174 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/174/ Magazin für praktische Philosophie Fri, 15 Dec 2023 10:55:18 +0000 de hourly 1 Nr. 174 (4/2023) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-174-4-2023/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-174-4-2023 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-174-4-2023/#respond Thu, 28 Sep 2023 20:09:42 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6604 Magazin Abenteuer Philosophie

Herz-Denken - Von der Vergangenheit befreien, aus der Zukunft leben

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Berg-Ekstase https://www.abenteuer-philosophie.com/berg-ekstase/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=berg-ekstase https://www.abenteuer-philosophie.com/berg-ekstase/#respond Thu, 28 Sep 2023 14:23:38 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6623 Magazin Abenteuer Philosophie

Schopenhauer stieg gerne auf Berge. Dort erlebte er ein kurzes Glück und nannte es „Ekstase“. Folgen wir ihm auf einer imaginären Reise und schauen ihm über die Schulter, was er dort am Berg gefunden und was er verloren hat.

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Schopenhauer stieg gerne auf Berge. Dort erlebte er ein kurzes Glück und nannte es „Ekstase“. Folgen wir ihm auf einer imaginären Reise und schauen ihm über die Schulter, was er dort am Berg gefunden und was er verloren hat.

 

S

eine Philosophie verstand er als eine rein geistig mentale Tätigkeit, frei von jedem Zweck und Bedürfnis. Er wollte die Welt verstehen, sie aber nicht ergründen. Kant, Platon und Buddha waren dabei seine Ge(h)hilfen und als Philosoph der Neuzeit inspirierte er Künstler und Wissenschaftler.

In aller Früh im Tale, die Sonne versteckt sich noch hinter dem Horizont. Es ist der kälteste Moment der Nacht, Nebel zieht zwischen den Gassen umher, der Wind lässt einen frösteln, es riecht nach Rauch. Ein Hund kläfft, eine Katze schreit. Unsicherheit ergreift das Herz.

Was ist die Welt? Nach Schopenhauer besteht die Welt aus Wille und Vorstellung. Der Wille ist für ihn das kantsche „Ding an sich“ – die Ursache hinter aller Realität. Er versteht darunter den instinktiven Lebenswillen aller Wesen, den Selbsterhaltungstrieb, der tief in unserer inneren Leiblichkeit existiert. Alles Wasser drängt zum Meer, beharrlich richtet sich die Magnetnadel zum Nordpol aus, der Mensch pflanzt sich durch Sexualität fort, alles um diesem inneren Gesetz des Willens zu folgen. Und sogar das Wirkliche ist nicht von Vernunft geleitet, sondern vom egoistischen Willen. Alle Welt außerhalb von mir, das ist Vorstellung, meine subjektive Vorstellung von der Welt, jede Objektivität eine Illusion. Wir glauben daran, die Natur zu beherrschen, wir vergöttlichen die Mechanik, wir richten uns gemütlich ein in unseren äußeren Lebensumständen. Alles Maya, so wie östliche Philosophien die sicht- und greifbare Realität nennen und wie sie Schopenhauer in seinen Werken aufnimmt. An diese Illusionen sind wir gefesselt, wie an das Rad des Ixion; eines mythischen Königs, der für seine Verfehlungen von Zeus an ein ewig drehendes Rad gefesselt wurde. Das schmerzt, das Leben schmerzt, der Mensch im Würgegriff des Willens, wir leiden. Gibt es einen Ausweg?

Nach Schopenhauer besteht die Welt aus Wille und Vorstellung. Der Wille ist für ihn das Kant‘sche „Ding an sich“ – die Ursache hinter aller Realität.

Wir schauen nach oben

Erste Helligkeit beleuchtet die Baumwipfel, die sich spielerisch im Wind bewegen. Wir beginnen den Anstieg, betreten den Pfad, der sich bergauf windet. Unser Puls beschleunigt, uns wird es wärmer, die Luft klärt sich und zwischen den Bäumen blicken wir über die Dächer auf die mit Tau belegten Wiesen. Ein Reh schreitet vorsichtig darüber.

