153 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/153/ Magazin für praktische Philosophie Mon, 17 Dec 2018 21:32:11 +0000 de-DE hourly 1 Nr. 153 (3/2018) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-153-07-2018/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-153-07-2018 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-153-07-2018/#respond Sat, 22 Sep 2018 09:27:02 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1718 Magazin Abenteuer Philosophie

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Aus dem Inhalt

philoSOCIETY

Hannes Weinelt
„Unter meiner Würde“
Kennen wir diese Haltung überhaupt noch?
Wigbert Winkler
Das Gehirn – Computer oder Funkgerät?
Sophie von Allersleben
Was uns Monster zeigen
Gerald Hüther
Würde – Unser Kompass im Leben
Gerald Hüther im Interview mit Abenteuer Philosophie
Ronald H. Tuschl
Trump tanzt auf dem Vulkan
Können Menschenrechte durch militärische Intervention gewahrt werden?
Artemi Egorov
Wandel-Pioniere
Die Transition-Bewegung eröffnet neue Dimensionen der Nachhaltigkeit
Jan Opielka
Wohlstand ist gefährlich
Seine Risiken und Nebenwirkungen

philoSCIENCE

Robert Gasser
Gibt es den unsichtbaren Lebensstoff?
Mesmers Magnetismus im Licht der neuesten Forschung
Matthias Szalay
Würde als Therapie
Was die Beschäftigung mit Leben und Sterben bewirken kann
Diana Soldo
Wohl und Wehe der Pflanzen
Warum auch sie Anspruch auf artgerechte Haltung haben

philoART

Delia Steinberg Guzmán
Sinn für die Schönheit
Eine Endeckungsreise
Hannes Weinelt
Buchvorstellung: Philosophisches Theater
Katharina Lücke
Wie Kunst die menschliche Würde rettet
Friedrich Schiller über den kulturellen Auftrag des Künstlers

philoSPIRIT

Robert Gasser
Gibt es den unsichtbaren Lebensstoff?
Mesmers Magnetismus im Licht der neuesten Forschung
Matthias Szalay
Würde als Therapie
Was die Beschäftigung mit Leben und Sterben bewirken kann
Diana Soldo
Wohl und Wehe der Pflanzen
Warum auch sie Anspruch auf artgerechte Haltung haben

philoSOPHICS

Gudrun Gutdeutsch
Lebenskunst
Meditation auf den Punkt gebracht
Astrid Ringe
Philosymbol
Ein Diamant für jeden – Jeder ein Diamant
Manuel Stelzl
Von der Würde der Wahrheit
Giordano Bruno
Ingrid Kammerer
Philostory
Über die Würde des Menschen: Rede des Pico della Mirandola

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Würde – unser Kompass im Leben https://www.abenteuer-philosophie.com/wuerde-kompass/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wuerde-kompass https://www.abenteuer-philosophie.com/wuerde-kompass/#respond Sat, 22 Sep 2018 09:12:17 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1726 Magazin Abenteuer Philosophie

Was wir gegenwärtig weltweit erleben, sind in meinen Augen und mit viel Abstand aus neurobiologischer Perspektive betrachtet, immer deutlicher zutage tretende Anzeichen eines tiefgreifenden Transformationsprozesses, der inzwischen alle Bereiche unseres Zusammenlebens und damit auch das Denken, Fühlen und Handeln der meisten Menschen erfasst hat.

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Wie schätzen Sie als Neurobiologe die momentane Lage unserer Welt/Gesellschaft ein?

Was wir gegenwärtig weltweit erleben, sind in meinen Augen und mit viel Abstand aus neurobiologischer Perspektive betrachtet, immer deutlicher zutage tretende Anzeichen eines tiefgreifenden Transformationsprozesses, der inzwischen alle Bereiche unseres Zusammenlebens und damit auch das Denken, Fühlen und Handeln der meisten Menschen erfasst hat. Immer deutlicher tritt nun vieles an sozialen Unzulänglichkeiten und Wiedersprüchen zutage, was bisher in dieser Weise weder offen sichtbar noch hinreichend spürbar gewesen ist. Ratlosigkeit und Verunsicherung breiten sich deshalb aus. Vielen ist klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, aber niemand weiß, wie es anders, wie es besser werden kann. Manche fordern eine Wiederherstellung der alten Ordnung. Manchen hoffen auf neue Lösungen durch wissenschaftlich-technische Innovationen. Die meisten aber versuchen, diesen Zustand einfach nur auszuhalten. Sie reden sich gegenseitig ein, es sei doch alles in Ordnung und bemühen sich darum, selbst möglichst gut durchzukommen.

