172 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/172/ Magazin für praktische Philosophie Thu, 14 Dec 2023 12:43:44 +0000 de-DE hourly 1 Nr. 172 (2/2023) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-172-2-2023/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-172-2-2023 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-172-2-2023/#respond Thu, 30 Mar 2023 14:54:08 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=6356 Magazin Abenteuer Philosophie

Anders sein

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Wer bin ich eigentlich? Bin ich einer, der Lieder singt? Oder bin ich ein Lied, das sich selber bringt? Der Fluss fließt, das ist sein Geschäft, ich schwöre, ich habe nie mit der Meute gekläfft.

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Wer bin ich eigentlich? Bin ich einer, der Lieder singt? Oder bin ich ein Lied, das sich selber bringt? Der Fluss fließt, das ist sein Geschäft, ich schwöre, ich habe nie mit der Meute gekläfft.

 

W

er bin ich eigentlich, fragt André Heller in seinem gleichnamigen Lied. Jedenfalls einer, der nie mit der Meute gekläfft hat. Jedenfalls anders! „Normal“ ist heute beinahe ein Schimpfwort. Wer möchte schon normal sein? Aber sagen Sie umgekehrt jemandem, er sei nicht normal … Ein Widerspruch? Ein Dilemma! Wir wollen weder normal noch abnormal sein. Was wir „normal“ nennen, ist ein Produkt von Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion, Introjektion und anderen Formen destruktiver Aktion gegen Erfahrung. So Ronald D. Laing, britischer Psychiater und gleichzeitig Begründer der antipsychiatrischen Bewegung. Klingt ebenfalls widersprüchlich.

Das Dilemma mit dem Anders-Sein

Anders sein ist heute fast ein Muss. Denken wir an Stars, Politiker und sonstige Inszenierungsjunkies. Denken wir an Marken, an Moden, an Werbung. Wer oder was nicht anders ist, geht in der Masse unter. Genau deshalb träumen wir alle davon, etwas Besonderes zu sein, irgendwie speziell, zumindest interessant. Und wenn wir es nicht sein können, dann träumen und leben wir es beim Klatsch-Kolumnen-Konsum. Aber wir wollen auch dazugehören. Wir wollen Teil sein. Teil unserer Familien, der Gesellschaft, des Klubs, Teil jener Clique oder Gruppe, die wir gut finden. Dazu unterwerfen wir uns der jeweiligen Norm, denn sonst drohen Ablehnung und sogar Ausschluss. Kindergärten, Schulen, Universitäten sind regelrechte Normierungsstätten. Was für ein Dilemma: Wir sollen anders sein und wollen Norm sein; wir sollen Norm sein und wollen anders sein.

Auf gesellschaftlicher Ebene veranschaulicht eine legendäre Filmszene in Monty Pythons „Das Leben des Brian“ dieses Dilemma: Brian wird fälschlich für den Messias gehalten, versucht jedoch seinen Fans klarzumachen, dass sie an sich selbst glauben sollten, da sie ja alle Individuen seien. Und die ganze Meute plappert begeistert im Chor: „Wir sind alle Individuen, wir sind alle Individuen …!“ Nur einer bekennt sich zum Anderssein – und wird sofort mundtot gemacht. Verordneter Individualismus ist letztlich Uniformität. Im Bestreben, anders zu sein, sind wir doch alle wieder gleich.

Haben wir es mit dem Individualismus nicht etwas übertrieben? Eine Gesellschaft, die individuelle Rechte über alles stellt, wertet soziale Rechte automatisch ab.

Die gefährdete Individualität

Haben wir es mit dem Individualismus nicht etwas übertrieben? Eine Gesellschaft, die individuelle Rechte über alles stellt, wertet soziale Rechte automatisch ab. Margaret Thatcher verkündete in den 1980er-Jahren, dass es so etwas wie eine „Gesellschaft“ gar nicht gebe, sondern nur den Einzelnen. Damit ist auch jeder verpflichtet, das Beste aus sich zu machen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Der Blick auf den eigenen Vorteil verstellt den Blick auf das Gemeinwohl. Rücksicht, Solidarität und Miteinander werden von Abkapselung, Konkurrenzdenken und sozialer Distanz unterdrückt. Dass in der Pandemie das Social Distancing auch noch zur Lösung des gesundheitlichen Problems erhoben wurde, hat die Krankheit unserer zersplitterten Gesellschaft weiter auf die Spitze getrieben. Die libertäre Rechte hat sich lautstark gegen die Einschränkung jeglicher Freiheitsrechte gestemmt. Die Gouverneurin von Michigan sollte beispielsweise wegen ihrer Lockdown-Verordnung sogar entführt werden. Und insgesamt dient die individuelle Freiheit als Rechtfertigung jeglichen verantwortungslosen Handelns. Dies gilt auch für den Umgang mit der eigenen Meinung, die man in eitler Selbstüberhöhung selbstverständlich als wert betrachtet, über Social Media verbreitet zu werden. Wenn so gefühlt in aggressiver und verhöhnender Form. Schließlich haben wir ja auch das Recht, unseren Emotionen freien Lauf zu lassen. Diese Art von Individualismus hat jede Konsensfindung längst verunmöglicht. Statt Befreiung des Individuums Knechtschaft des Egos.

