterstärke, die Machtfülle mit Weisheit, Selbstdisziplin und Prinzipientreue verbanden und nicht korrumpiert werden konnten? Es sind gerade die Charaktertugenden der Demut, Mäßigung, Dankbarkeit und Wertschätzung, die Menschen in Machtpositionen leicht verlieren, bevor sie endgültig der Machtgier verfallen. Anders war dies bei Marcus Aurelius. Einst war er römischer Kaiser und mächtigster Mann der Welt. Von 161-180 n . n. Chr. lenkte er die Geschicke des Römischen Reichs und tat dies mit unvergleichlicher Disziplin und Willen, an sich zu arbeiten. Das Einmalige an ihm war, dass er auf Selbsterziehung und charakterliche Vervollkommnung mehr Wert legte als auf alles andere, das wir im Leben erwerben können. Seiner Verantwortung war er sich dabei mehr bewusst als jeder andere Kaiser, da er glaubte, dass es seine kosmische Bestimmung und Pflicht sei, dem Gemeinwohl bestmöglich zu dienen. Diese Überzeugung entstammte seiner stoischen Weltanschauung und seinem Glauben an die heimarmene (Vorsehung). Denn er gehörte einer philosophischen Tradition an, die die rechte Lebensweise samt Disziplinierung des eigenen Charakters zum obersten Gebot ihrer Ethik machte: die Stoa. „ARBEIT AN SICH SELBST“ – was für eine Leerformel ist das heute geworden – und was hat dies noch im Leben des Marcus Aurelius bedeutet. Konkret nachvollziehbar wird dies in den „Selbstbetrachtungen“ des Kaisers, die er in den Feldlagern seiner Soldaten an der Front verfasste. Die letzten 14 Jahre seines Lebens verbrachte er fast durchgehend im Krieg gegen die im Norden des Reichs eindringenden Quaden, Jazygen und Markomannen. Da er es für seine Pflicht hielt, seinen Soldaten beizustehen, weilte er meist unter ihnen. In dieser ungewissen und tristen Lage verfasste er seine Selbstbetrachtungen (eisheauton). Dabei handelt es sich um eine Art innere Unterredung, in denen sich Marcus Aurelius immer wieder ermahnt, am rechten Weg festzuhalten, nicht dem Cäsarenwahn zu verfallen, nicht zu jammern, sondern dankbar zu bleiben und nach bestem Gewissen gerechte Entscheidungen zu treffen. Denn sein größtes Anliegen war ihm das Wohlergehen seines Volkes und die Beherrschung seiner Affekte. Zu diesem Zweck hielt er es für nötig, sich selbst immer wieder zu ermahnen und zu besinnen – letztlich um seine Bestimmung zu erfüllen.

Verkaisere nicht! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. Erhalte dich daher einfach, gut, lauter, ernsthaft, gerechtigkeitsliebend, prunklos, gottesfürchtig, wohlwollend, liebevoll, standhaft in der Erfüllung deiner Pflichten. Ringe danach, dass du der Mann bleibest, zu dem dich die Philosophie bilden wollte. Ehre Gott, fördere das Heil der Menschen! Kurz ist das Leben und es gibt nur eine Frucht des irdischen Daseins: eine unsträfliche Gesinnung und gemeinnützige Taten.

Marcus Aurelius

 

Luxus und Ausschweifungen verachtete Marcus Aurelius ebenso wie Trägheit, Eigenlob, Feigheit und Verlogenheit. Und obwohl er häufig von Menschen umgeben war, die genau dazu neigten, bemühte er sich stets, Nachsicht mit ihnen zu haben. Für sein Volk wollte er sogar an der  Front noch als oberstes Organ römischer Rechtsprechung bei Prozessen zur Verfügung stehen. Es handelte sich um Gerichtsprozesse, die sonst in Rom ausgetragen wurden. Da er dort nicht anwesend sein konnte, ihm aber an Gerechtigkeit sehr viel lag, beorderte er einfach die streitenden Parteien zu sich ins Feldlager. Wann immer der Kaiser Zeit dazu fand, bemühte er sich, das Los der Menschen zu erleichtern und für Gerechtigkeit zu sorgen. Davon profitierten besonders Frauen und Sklaven.

Von allem Negativen, das die Nachwelt über ihn berichtet, konnten Marcus Aurelius nur zwei Entscheidungen zur Last gelegt werden: die Entscheidung, seinen Sohn Commodus zum Nachfolger zu bestimmen, womit das Goldene Zeitalter der römischen Kaiserzeit schließlich endete und – wer hätte das gedacht – dass er den Gladiatoren vorschrieb, mit Holzwaffen zu kämpfen. Insgesamt wurde kein Kaiser von der Nachwelt übereinstimmend so positiv dargestellt wie er. Marcus Aurelius war der Liebling der Humanisten und Aufklärer. Voltaire verehrte ihn, Friedrich der Große empfand eine Seelenverwandtschaft mit ihm und selbst Altkanzler Helmut Schmidt fand noch regelmäßig Zuspruch und Trost bei der Lektüre der Selbstbetrachtungen des Kaisers.

 

Literaturhinweis:
  • Marcus Aurelius: 2001. Selbstbetrachtungen. Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von Albert Wittstock. Stuttgart, Reclam
  • Marc Aurel: 2010. Wege zu sich selbst. Herausgegeben von Alexander Demandt. München: C.H. Beck (Kleine Bibliothek der Weltweisheit 15)
  • Pohlenz, Max: 1992. Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung. Göttingen: Van den Hoeck &Ruprecht, S. 341-353

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Bestelle diese Ausgabe oder abonniere ein Abo. Viel Inspiration und Freude beim Lesen.

Diese Artikel könnten Dich auch interessieren

Der Beitrag „Sei wie ein Fels …“ erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

]]>
https://www.abenteuer-philosophie.com/marcus-aurelius-fels/feed/ 0