152 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/152/ Magazin für praktische Philosophie Mon, 17 Dec 2018 15:37:13 +0000 de hourly 1 Wo fängst du an und wo höre ich auf? https://www.abenteuer-philosophie.com/wo-faengst-du-an-und-wo-hoere-ich-auf/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=wo-faengst-du-an-und-wo-hoere-ich-auf https://www.abenteuer-philosophie.com/wo-faengst-du-an-und-wo-hoere-ich-auf/#respond Sat, 26 May 2018 12:47:27 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1390 Magazin Abenteuer Philosophie

In den Anfängen meiner wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Oxford habe ich mich mit sogenannten Liquid Junction Potentials (Flüssigkeitsgrenzflächenpotenzialen) beschäftigt. Dabei handelt es sich um elektromagnetische Spannungen, die
zwischen zwei Flüssigkeitsphasen, z. B. zwischen einer öligen und einer wässrigen, entstehen. Solche Grenzflächen stellen
z. B. auch die Zellmembranen dar, die elementarsten Bausteine allen Lebens.

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In den Anfängen meiner wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Oxford habe ich mich mit sogenannten Liquid Junction Potentials (Flüssigkeitsgrenzflächenpotenzialen) beschäftigt. Dabei handelt es sich um elektromagnetische Spannungen, die zwischen zwei Flüssigkeitsphasen, z. B. zwischen einer öligen und einer wässrigen, entstehen. Solche Grenzflächen stellen z. B. auch die Zellmembranen dar, die elementarsten Bausteine allen Lebens. Die Funktion unserer Herzmuskelzellen und Nervenzellen wäre unmöglich, ohne die sich ständig ändernden Spannungsverhältnisse an diesen Grenzflächen verschiedener Flüssigkeitsphasen. Es ist genau jene Grenzfläche, jene Stelle, an welcher die lipide Phase gerade nicht mehr ist, aber die wässrige Phase gerade noch nicht begonnen hat. Jene unendlich kleine Leere, in welcher sich die elektromagnetische Spannung aufbaut und die alles Leben erst ermöglicht (die wir dann durch mathematische Gleichungen wie Nernst- oder Goldmanngleichung beschreiben können). Die Faszination dieses Prinzips hat mich bis heute nicht losgelassen und im Laufe der letzten 35 Jahre zu verschiedenen Betrachtungen inspiriert, die ich darstellen möchte.

Zeit

Vorweg möchte ich zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen: Stellen wir uns folgende Frage: „Wo ist die Vergangenheit?“ Unser erster Gedanke wird unwillkürlich sein: „Hinter mir!“ Und auf die Frage „Wo ist die Zukunft?“, wird die erste Antwort sein: „Vor mir.“ Nun, bei genauerer Betrachtung aber ist hinter mir die Lehne meines Stuhles und vor mir der Bildschirm oder die Zeitschrift, aber weder Vergangenheit noch Zukunft lassen sich dort finden. Wo ist aber nun die Vergangenheit, wo ist die Zukunft? Beide existieren ausschließlich in meinem Kopf – in Form von Erinnerungen, Engrammen, Vorstellungen und Projektionen.

Die eigene Vergangenheit ist bis zu einem gewissen Grad ein plastischer Prozess, der sich im Hier und Jetzt abspielt.

Im Zuge dieses permanenten Prozesses wird die Vergangenheit konstruktivistisch geformt und spiegelt das, was stattgefunden hat, eingepasst und angepasst an das eigene Selbstbild und Weltbild wider. So erscheint dann die Vergangenheit hier und jetzt in unserer Erinnerung, das heißt, die Vergangenheit passiert genau in diesem Augenblick in unserem Kopf. Und genau dieser Augenblick, diese „zeitlose Zeit“, ist gerade schon wieder vorbei. Unser Bewusstsein bewegt sich nämlich genau an jener Grenzfläche zwischen Vergangenheit und Zukunft, genau dort, wo die Gegenwart gerade noch nicht aufgehört hat und die Zuknft gerade noch nicht begonnen hat. Und wie verhält es sich mit dieser Zukunft? Sie entsteht ebenfalls hier und jetzt in unserem Kopf als Projektion unserer Erinnerungen.