Schopenhauer hat gelitten; als ungeliebtes Kind, in einer erzwungenen Ausbildung als Kaufmann, am Desinteresse der Öffentlichkeit an seiner Philosophie. Ein Einzelgänger, der sich von seiner Familie lossagt, ohne Freunde und Vertraute, ein „Kaspar Hauser der deutschen Philosophie“ (Safranski). Nichts wie weg aus dieser Welt! Er flüchtet aus der lieblosen Horizontalen in die Kontemplation. Sie löst ihm das Leid. Das Nicht-Haften an der Welt kann gelingen; er nennt es „die Verneinung des Willens“, und als Mittel dazu entdeckt er die Philosophie und die Kunst. Ein philosophischer, ein ästhetischer Blick auf die Welt vertikalisiert. Wie in Platons Höhlengleichnis strebt der Philosoph aus dem Dunkel der Höhle ans Licht der Sonne, nach oben. Der romantische Zeitgeist feiert die Kunst als Religion, dem gemäß erhellen für Schopenhauer Poesie und Musik das Leben. Im Enthusiasmus des Künstlers, im Genuss des Schönen möchte er der Welt entkommen.

Die Wälder liegen hinter uns, die Bergspitze ist nah. Mit einer letzten Anstrengung erreichen wir den Gipfel und im Gleichklang steigt die Sonne aus dem Meer des Horizonts herauf und erleuchtet mit seinem goldenen Licht die Welt, während im Tale noch das Dunkle verweilt. Wärme breitet sich im Herzen aus, der Blick reicht in die Weite, ins Unendliche; ein Adler gleitet über die Wellen des Windes. Erhabenheit ergreift uns.

Das Kleine verschwindet, das Große erscheint

Eine heroische Einsamkeit entsteht. So empfindet Schopenhauer die Momente des Sonnenaufgangs. Auf dem Gipfel verortet er das bessere Bewusstsein. Ein metaphysischer Zustand der Ekstase, außerhalb der Welt, raum- und zeitverloren, und auch ichverloren, versunken im Anblick. Das Rad des Ixion steht still. Ein mystischer Ort, an dem sich alle Gegensätze auflösen. Aus der Tretmühle des Lebensgeschäftes entkommen, wie er es nennt, aus dem empirischen Bewusstsein. Hier findet man Glück und Erkenntnis; der Schleier der Maya zerreißt und wir erleben den anderen Menschen – das Du und das Ich – als Teil von etwas Größeren, als Teil einer Einheit. Hier oben erkennt Schopenhauer, dass alles nur ein Spiel ist, und er nur ein Zuschauer, der einen kurzen Blick über den Zaun ins wahre Weltgeschehen werfen kann.

Schopenhauer steht quer zum philosophischen Zeitgeist

Er verneint die Möglichkeiten des Ichs und des Machens, die einen Romantiker wie Novalis („Was ich will, das kann ich.“) oder ein Vertreter des deutschen Idealismus wie Fichte („Ich bringe mich als ICH hervor, deswegen bin ich.“) antreiben. Der Mensch als Werkmeister seines Glücks, wie es Hegel propagiert? Absurd für ihn. Er hat keine Lust am Machen, sondern am Nachlassen. Er hat keine Lust an Freiheit, sondern er sieht den Menschen vom Trieb gesteuert. Im Gipfelerlebnis eines musischen Hinaufschwingens akzeptiert Schopenhauer allein eine kurzzeitige Erkenntnis der Welt, ein rasches Atem-Holen, einen schnellen Blick zur Sonne der Weisheit, eher er wieder hinab auf den Boden der kläglichen Realität schlittert.

Schopenhauer litt als ungeliebtes Kind, in einer erzwungenen Ausbildung als Kaufmann, am Desinteresse der Öffentlichkeit an seiner Philosophie.

Schopenhauer entzieht sich jeder einfachen Einordnung. Er verkündet eine Art subjektiven Idealismus, der zwischen einem Materialismus und einer Philosophie des Geistes schwingt. Sein eigener Anspruch war es nicht weniger als die gesamte Philosophie umzuwerfen. Und sicher hat er wesentliche Erkenntnisse der Psychologie und Geisteswissenschaften vorbereitet und nicht wenige Berühmtheiten wie Freud, C. G. Jung, Nietzsche, Wittgenstein, Einstein, Wagner mit seiner Philosophie erreicht. Bekannt wurde er erst am Ende seines Lebens, insbesondere durch seine Aphorismen zur Lebensweisheit.