Aber auch die extreme Linke gefährdet die Individualität, indem sie den Schutz individueller Freiheit in einer hypersensiblen Wachsamkeit – woke genannt – gegenüber jeglicher Art von Diskriminierung und Machtungleichheit übertreibt. Wenn Ronja Maltzahn als weiße Musikerin gemäß Woke-Regeln keine Dreadlocks tragen darf, dann wird individuelle Freiheit im Namen des Schutzes individueller Freiheit zugrunde gerichtet. Wenn die niederländische – weiße – Übersetzerin Marieke Lucas Rijneveld das Gedicht der US-amerikanischen – schwarzen – Aktivistin Amanda Gorman nach Woke-Regeln nicht übersetzen darf, dann passiert Diskriminierung im Namen von Anti-Diskriminierung. Die Ahndungsformen „unkorrekten Verhaltens“ haben mehr von Wächtertum als von Wachsamkeit und damit mehr von einer totalitären denn einer freien Gesellschaft.

Der falsch verstandene und ideologisch von rechts und links instrumentalisierte Individualismus ist in eine gefährliche Sackgasse geraten. Und gefährdet damit die historisch so hart erkämpfte Freiheit des Individuums.

Die Geschichte der Individualität

Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858 – 1918) verfasste 1901 eine faszinierende Schrift über „Die beiden Formen des Individualismus“. Dazu macht er zunächst auf den Widerspruch in den Grundidealen von Freiheit und Gleichheit der Französischen Revolution aufmerksam. Denn Freiheit heißt doch, die individuelle Persönlichkeit in all ihren Eigenschaften ungehemmt zu entwickeln. Genau dadurch aber werden die Unterschiede und damit Ungleichheiten der Naturen umso deutlicher.

Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858 – 1918) verfasste 1901 eine faszinierende Schrift über „Die beiden Formen des Individualismus“.

 

Im 18. Jahrhundert wurde dieser Widerspruch auf eine sehr spezielle Weise gelöst. Mit dem Ideal der Freiheit des Individuums dachte man, dass allein durch das Wegfallen der historischen Bindungen und Formungen wie die Vorrechte der oberen Stände der Zwang des Kirchentums sowie die Fronpflichten der bäuerlichen Bevölkerung sich die ganze Gesellschaft aus einer Epoche der Unvernunft in eine natürliche Vernünftigkeit überführen ließe. Auch Kant sieht in jedem Individuum einen Kern, der sein Wesen ausmacht und zugleich in allen Menschen derselbe ist. Der Mensch sei zwar unheilig genug, aber die Menschheit in ihm sei heilig. Der Individualismus des 18. Jahrhunderts vereinigt Freiheit und Gleichheit, indem er den Menschen ganz auf das eigene Ich stellt. Aber dieses ist das allgemein menschliche, in allen gleiche und gleich wertvolle Ich.

Im 19. Jahrhundert zerbricht diese Einheit nach Simmel in zwei divergente Strömungen. Vereinfacht ausgedrückt in eine Tendenz auf Gleichheit ohne Individualität, wie sie sich im Sozialismus zu verwirklichen sucht, und in eine Tendenz auf Individualität ohne Gleichheit. Letztere hat sich über die Romantik und den Nietzscheanismus zu unserer modernen Auffassung entwickelt. Und Simmel erkannte die Gefahr, dass sich der Individualismus zu seiner rein negativen Seite hin entwickeln könnte. So, dass „ein von jedem Inhalt entleertes, radikal gesetz- und gegensatzloses Ich des Egoismus zurückbliebe“.