Aber mit der Beschreibung dieser gegenwärtigen Lage kommen wir nicht weiter. Wir müssten verstehen, wie und weshalb sie entstanden ist. Meine Erklärung lautet: Die tieferliegende Ursache dieser allgemeinen Verunsicherung ist die fortschreitende Auflösung der unser Zusammenleben über Jahrtausende hinweg bestimmenden hierarchischen Ordnungsstrukturen. Sie haben uns in die Lage versetzt, vielfältige äußere Bedrohungen abzuwenden und als soziale Gemeinschaften zu überleben. Die allen Hierarchien innewohnenden Aufstiegsbestrebungen ihrer Mitglieder führte aber auch zu besonderen Leistungen in Form vielfältiger wissenschaftlich-technischer und kultureller Innovationen.

Als zwangsläufige Folge dieser vielen kleinen und großen Fortschritte entstand eine zunehmend komplexer werdende Lebenswelt. Inzwischen sind wir im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung angekommen und müssen nun erleben, dass sich unser Zusammenleben in dieser hochkomplex gewordenen Welt nicht mehr mit Hilfe der bisher bewährten hierarchischen Ordnungsstrukturen steuern lässt. Das alte Ordnungsprinzip, in dem sich Menschen als Einzelne oder als widerstreitende Interessengruppen gegenseitig zu Objekten ihrer jeweiligen Absichten und Ziele gemacht haben, funktioniert nicht mehr, und ein neues soziales Ordnungsprinzip ist nicht in Sicht. Aber ohne ein ihr Zusammenleben ordnendes Prinzip zerfällt jede Gemeinschaft. Und als Einzelwesen können wir nicht überleben, geschweige denn, uns weiterentwickeln.

Was schlagen Sie als philosophisch-praktische Lösung vor?

Die bisher im Rahmen dieser hierarchischen Ordnungsstrukturen gemachten Erfahrungen sind tief in unseren Gehirnen verankert und bestimmen als innere Einstellungen und Haltungen das Denken, Fühlen und Handeln der meisten Menschen. Verändern können  sich diese alten eingeprägten Muster nur durch günstigere Erfahrungen eines gelingenden Miteinanders. Möglich wird das immer dann, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft ein gemeinsames Anliegen verfolgen, das allen gleichermaßen bedeutsam ist, ihnen also allen am Herzen liegt. Dann beginnen die Mitglieder dieser Gemeinschaften einander als Subjekte zu begegnen anstatt sich gegenseitig zu Objekten ihrer Absichten, Erwartungen, Bewertungen etc. zu machen. Nur unter diesen Bedingungen entstehen die erforderlichen Spielräume für co-kreative Entwicklungen.

Ihr neuestes Buch haben Sie dem Thema Würde gewidmet. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Wer sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, stellt sich nicht länger anderen als Objekt zur Verfügung. Und er benutzt auch keine andere Person wie ein Objekt, macht also niemand zum Objekt seiner eigenen Interessen, Erwartungen, Bewertungen oder gar Maßnahmen. Genau darum, also um die Bewusstwerdung der eigenen Würde geht es in diesem Buch. Auch darum, wie es gelingen kann, sich seiner eigenen Würde bewusst zu werden. Es kommt ja niemand schon mit einer Vorstellung seiner eigenen Würde zur Welt.  Heranwachsende können sich nur durch eigene günstige Erfahrungen in der Beziehung zu anderen als Teil ihres Selbstbildes entwickeln. Die Vorstellung oder das Bewusstsein der eigenen Würde ist also eine Art innerer Kompass, der Menschen hilft, ihr Leben und ihr Zusammenleben so zu gestalten, dass es für alle gut ist – dass eine gemeinsame Weiterentwicklung ermöglicht wird.