Im Gipfelerlebnis akzeptiert Schopenhauer eine kurzzeitige Erkenntnis der Welt, ein rasches Atem-Holen, einen schnellen Blick zur Sonne der Weisheit.

Doch etwas verwundert

Durch die Brille einer praxisnahen Philosophie gesehen, die versucht, theoretische Erkenntnisse auf das eigene Leben anzuwenden, mag es überraschen, wie uns Schopenhauer als Mensch gegenübertritt. Von einem erhabenen Charakter, gereinigt und erbaut durch eine Berg-Mystik ist wenig zu entdecken. Sein Temperament wird als sehr pessimistisch und ängstlich beschrieben, von einer starken Weltskepsis durchtränkt. „Es wird schlecht und es wird täglich schlechter werden – bis das Schlimmste kommt.“ Durch seine besserwisserische Art und übellaunige Kritiksucht vergrault er nicht nur wohlmeinende Bekannte wie Goethe oder den Verleger Brockhaus, sondern vergällt auch jeden fruchtbaren Kontakt zu den Philosophie Gelehrten der damaligen Zeit, wie Hegel, Schelling, Schleiermacher oder Fichte.

Im Ringen um das finanzielle Erbe seines Vaters, das es ihm zeit seines Lebens erlaubt, keinem Brotberuf nachgehen zu müssen, kappt er die Beziehungen zu seinen einzigen Verwandten, seiner Mutter und seiner Schwester und lässt sie in ihren prekären Situationen mitleidslos allein. „Ein Genie braucht keine Freunde und Frauen, Monolog ist am interessantesten.“ Die einzige Gesellschaft, die er dauerhaft zulässt, ist sein Pudel.

Als einer der ersten deutschen Philosophen hat er sich eindringlich mit den Lehren aus Fernost beschäftigt, wie den indischen Upanishaden oder den mystisch buddhistischen Texten. Die moralphilosophischen Ideen des Mitleids, des Sowohl-als-Auchs, der Erlösung in einem Nichts – das alles beinhaltet, finden in seinen Schriften Eingang. Doch er steigt auf den Berg, um von den „Zweifüßlern“, wie er die gewöhnlichen Menschen abschätzig nennt, weit möglichst entfernt zu sein. Aus dem Chaos der Welt zu entrinnen, sie unter sich zu haben. Er möchte nicht dem Himmel nah sein, sondern der Welt fern, in der es keine Hoffnung gibt und jede Sinnsuche vergeblich ist.

Es drängt sich der Eindruck auf, nicht nur einem Misanthropen, sondern auch keinem moralischen Vorbild gegenüberzustehen, zumindest wenn wir unter gelebter Moral Mitgefühl, Verbundenheit, Verständnis oder Bescheidenheit verstehen. Hatte er das Zerreißen des Schleiers der Maya erlebt? Hatte er einen inneren Himmel erreicht? Kannte er das Gefühl der allumfassenden Einheit, wenn sich alles auflöst und es kein Subjekt und Objekt mehr gibt, so wie er es beschreibt?

„Hinter unserem Dasein nämlich steckt etwas anderes, welches uns erst dadurch zugänglich wird, dass wir die Welt abschütteln.“ Er kommt einem Geheimnis nahe, doch er scheut sich dies zu ergründen. Was er dort oben fand, war eine

Befristete göttliche Ekstase ohne Gott

eine himmlische Höhe ohne Himmel. Trotz seines Zugangs zu den östlichen spirituellen Weisheitstexten lebte er in metaphysischer Obdachlosigkeit und durchtrennte das Band zwischen oben vom unten, unversöhnlich.

Es scheint, als fehlte dem berühmten Philosophen ein praktischer Übungsweg, um nicht nur physisch auf einen Berg zu steigen, sondern sich zu einer Anhöhe der inneren Entwicklung empor schwingen zu können; um einen anstrengenden Weg zu beschreiten, die eigenen Schwächen zu schwächen und Stärken zu stärken, in einem steten Auf und Ab, seine Tugenden zu schmieden und dies im Alltag zu erproben. Und um den Weg bergauf nicht als Flucht, sondern als Schritt hin zu den Menschen zu sehen. Besonders wenn man aus der Vogelperspektive Raum und Zeit überblicken und einen Sinn, eine Aufgabe für sich erkennen kann, oder ein Dharma, wie es die Inder nennen. Eine vita contemplativa wird dabei von Mystikern vieler Epochen für den Weg der Erkenntnis empfohlen. Dabei soll die Verinnerlichung von Philosophie und Kunst den Menschen veredeln, transformieren und nicht nur seine Triebe zähmen.