Physikalische Körper/Raum

Bezüglich physikalischer Körper kann man sagen, dass zwei physikalische Körper nicht zur selben Zeit am selben Ort sein können und deshalb im Universum erst als Wahrnehmung durch die Sinne existieren. Sie tauchen erst in unserer Wahrnehmung und in unserem Bewusstsein dadurch auf, dass sie von anderen Körpern begrenzt werden. Prinzipiell gibt es keine leeren Räume im Universum, die Räume zwischen den Gestirnen sind ebenfalls gefüllt, dort finden sich dann vielleicht weniger Teilchen oder weniger verständliche Objekte: z. B. Lichtkorpuskel, Moleküle, Gesteinsbrocken, Antimaterie, schwarze Materie usw. Und wenn wir die Materie betrachten, wissen wir genau, wo ein Körper anfängt und wo ein anderer aufhört. Jetzt gibt es aber genau an der Stelle, an welcher das eine gerade aufgehört hat und das andere gerade noch nicht begonnen hat, ebenso eine Art Grenzfläche, wo das eine gerade nicht mehr und das andere gerade noch nicht ist. Das ist jene Grenzfläche, mit deren Bedeutung für unsere Existenz wir uns in den folgenden Absätzen beschäftigen werden.

Der Körper des Menschen und sein Ichempfinden

Ist es nicht so, dass unser Körper – zumindest das, was wir dafür halten – genau dort anfängt, wo ein anderer physikalischer Körper aufhört? Wenn ich plötzlich woanders anfange und aufhöre, bin ich dann eine andere Person? Als ich jung war, gab es in meiner Heimatstadt viele Kriegsversehrte, die im Krieg einen Arm oder ein Bein verloren hatten. Ist ein solcher Kriegsversehrter noch dieselbe Person? – Eigentlich Ja. Wenn wir uns jetzt also die physikalische Ebene anschauen, dann würde ich sagen: Unserem Empfinden nach sind wir der, der in seiner Haut steckt.  Das ist zumindest das Lebensgefühl, das wir haben. Hören wir wirklich dort auf, wo unsere Haut aufhört? Sind wir wirklich nach außen begrenzt? Sind wir auch ein physikalischer Körper, der dort aufhört, wo ein anderer anfängt? Machen wir nun einen kleinen Gedankensprung. In unserem Darm leben mehrere Kilogramm Bakterien, ohne deren Hilfe wir selbst nicht lange leben würden, weil die Verdauung nicht mehr funktionieren würde. Sind nun diese Bakterien, die in uns leben, wir selbst? Haben wir ihnen gegenüber ein Ichempfinden, weil wir ohne sie nicht leben, obwohl sie doch eigenständige Lebewesen sind? Oder ist die Darminnenhaut meine Außengrenze? Das könnte man weiterspinnen und könnte sagen, dass auch unsere Mitochondrien ein Teil des empfundenen ICH sind. Doch entwicklungsgeschichtlich sind sie eigene Lebewesen mit eigener DNA, die sich in unseren Körperzellen eingenistet haben. Sie haben sich vor Millionen von Jahren, als die Meere immer salziger wurden, in unseren Zellen ein Urmeermilieu geschaffen, in dem sie überleben können. Außerhalb von uns würden sie nicht mehr existieren können. Sie geben unseren Zellen dafür Energie ab und es entsteht eine Symbiose. Sie bezahlen sozusagen eine Untermiete an uns. Die Mitochondrien, obwohl eigenständige Lebewesen, sind für uns doch sicher ein Teil von dem, was wir als ICH empfinden. Wir empfinden sie wie eigene Organe. Übrigens, wenn ich ein Kunstherz bekomme…, ist dieses Kunstherz, ohne das ich nicht leben kann, ein Teil dessen, was ich als ICH empfinde?