Wenn es im Grundgesetz heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, bringt das  nur zum Ausdruck, dass die Würde etwas ist, das jeder Mensch (gottgegeben) besitzt. Aber wie soll jemand, der würdelos handelt oder würdelos behandelt wird, seine Würde wahren, wenn er sich ihrer gar nicht bewusst ist?

Wie können wir Würde in der Praxis umsetzen?

Ich denke, es kommt zunächst erst einmal darauf an, dieses Thema der Wahrung der eigenen Würde zu einem Gegenstand öffentlicher Diskussion zu machen. Deshalb haben wir in der Akademie für Potentialentfaltung die Initiative „Würdekompass“ gestartet. Mit ihrer Hilfe sollen in Städten und Gemeinden möglichst viele Würdekompass-Gruppen entstehen, die nach Möglichkeiten und Wegen für ein würdevolleres Zusammenleben der Menschen vor Ort suchen. (siehe Kasten).

Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Wenn das bisherige soziale Ordnungssystem der Hierarchie zerfällt, bleibt eigentlich keine andere Lösung zur Aufrechterhaltung eines geordneten Zusammenlebens mehr übrig als die Herausbildung und Stärkung eines inneren Kompasses in jedem einzelnen Menschen. Der sollte ihm helfen, sein eigenes Leben und sein Zusammenleben mit anderen so zu gestalten, dass es für alle fruchtbar wird und die Weiterentwicklung aller ermöglicht. Der brauchbarste Begriff, den ich für diesen inneren Kompass gefunden habe, ist der unserer eigenen Würde.

Wenn es eine Sache gibt, die Sie ändern könnten, welche wäre das?

Man kann ja nichts wirklich verändern, außer sich selbst. Aber wir alle können dazu beitragen, Erfahrungsräume und Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer es hochwahrscheinlich wird, dass sich auch andere Menschen dazu entschließen, sich weiterzuentwickeln.

Mit dem Würde-Buch, dem Würde-Aufruf und der Würdekompass-Initiative versuche ich genau das: ein Umfeld zu schaffen, das möglichst viele Menschen auf die Idee bringt, sich zu fragen, ob das, was sie tagtäglich tun, mit ihrer Würde vereinbar ist. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Aber zumindest versuchen wollte ich es schon.

 

Gerald Hüther

Gerald Hüther (*1951 in Emleben) zählt zu den bekanntesten Hirnforschern Deutschlands. Praktisch befasst er sich im Rahmen verschiedener Initiativen und Projekte mit neurobiologischer Präventionsforschung. Er schreibt Sachbücher, hält Vorträge, organisiert Kongresse, arbeitet als Berater für Politiker und Unternehmer und ist häufiger Gesprächsgast in Rundfunk und Fernsehen. So ist er Wissensvermittler und –umsetzer in einer Person.

Studiert und geforscht hat er in Leipzig und Jena, dann seit 1979 am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen. Er war Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von 2004 – 2016 als Prof. für Neurobiologie an der Universität Göttingen beschäftigt. 1994-2006 leitete er eine von ihm aufgebaute Forschungsabteilung an der psychiatrischen Klinik in Göttingen. 2006 – 2016 befasste er sich mit der Verbreitung von Erkenntnissen auf dem Gebiet der Neurobiologischen Präventionsforschung. 2015 Gründung der Akademie für Potentialentfaltung und Übernahme ihrer Leitung als Vorstand.In seiner Öffentlichkeitsarbeit geht es ihm um die Verbreitung und Umsetzung von Erkenntnissen aus der modernen Hirnforschung. Er versteht sich als „Brückenbauer“ zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Ziel seiner Aktivitäten ist die Schaffung günstigerer Voraussetzungen für die Entfaltung menschlicher Potentiale.

www.gerald-huether.de
www.wuerdekompass.de

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Was ist das Gehirn? https://www.abenteuer-philosophie.com/was-ist-das-gehirn/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=was-ist-das-gehirn https://www.abenteuer-philosophie.com/was-ist-das-gehirn/#respond Tue, 18 Sep 2018 08:24:20 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1733 Magazin Abenteuer Philosophie

Wie entsteht Bewusstsein? Wird es vom Gehirn erzeugt oder „bloß“ empfangen? Dies ist nach wie vor ein großes Rätsel. Die Antwort darauf kann unser Weltbild revolutionieren ...