Philosophie nur zu intellektualisieren, und sein Herz nicht berühren zu lassen, strahlt eine gewisse Kälte aus.

Das Bewusstsein erheben, sich reinigen von den Anhaftungen des Alltags, den Geist weiten und die Wärme des Lichts spüren, das ist jederzeit und überall möglich.

Handlung und Erkenntnis bedingen einander

So lehrt der indische Gesang der Bhagavad Gita. Anders zu handeln als zu fühlen oder zu denken, wirkt unauthentisch.

Die Metapher des Berges und seiner Besteigung ist nichtsdestotrotz von großer Kraft; kann man doch jederzeit einen Berg erklimmen, selbst wenn man abseits der Berge wohnt, wie z.B. in einer Tieflandbucht, wie in Leipzig. Denn das Bewusstsein erheben, sich reinigen von den Anhaftungen des Alltags, den Geist weiten und die Wärme des Lichts spüren, eine schopenhauerische Ekstase also erleben, das ist jederzeit und von jedem Ort aus möglich. Und diese Erkenntnisse dann ernst nehmen und auf sich nehmen. Eine „Ekstase am Berg“ sollte keine Flucht vor der Welt sein, sondern vielmehr eine innere Stärkung, um wieder kraftvoller ins Tal zurückkehren zu können.

Wir glauben daran, die Natur zu beherrschen, wir vergöttlichen die Mechanik, wir richten uns gemütlich ein in unseren äußeren Lebensumständen.

Dr. Martin Ossberger hat im Schreiben eine Ausdrucksform der Reflexion gefunden. Als Wissenschaftler versucht er immer wieder neue Perspektiven zu eröffnen und das ihm Unbekannte zu erforschen. Auf seinen Reisen hat er gelernt, dass das Abenteuer bei ihm selbst beginnt und die Suche nach der Weisheit im nächsten Schritt liegt.

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©AdobeStock_von Vadym 623077708

Dass unser Herz Neuronen besitzt, ist längst bekannt. Dass unser Herz das Gehirn und damit auch unser Verhalten wesentlich beeinflusst, gehört zu den spektakulären Entdeckungen der letzten Jahrzehnte. Dass unser Herz ein 5000-mal stärkeres elektromagnetisches Feld besitzt als unser Gehirn, weiß man erst seit Kurzem. Doch was all dies für unser tägliches Leben bedeutet, wird zu wenig beachtet.

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Dass unser Herz Neuronen besitzt, ist längst bekannt. Dass unser Herz das Gehirn und damit auch unser Verhalten wesentlich beeinflusst, gehört zu den spektakulären Entdeckungen der letzten Jahrzehnte. Dass unser Herz ein 5000-mal stärkeres elektromagnetisches Feld besitzt als unser Gehirn, weiß man erst seit Kurzem. Doch was all dies für unser tägliches Leben bedeutet, wird zu wenig beachtet.

 

I

m Alltag der alten Ägypter spielte das Herz die zentrale Rolle, während das Gehirn unbedeutend war. Kein weiches, ein „hartes“ Herz erstrebten die alten Ägypter. Ein „Herz aus Stein“, das wie ein Fels in der Brandung den Versuchungen und Einflüsterungen der instinkthaften und niederträchtigen Natur der menschlichen Persönlichkeit widersteht. Das Herz war Sitz des Gedächtnisses und der Intelligenz. Nur ein festes Herz war zu Selbstbeherrschung und besonnenem Verhalten fähig. In ähnlicher Weise galt den Sufi-Mystikern das Herz als Sitz der Weisheit, wodurch die Brücke zu Gott hergestellt werden konnte. Auch im tibetischen Buddhismus gilt das Herz als Sitz von innerem Wissen und Gewissen.