Kann es vielleicht sein, dass wir überhaupt gar nicht dort aufhören, wo wir glauben, dass wir aufhören?

Kann es sein, dass unsere Darmbakterien doch ein Teil von uns sind? Oder vielleicht sogar Bakterien, die irgendwo außerhalb sind, zum Beispiel auf der Haut? Oder solche, die ganz wo anders sind? Die wir uns manchmal holen, wenn wir eine Infektionskrankheit brauchen, die unser Immunsystem aufrüttelt und dadurch vielleicht eine Krebserkrankung verhindert wird? Bei den Antworten auf diese Frage scheint es fließende Übergänge zu geben. So können wir feststellen: Auf physikalischer Ebene gibt es offensichtlich keine genaue Abgrenzung von uns, wir können nicht genau definieren, wer oder was wir sind. Die Grenzflächen sind unscharf. Wir verändern uns auch ständig. In einem Zeitraum von 12–14 Jahren wird unser gesamter Körper ausgetauscht, alle Zellbestandteile, alle Ionen, Aminosäuren und Eiweiße. Es scheint also eher so zu sein, dass wir ein Prozess sind: Aufnahme von Stoffen, Einbau, Funktion, Ausschleusung. Ich würde sagen, wir sind eine Zusammenfügung von Prozessen mit offenen Verbindungen nach außen.  Wir sind eine zeitabhängige Zusammenfügung von Teilchen und komplexen thermodynamischen Abläufen, die in einen konstanten Prozess münden, den wir Leben nennen. Das, was physikalisch als ICH empfunden wird, ist eine Art Fokussierungspunkt von biochemischen Prozessen und biologischen Abläufen, von Zellen mit ihrer DNA und deren unterschiedlichen Funktionen. Nennen wir es vielleicht eine fokussierte Zusammenfügung. Auf physikalischer Ebene können wir also nicht genau sagen: Das ist eine bestimmte Person, die lebt oder bereits verstorben ist. Letztere gibt es ja auch noch, aber in einer anderen Konsistenz: einerseits in der Erinnerung anderer, andererseits in verändertem Aggregatszustand, z. B. als Mineral und Kohlenstoff.

Existenz

Wenn Menschen schon sehr lange tot sind, ist das nicht so offensichtlich, wie wenn sie gerade gestorben und noch warm sind … Also hat die physikalische Ebene unserer Existenz etwas mit Offensichtlichkeit zu tun und sie hat eine gewisse Unschärfe. Cäsar ist nach wie vor im Bewusstsein der Menschen stark präsent und es gibt ihn sicher auch nach wie vor physikalisch, nur nicht so offensichtlich. Wahrscheinlich wurde er schon in Form von Mineralsalzen und Kohlenstoff ausgeschwemmt ins Meer. Es gibt ihn nicht mehr als die fokussierte Zusammenfügung, die seine Zeitgenossen kannten. Unsere gesamte Existenz hat also eine gewisse Unschärfe und diese wird dadurch erhöht, dass sich alles, wie wir gehört haben, ausschließlich im Hier und Jetzt in uns abspielt. Auch hier, im Zeitkontinuum, begegnen wir also mit der Ausschließlichkeit des Jetzt einer Grenzfläche, an welcher sich die Existenz vollzieht und in keine Richtung auf der Zeitachse entweichen kann. Und nur aus diesem Hier und Jetzt heraus und aus dieser Offensichtlichkeit können wir annehmen, es handelt sich um eine bestimmte Person.