Der Beitrag Was ist das Gehirn? erschien zuerst auf Abenteuer Philosophie Magazin.

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WWie entsteht Bewusstsein? Wird es vom Gehirn erzeugt oder „bloß“ empfangen? Dies ist nach wie vor ein großes Rätsel. Die Antwort darauf kann unser Weltbild revolutionieren …

Die Wissenschaften der Psychologie, der Neurologie und auch der Philosophie versuchen, das Bewusstsein zu lokalisieren. Zur Erklärung des Bewusstseins gibt es zwei grundsätzliche Hypothesen hinsichtlich der Funktion des Gehirns. Die gängigste Hypothese sieht das Gehirn als eine Art Computer, also als ein Rechenwerk, das über einen großen Speicher für alle komplexen Informationen, die der Körper verarbeitet, verfügt. Diese „Produktionshypothese“ besagt, dass das Gehirn das Bewusstsein erschafft. Sie kann aber nicht alle Phänomene des Bewusstseins hinlänglich erklären. Als Alternative gibt es die „Transmissionshypothese“, die das Gehirn als eine Art Funkgerät versteht.

Als ein Beispiel für die vielen Phänomene, die mit der Produktionshypothese nicht befriedigend erklärt werden können, möchte ich einen Fall von „terminaler Geistesklarheit“ vorstellen. Dies sind Fälle von Menschen mit völlig eingeschränktem Bewusstsein und in vielen Fällen auch mit nachgewiesen geschädigtem Gehirn, wo klare lichte Momente präfinal  auftreten. Rätselhaft ist dabei nicht nur das Auftreten dieser Momente, sondern auch warum sich diese gerade kurz vor dem Tod ereignen.

Das Beispiel von Käthe ist ein eindrucksvoller und berührender Fall. Käthe, geboren am 30.5.1895, hatte im Alter von sechs Wochen lang andauernde Krämpfe und lernte erst mit 2,5 Jahren gehen. Mit sechs Jahren, am 17.6.1901, kam sie in die Heil- und Pflegeanstalt Hephata in Treysa in Hessen (D) und verbrachte dort ihr gesamtes weiteres Leben bis zu ihrem Tod am 1.3.1922. Der damalige Anstaltsleiter Dr. Friedrich Happich (1883 – 1951) schrieb:

„Käthe war von Geburt völlig verblödet und hat nie ein Wort sprechen gelernt. Stundenlang starrte sie auf einen Punkt, dann zappelte sie wieder stundenlang ohne Unterbrechung. Sie schlang Nahrung hinunter, schied das Aufgenommene wieder aus, stieß einen tierischen Laut aus und schlief. Andere Lebensregungen haben wir in den langen Jahren von ihr nie wahrgenommen. Nie haben wir bemerkt, dass sie auch nur eine Sekunde an dem Leben ihrer Umgebung teilnahm. Auch körperlich wurde das Mädchen immer elender; ein Bein musste ihr abgenommen werden, und das Siechtum wurde immer stärker.“

Am Morgen des 1.3.1922 sagte eine Schwester zum Oberarzt, dass es mit Käthe wohl bald vorbei sein würde, denn sie sänge schon eine Zeit lang vor sich hin. In derartigen Anstalten ist bekannt, dass auffällig anderes Benehmen ein Zeichen für sein nahes Ende sei.