Warum wir auf unser Herz hören sollten

All diese Erkenntnisse und Betrachtungen der alten Kulturen scheint unsere moderne Wissenschaft nun zu bestätigen. Unser Herz „spricht“ unaufhörlich. Wissenschaftlich gesehen tut es dies zunächst in Form seines Rhythmus. Man nennt diesen „Herzfrequenz-Variabilität“. Dies bedeutet, dass unser Herzschlag nicht gleichmäßig, sondern variabel ist. Je gleichmäßiger, umso gefährlicher, bis zur Lebensgefahr. Die Variabilität jedoch soll nicht chaotisch, sondern harmonisch sein. Negative Gefühlszustände wie Ärger, Sorgen oder Angst führen unmittelbar zu disharmonischen, scharf gezackten Verläufen, während positive Gefühlszustände wie Freude, Liebe, Wertschätzung einen harmonisch schwingenden Verlauf zeigen.

Negative Gefühlszustände wie Angst oder Wut führen zu einer unharmonischen, scharf gezackten Kurve.

Positive Gefühlszustände wie Dankbarkeit oder Mitgefühl führen zu einer harmonisch schwingenden Kurve.

Wenn nun unser Gehirn durch die Wahrnehmung einer gefährlich erscheinenden Situation Erregungssignale an den Körper sendet, wird im Normalfall auch das Herz seinen Puls beschleunigen. Doch die Beobachtung zeigt, dass nicht selten das Gegenteil der Fall ist. Das Herz verlangsamt seine Aktivität. Es scheint kritisch zu überprüfen, ob die vom Gehirn „befohlene“ Erhöhung des Herzschlags auch wirklich sinnvoll ist. Es reagiert also gleichermaßen weisheitsvoll und besonnen. Und noch mehr: Es sendet an das Gehirn die Information, was nun die angemessene Reaktion sein soll, wodurch letztlich das Herz unser Verhalten wesentlich beeinflusst.

Verschobene Referenzlinien sind in unserer Gesellschaft epidemisch. Können solche verschobene Referenzlinien wieder zurechtgerückt werden?

Dass die Herz-Gehirn-Kommunikation auf solche Weise funktioniert, setzt ein inneres Gleichgewicht im Menschen voraus. Etwas, das die Wissenschaft als „Zustand der Kohärenz“ bezeichnet. Im Volksmund würde man sagen: Man ist in seiner Mitte, mit sich selbst im Einklang. Dann sind wir in der Lage, auf unser Herz zu hören. Der Zustand der Kohärenz unterstützt sogar unser logisches Denken und damit unser besonnenes Verhalten, während der Zustand der Inkohärenz das Denken behindert und sogar ausschaltet. Panik- und Amok-Handlungen passieren, wenn wir aus unserer Mitte fallen und außer uns geraten.

Wie wir Herzkohärenz erreichen

Forschungen des 1991 gegründeten HeartMath Institute in Kalifornien belegen, dass positive Emotionen wie Dankbarkeit, Mitgefühl oder Wertschätzung die Kohärenz zwischen Herz und Gehirn fördern. Nur müssen sie aus tiefstem Herzen empfunden werden, nicht nur als mentale Konzepte. Auch vom HeartMath Institute entwickelte Übungen wie die herzfokussierte Atmung fördern die Kohärenz. In diesem Zustand besteht eine harmonische Kommunikation zwischen Herz und Gehirn, sie arbeiten synchron zusammen. Und durch das starke Magnetfeld des Herzens werden diese positiven Schwingungen nicht nur auf die eigenen Zellen, sondern auch auf die Menschen in unserer Umgebung übertragen. Dies erklärt auch, warum in vielen Kulturen Nähe und Fürsorglichkeit oder Gesten wie das Handauflegen als Heilmethoden eingesetzt werden.