Wirklichkeit

Als Letztes betrachten wir in diesem Kontext noch die Wirklichkeit: Auch sie unterliegt einem Grenzflächenphänomen: Sie hört dort auf, wo sie auf unser Bewusstes und unser Unbewusstes trifft, denn im Auftreffen auf unsere Sinne und unser Bewusstes/Unbewusstes unterliegt sie Interpretation und Verformung und verliert ihren phänomenologischen Anspruch einfach so zu sein wie sie ist, in ihrer Soheit, wie es die Buddhisten nennen würden. In anderen Worten:

An dieser Grenzfläche, wo die Wirklichkeit über die Sinne auf das Bewusste und das Unbewusste trifft, endet diese Wirklichkeit, und genau dort, wo die Wirklichkeit endet, fange ich selbst an und werde nie wissen, wie die Wirklichkeit draußen tatsächlich ist.

Diesen Gedanken kann man auch noch erweitern und sagen, dass das Unbewusste dort anfängt, wo das Bewusste aufhört. Manchmal verschwimmt das auch ein wenig: Manchmal ist es so, dass man etwas mehr im Unbewussten ist. In Trance zum Beispiel treibt man dann an dieser Grenzfläche zwischen Bewusstem und Unbewusstem entlang. Oder wenn man in der Früh aufwacht und gerade geträumt hat, ist man schon ein wenig im Bewussten, aber auch noch ein wenig im Unbewussten und denkt sich vielleicht: „Ich mache die Augen wieder zu und träume genau dort weiter, wo ich aufgehört habe …“ Und manchmal gelingt das sogar. Dann taucht man wieder hinunter in das große, weite Unbewusste, in das Reich der Träume. Nach diesen Betrachtungen können wir vielleicht auch einen Gedanken des großen buddhistischen Philosophen Nagarjuna aus dem 2. Jh. gut nachvollziehen, der die Existenz des Menschen mit dem Feuer vergleicht: „Nicht die Flamme ist das Feuer, nicht das Holz. – Nicht mehr Holz und noch nicht Flamme, das ist des Feuers Wesen. Es hat kein Sein in sich und deshalb ist es.“

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Aus dem Inhalt

philoSPIRIT

Irmela Neu
Lass dein Herz sprechen
Empathische Kommunikation
Manuel Stelzl
Wie relativ sind Tugenden?
Eine Replik auf Martin Seels 111 Tugenden und 111 Laster
Christina Vaccaro und Barbara Fripertinger
Das Auge der Nacht ist der Verstand
Der Mond und sein Licht

philoSOCIETY

Martin Ossberger
Politik, die die Seele berührt
Mythos Weimar – Vorbild für ein neues Politikverständnis
Ronald H. Tuschl
Ich bin Bürger der Welt
Warum uns die Globalisierung ein neues Bewusstsein abverlangt
Fjodor Michailowitsch
Dostojewski
Zum Nachdenken

philoSCIENCE

Hannes Weinelt
Was der Verstand nicht wissen kann
Eine Untersuchung des Verstandes an drei Schauplätzen der Welt
Robert Gasser
Wo fängst du an und wo höre ich auf?
Unsere Existenz als Grenzflächenprozess
Georg Platzer
Der wahre Wert philosophischer Bildung

philoART

Delia Steinberg Guzmán
Was ist Inspiration?
Sabina Jarosch
Die Schule von Chartres
Wie antikes Wissen eine Kathedrale baut

philoSOPHICS

Gudrun Gutdeutsch
Ethik³
Hannes Weinelt
Konzentration und inneres Erwachen
Buchvorstellung
Astrid Ringe
Wissen, wie der Hase läuft
Manuel Stelzl
Philosoph der Verantwortung
Hans Jonas
Marseille
Spiegel der Seele
Rita Steiner
Die Andere
Ingrid Kammerer
Verstand und Herz
Eine Liebesbeziehung der besonderen Art
Renate Knoblauch
Vitamine für die Seele

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Diese Frage stellt sich im Angesicht der großen Meisterwerke, der genialen Schöpfungen und
Werke großer Künstler. Wurden diese Menschen von besonderen Kräften gelenkt, die offensichtlich stärker waren als sie selbst? War es eine Art „magischer Funke“, der sie inspirierte? Welchen außergewöhnlichen Strömungen konnten sie folgen?