Dr. Happich kommentierte:

„Als wir gemeinsam das Sterbezimmer betraten, trauten wir unseren Augen und Ohren nicht: Die von Geburt an völlig verblödete Käthe sang sich selbst die Sterbelieder.  ‚Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh? Ruh, Ruh, himmlische Ruh!‘ Eine halbe Stunde lang sang Käthe. Ihr Gesicht war vergeistigt und verklärt. Dann schlief sie still ein. Immer wieder sagte der Arzt, dem ebenso wie der pflegenden Schwester die Tränen in den Augen standen: ‚Medizinisch stehe ich völlig vor einem Rätsel. Durch eine Sektion kann ich, wenn es verlangt wird, nachweisen, dass Käthes Hirnrinde restlos zerstört und anatomisch Denkfähigkeit nicht mehr möglich war.‘“

„Käthe hatte also nur scheinbar an alledem, was in der Umgebung vor sich ging, nicht teilgenommen. In Wirklichkeit hatte sie aber sichtlich gar manches in sich aufgenommen. Denn woher hatte sie Text und Melodie des Liedes, wenn nicht aus der Umgebung? Und sie hatte den Inhalt des Liedes richtig verstanden und wandte ihn in der entscheidenden Stunde ihres Lebens an. Das war schon wie ein Wunder. Noch größer erschien uns das Wunder, dass die bis dahin völlig stumme Käthe plötzlich klar und deutlich Worte des Liedes wiedergeben konnte, obwohl durch zahlreiche Hirnhautentzündungen solche anatomischen Veränderungen in der Hirnrinde vor sich gegangen sind, dass es dem Verstand nicht begreiflich ist, dass das sterbende Mädchen plötzlich klar und deutlich und mit Verständnis singen kann.“

Das Phänomen der terminalen Geistesklarheit ist zwar schon seit der Antike mehrfach erwähnt, wird aber erst seit kurzer Zeit untersucht. Von Brayne, Lovelace und Fenwick wurde 2008 eine Untersuchung vorgestellt, in der das Pflegepersonal von Hospizen hinsichtlich ungewöhnlicher Phänomene in Todesnähe befragt wurde. Michael Nahm hat 2012 ein erstes umfangreiches Werk über die Phänomene in Todesnähe und im Speziellen die terminale Geistesklarheit veröffentlicht.

Es ist sehr beachtenswert, bei wie vielen organischen Gehirnerkrankungen terminale Geistesklarheit auftreten kann. Es gibt Fälle von Hirnhautentzündung, massiver Gehirnvereiterung, abnormer Füllung von Gehirnpartien mit Wasser und Blut, Schlaganfälle, Gehirnzersetzung durch Tumore, Fälle von Demenz wie der Alzheimerkrankheit. Es gibt auch Fälle von psychischen Erkrankungen, bei denen das Gehirn kaum verändert wird, wie z.B. bei der Schizophrenie. Bei vielen dieser Krankheiten ist es nach dem herkömmlichen Verständnis der Funktionen des Gehirns ausgeschlossen, dass der Mensch je wieder zu einer Geistesklarheit kommen könnte. Und doch leuchtet der ursprüngliche Geist kurz vor dem Tode wieder vollständig auf.

Oskar Bloch, ein Professor für Chirurgie in Kopenhagen, formulierte diese Unerklärlichkeit 1909 so:

„Man wusste längst, dass Geisteskranke Perioden haben können, in denen sie ganz gesund sind. … Wenn so ein Geisteskranker in seiner klaren Periode stirbt, so stirbt er ganz so wie ein Geistesgesunder. Wenn aber der, welcher seit Jahren geisteskrank ist, der teilnahmslos dasaß, als ob die Welt für ihn nicht vorhanden sei, der mehr wie ein Tier als wie ein Mensch lebte, ja, der nicht einmal in Bezug auf Intelligenz so hoch wie ein Tier stand, wenn der plötzlich Zeichen von Vernunft zeigt – und dies geschieht kurz bevor er stirbt – muss man mit Recht staunen.“

Terminale Geistesklarheit wurde von den Alten oft „das letzte Aufflackern der Seele“ genannt. Man könnte es aber genauso als ein Zeichen für die Befreiung der Seele aus dem in solchen Fällen wahrlichen „Kerker“ ansehen.