In einem Experiment wurden einem Pearl-Harbour-Veteranen weiße Blutkörperchen entnommen und an einen kilometerweit entfernten Ort gebracht. Als ihm dann mittels Film die Ereignisse von Pearl Harbour gezeigt wurden, waren nicht nur in seinem Körper heftige negative Reaktionen zu messen, sondern – ohne Zeitverzögerung – auch bei den entnommenen weißen Blutkörperchen. Andere Experimente belegen ebenfalls die starken körperlichen Wirkungen von positiven oder negativen Bildern. Zum Beispiel wurden Probanden über einen Computerbildschirm unterschiedliche Bilder gezeigt, teils ekelig und furchterregend, teils schön und harmonisch. Obwohl dies per Zufallsprinzip geschah, also niemand vorher Bescheid wusste, welche Art von Bild erscheinen würde, reagierten die Probanden schon vor(!) dem Erscheinen des Bildes mit einer beschleunigten oder verlangsamten Herzfrequenz. Unser Herz scheint also Zugang zu einem Informationsfeld jenseits von Raum und Zeit zu haben. In vielen Kulturen und Religionen spricht man im Zusammenhang mit diesem Feld vom „Höheren Selbst“ oder von der „spirituellen Seele“.

Damit werden die eingangs erwähnten Vorstellungen einer Herzintelligenz beziehungsweise des Zugangs zu höherem Wissen und Weisheit über das Herz plausibel.

Verschobene Referenzlinien

Ein nicht unwesentliches Detail in der Herz-Gehirn-Kommunikation sollte noch erwähnt werden. Dabei handelt es sich um die Rolle der Amygdala, die als der für die Entwicklung von Angst und Aggression zuständige Bereich unseres Gehirns gilt. Dort werden die instinkthaften Reaktionen wie Flucht oder Angriff ausgelöst. Doch der als Vater der modernen Neurowissenschaften angesehene Prof. Karl H. Pribram (geboren 1919 in Wien, gestorben 2015 in Virginia) fand heraus, dass die Amygdala in Wirklichkeit ständig Bewertungen vornimmt, ob uns etwas vertraut ist oder nicht. Sehen wir einen Bekannten, vertraut, also sicher. Ist es jedoch ein Fremder, nicht vertraut, Vorsicht. Und die Amygdala ist eng mit unserem Herzschlag synchronisiert. Ist der Herzrhythmus gerade kohärent durch positive oder inkohärent durch negative Gefühle, die Amygdala bewertet ständig: Fühlt es sich vertraut an oder nicht?

 

Die Amygdala überträgt die Informationen aus dem Herzen und bewertet sie nach „vertraut“ und „nicht vertraut“.
Die Amygdala überträgt die Informationen aus dem Herzen und bewertet sie nach „vertraut“ und „nicht vertraut“.

Wenn wir nun in unserem Leben eine längere stressige Phase haben, angespannt, wachsam, an der Grenze zur Überforderung, dann beginnt sich dieser Zustand vertraut anzufühlen. Wenn wir uns permanent Sorgen machen, wenn wir permanent in Streit und Unfrieden leben, beginnt sich dieser Zustand für die Amygdala vertraut anzufühlen. Das heißt, wir beginnen uns in an sich negativen Zuständen sicher und wohl zu fühlen, wir haben uns gewissermaßen an einen negativen Zustand gewöhnt. Dies nennt man eine verschobene Referenzlinie. Gut und interessant daran ist, dass wir Menschen uns offensichtlich an sehr negative Umstände – wie Krieg oder Armut – gewöhnen und somit einigermaßen „normal“ selbst in solchen Umständen leben können. Schlecht und problematisch daran ist ebenfalls genau das: Dass wir uns an verschobene Referenzlinien gewöhnen. Wir sind ungeduldig und merken es gar nicht mehr, wir sind unhöflich, ohne dass es uns auffällt, wir verbreiten permanent schlechte Laune und wundern uns, dass niemand mit uns etwas zu tun haben möchte. Egoistisch sein ist heute normal. Narzisstisch sein ist heute normal. Auf nichts verzichten wollen ist heute normal. Verschobene Referenzlinien sind in unserer Gesellschaft regelrecht epidemisch.

Die Vergangenheit ist gegeben. Die Zukunft erträumen wir nach unserem Herzen. In der Gegenwart eröffnet sich ein unendlicher Möglichkeitsraum …

 

Können solch verschobene Referenzlinien wieder zurechtgerückt werden? Laut Prof. Pribram ist es nicht möglich, eine Referenzlinie rein gedanklich zu verändern. Entscheidend sind dabei positive Gefühle wie Dankbarkeit, Liebe, Wertschätzung – und zwar wirklich aus tiefstem Herzen gefühlt. Dies ist anfänglich durchaus herausfordernd, weil sich diese positiven Gefühle einfach nicht vertraut anfühlen.