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Diese Frage stellt sich im Angesicht der großen Meisterwerke, der genialen Schöpfungen und
Werke großer Künstler. Wurden diese Menschen von besonderen Kräften gelenkt, die offensichtlich stärker waren als sie selbst? War es eine Art „magischer Funke“, der sie inspirierte? Welchen außergewöhnlichen Strömungen konnten sie folgen?

Diese Frage beschäftigt uns auch ganz persönlich in jenen Momenten, in denen wir das Beste unserer Gedanken und Gefühle ausdrücken wollen, ohne zu wissen wie; wenn wir uns innerlich leer fühlen wie ein Sack aus Haut und Knochen, ohne jegliche Lebensenergie. Dann erinnern wir uns an die großen Künstler und Erfinder, die Kontakt zur Inspiration hatten und ihr Geheimnis berührten. Gibt es überhaupt eine Brücke, eine Verbindung zwischen den Menschen und der Welt der Ideen, die wir Inspiration nennen? Vielleicht gibt es sogar mehr als nur eine einzige Brücke, eine einzige Verbindung zwischen uns und jener Welt. Wenn es nur eine Brücke gäbe, dann wäre der Weg für alle der gleiche und daher übertragbar. Möglicherweise muss jeder Mensch seine eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln, und nur darin wurzelt das Mysterium des Erwachens der Inspiration.

Außerdem befürchte ich, dass dabei der für uns so typische rationale Verstand keinen Platz hat. Die Erfahrung zeigt: Je mehr wir uns auf den Verstand, die Ratio, stützen, desto weiter entfernen wir uns von der Inspiration. Laut den alten Weisheitslehren besteht das Geheimnis darin, sich – bildlich gesprochen – in hohle Schilfrohre zu verwandeln und zuzulassen, dass die Inspiration durch sie hindurchfließt. Und in diesem Moment beginnt das Wunder: Wir selbst sind weiterhin hohl und leer, und eine Unmenge Bilder strömt durch uns und zwingt uns, sie unmittelbar in die Tat umzusetzen.

Was in diesem Moment nicht gemalt, geschrieben, ausgearbeitet oder gesagt wird, geht verloren.

Delia Steinberg Guzmán

Es handelt sich dabei genau genommen nicht um unsere Werke: Irgendjemand oder irgendetwas gibt sie uns ein und wir versuchen, sie einzufangen und zu übermitteln. Es ist ein Augenblick der Ekstase, des Kontaktes mit einer anderen Welt: in allen Aspekten subtiler, schöner und perfekter. Es ist, als ob man eine Antenne von großer Sensibilität besitzen würde, deren Funktion und Handhabung man jedoch nicht kennt. Man kann sie allerdings nur benutzen, wenn sie in Betrieb ist.

Es gibt verschiedene Beschreibungen, die uns einen möglichen Schlüssel zum Verständnis der Inspiration geben können. Aber wenn es einen Einklang zwischen unseren persönlichen Schwingungen und der Welt der Ideen gibt, so wird der Kontakt immer durch einen starken Wunsch hergestellt. Es liegt daher an uns, diese Verbindung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, je nachdem, wie viel Gutes und Schönes wir erfassen und übertragen wollen. Es liegt an uns, die Tür zur Inspiration zu öffnen. Und wenn wir wieder fragen: „Was ist Inspiration?“, so werden wir wahrscheinlich wieder keine konkrete Antwort darauf finden. Aber wir haben dafür das außergewöhnliche und wunderbare Gefühl, von einer großartigen Kraft erfasst worden zu sein, die ihren Ursprung außerhalb von Raum und Zeit hat und aus der ewigen Quelle stammt, aus der zu trinken wir alle einmal geträumt haben.

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