Da das Hirn in wiederholten Fällen terminaler Geistesklarheit in relevanten Gehirnstrukturen weitgehend oder ganz zerstört gefunden wurde, erscheint die immer wieder genannte, biochemische Erklärung, dass kurz vor dem Tod ausgeschüttete Endorphine – diese können bekanntlich Glücksgefühle auslösen – für die terminale Geistesklarheit verantwortlich „sein könnten“, völlig unzureichend. An dem exemplarischen Fall „Käthe“ ist leicht zu erkennen, dass die Hypothese, das Bewusstsein würde vom Gehirn hervorgebracht und wäre nichts anderes als das Produkt der Komplexität des Nervensystems, diesen Fall nicht befriedigend oder besser gesagt gar nicht erklären kann. Und diese Unerklärbarkeit durch das „Computermodell“ des Gehirns verbindet diesen Fall der terminalen Geistesklarheit mit vielen anderen Phänomenen wie außerkörperliche Erfahrungen, Inselbegabungen, Spontanheilungen, Gedankenübertragung und anderen.

Als Alternative gibt es die heute wenig bekannte „Transmissions- oder Übertragungshypothese“. Schon Immanuel Kant hatte darauf aufmerksam gemacht, dass sich alle beobachtbaren Bewusstseinsphänomene mindestens genauso gut – wenn nicht besser – erklären lassen, wenn angenommen wird, dass das Gehirn nicht das Bewusstsein erzeugt, sondern stattdessen nur wie ein Überträger wirkt. Heute repräsentiert diese Funktionen das Funkgerät am besten wieder. Diese Hypothese setzt aber auch eine über den physischen Körper hinausgehende Wesenheit voraus, die wir als Seele oder Geist bezeichnen können.

William James (1842 – 1910), der amerikanische Psychologe und Philosoph, Frederic W. H. Myers (1843 – 1901), der englische Dichter und Parapsychologe, und Henri Bergson (1859 – 1941), französischer Philosoph und Nobelpreisträger für Literatur, haben zahlreiche Belege dafür vorgelegt, dass das Bewusstsein sich vom physischen Körper trennen kann, und es eine nachtodliche Kontinuität des Bewusstseins gibt.

Diese Thesen sind in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts nahezu ganz in Vergessenheit geraten. Diese Zeit war geprägt von den plakativen Thesen Friedrich Nietzsches und Bertrand Russels und von Materialismus und Positivismus.

In neuerer Zeit machte John Searle (*1932), einer der renommiertesten Gegenwartsphilosophen, im Jahre 2004 darauf aufmerksam, dass „der Materialismus“ „in einem gewissen Sinn die Religion unserer Zeit“ ist, zumindest für die meisten „professionellen Experten“, die „auf den Gebieten der Philosophie, Psychologie, Bewusstseinsforschung und anderen Disziplinen“ tätig sind, die sich mit der Erforschung des Geistes („mind“) befassen. Der Materialismus wird von diesen Experten „akzeptiert, ohne ihn zu hinterfragen und er bildet den Rahmen, innerhalb dessen andere Fragen gestellt, angesprochen und beantwortet werden“.

Wenn wir nun die Transmissionshypothese auf den oben geschilderten Fall Käthe anwenden, dann erscheint Übertragung zumindest in eine Richtung gestört. Die terminale Geistesklarheit zeigt, dass die Umweltinformationen in Form des Liedes offensichtlich aufgenommen wurden. Ein übergeordnetes Bewusstsein hat möglicherweise alles „mitbekommen“, aber die Verbindung zur Steuerung des Körpers war gestört. Kurz vor dem Tod, war zumindest eine teilweise Verbindung da, sodass Käthe diesem Moment „würdevoll“ entgegentrat.

Wir stehen nun vor der seltsamen Situation, dass das derzeitige Paradigma zur Frage des Bewusstseins, die Produktionshypothese, viele Phänomene des Bewusstseins nicht befriedigend erklären kann und gleichzeitig wird die diese Themen viele besser abdeckende Transmissionshypothese ignoriert. Aber eine breite Annahme der Transmissionshypothese wäre mit einer Revolution des Weltbildes verbunden. Sie würde alle Lebensbereiche betreffen und mit einem umfassenden gesellschaftlichen Wandel verbunden sein.

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