Herz- versus Kopfdenken

Unsere westliche Kultur betont seit Jahrhunderten Rationalität, logisches und analytisches Denken, Individualität. Dieses sogenannte Kopfdenken speist sich immer aus der Vergangenheit und überträgt sie auf die Zukunft. Gewissermaßen kreisen wir immer um die Vergangenheit – meist in Form von traumatischen oder nostalgischen Erinnerungen – oder um die Zukunft – meist in Form von Sorgen oder Erwartungen. Wenn wir planen, werden die Erfahrungen der Vergangenheit analysiert und auf die Zukunft übertragen.

Ganz anders agieren wir in einem tiefen Zustand der Herz-Gehirn-Kohärenz, was wir vereinfacht als Herzdenken bezeichnen können. Hier befinden wir uns in einer entspannten Gegenwärtigkeit, in der wir die Vergangenheit aus einer Distanz mit den Gefühlen von Dankbarkeit, Stimmigkeit oder auch Demut betrachten können. Und die Zukunft mit den Gefühlen von Vertrauen und kindlicher Neugierde bezüglich des Neuen und Unbekannten. Dies lässt sich am Beispiel eines einfachen Rechenvorgangs erläutern: 3 + 4 = 7. Wir haben gelernt, von links nach rechts zu rechnen, symbolisch von der Vergangenheit in die Zukunft. Die 3 (die Vergangenheit) addiert mit der 4 (die Gegenwart) ergibt alternativlos in der Zukunft die 7. Wenn wir nun diesen gewohnten Rechenvorgang verlassen, mit der 3 (der vorgegebenen Vergangenheit) starten, dann die 7 als erwünschte Zukunft definieren, bieten sich plötzlich in der Gegenwart unendlich! viele Möglichkeiten: 3 + 1 + 3 = 7 oder 3 + 2 x 2 = 7 oder 3 + 3,7 + 0,3 = 7 usw.

Ähnlich funktioniert das Herzdenken: Die Vergangenheit ist gegeben. Die Zukunft visionieren und erträumen wir nach den Gefühlen und Vorgaben unseres Herzens. Und in der Gegenwart eröffnet sich ein unendlicher Möglichkeitsraum, um diese Zukunft zu gestalten. Sehr eindringlich hat dies Claus Otto Scharmer in seinem Buch „Essentials der Theorie U“ dargelegt. Sobald wir die „Wenn-dann-Kausalkette“ aufbrechen, zeigen sich unserem Herzen Möglichkeiten, die uns sonst verborgen blieben. Er bezeichnet die Art dieses Denkens oder Wahrnehmens mit dem Kunstwort „Presencing“ (presence = Gegenwart und sensing = empfinden/hinspüren). Es ist ein gegenwärtiges Hinspüren in eine vorausgeahnte Zukunft.

Während uns also das Kopfdenken mit der Vergangenheit hadern und über die Zukunft sorgen lässt, befreit uns das Herzdenken von der Vergangenheit in einem annehmenden Verstehen und Verzeihen und öffnet sich den unendlichen Möglichkeiten der Gegenwart in Richtung der erträumten Zukunft. Dieses Leben als ein Träumen ist nicht ein Fantasieren. Es ist vergleichbar mit dem christlichen Glauben, den man gemäß dem griechischen Original mehr als ein „unerschütterlich überzeugt“ sein verstehen muss. Aus welcher erträumten Zukunft leben Sie Ihre Gegenwart?

 

HeartMath-Technik der herzfokussierten Atmung

  1. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Herzgegend und atmen Sie langsam und tief ca. 5 Sekunden lang ein und ca. 5 Sekunden lang aus.
  2. Stellen Sie sich vor, wie Ihre Atmung dabei durch Ihr Herz ein- und ausströmt.
  3. Aktivieren Sie ein positives Gefühl oder denken Sie an eine besonders positive Situation, während Sie sich weiter auf Ihr Herz und Ihre Atmung konzentrieren.
  4. Bleiben Sie einige Minuten mehrmals am Tag in diesem Zustand.

 

Literaturhinweis:

Markus Peters, Gesundmacher Herz, Wie es uns steuert, verbindet und heilt, VAK Verlags GmbH, 2016

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