Natürlich ist die Selbst-Werdung kein Spaziergang. Es ist ein steiler, dorniger Weg voller Hindernisse und Krisen, die wir Schritt für Schritt in Stufen für einen inneren Aufstieg verwandeln können.

Wie recht er behalten sollte

Sein Lösungsvorschlag war eine höchst interessante Synthese: einerseits die gleichen und gleichberechtigten Individuen, die durch das allgemeine rationale Gesetz zu einer höheren Einheit verbunden sind. Andererseits die Unterschiedlichkeit jedes Einzelnen im Geiste Nietzsches: „Wir aber wollen die werden, die wir sind …“. Dies ist eine Übernahme des antiken Begriffs der Entelechie, der Vorstellung eines Menschen, der sein Ziel in sich selbst hat; das delphische Gnothi seauton, „Erkenne dich selbst“. Und es ist eine Vorwegnahme des psychologischen Begriffs der Individuation.

Werde, der du bist!

Dieser Satz geht auf den griechischen Dichter Pindar (522 – 445 v. Chr.) zurück. Beim wortgewaltigen Oscar Wilde heißt es: „Sei du selbst! Alle anderen sind bereits vergeben!“ Das lateinische individuare bedeutet sich unteilbar machen, der Individuationsprozess ist die Entwicklung des Menschen zu etwas Einzigartigem, zu dem, was wir wirklich sind. Nach C. G. Jung geht es dabei um die Auseinandersetzung des bewussten, konkreten „Ich“ mit dem unbewussten, unbegrenzten „Selbst“.

Das nach außen gezeigte Ich, die Persona (Maske), ist mit Denken, Fühlen und Handeln eher ein Ausdrucksorgan. Dieses schwankt zwischen individuell sein und sich anpassen und entsprechen. Dahinter und noch verborgen ist das Selbst, unser innerstes Sein, mehr mit dem Herzen als Sitz von Bewusstsein und Gewissen in Verbindung. Es erinnert uns an Saint Exuperys „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Natürlich ist die Selbst-Werdung kein Spaziergang. Es ist ein steiler, dorniger Weg voller Hindernisse und Krisen, die wir Schritt für Schritt in Stufen für einen inneren Aufstieg verwandeln müssen.

Die Herstellung der Beziehung zum „Selbst“ als Beziehung zu unserem Herzen ist damit gleichzeitig die Herstellung der Beziehung zum Mitmenschen. Deshalb darf Individuation keinesfalls mit Individualismus verwechselt werden. Denn Individualismus ist das absichtliche Hervorheben vermeintlicher Besonderheiten und Eigenarten. Dieses unnatürliche „Anders-Sein“ entfernt mich auch vom anderen und führt fast zwangsläufig zum schon angesprochenen Egozentrismus und Egoismus. Die Individuation dagegen bildet das Besondere auf natürliche Art heraus. Und dieser ganz gewordene Mensch möchte seine Qualitäten ebenso natürlich in den Dienst der Allgemeinheit stellen.

Damit überwindet die Individuation das eingangs erwähnte Dilemma. Man ist kein Zerrissener mehr zwischen Anders-Sein-Wollen, um individuell zu sein, und Norm-Sein-Sollen, um dazuzugehören. Sondern je mehr ich „Selbst“, und damit auch besonders und anders bin, umso mehr fühle ich mich mit allen und allem verbunden und eingebunden.

Lauschen wir noch der berühmten Geschichte von Rabbi Sussja: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird mich fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen?“ In der kommenden Welt wird man Sie nicht fragen: Warum sind Sie nicht anders gewesen? Man wird Sie fragen: Warum sind Sie nicht Sie selbst gewesen?

Die Herstellung der Beziehung zum „Selbst“ als Beziehung zum Herzen ist damit gleichzeitig die Her-stellung der Beziehung zum Mitmenschen. Deshalb darf Individuation keinesfalls mit Individualismus verwechselt werden.

Hannes Weinelt

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Spielen bringt Lachen, heitere gelassene Verzweiflung, lustvoll vergnügliches Tun. Nie sind Menschen einander näher, fühlen einander verbundener, als beim gemeinsamen Spiel.

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Spielen bringt Lachen, heitere gelassene Verzweiflung, lustvoll vergnügliches Tun. Nie sind Menschen einander näher, fühlen einander verbundener, als beim gemeinsamen Spiel.

 

I

n dem österreichischen Kultfilm „Der Bockerer“ heißt es des öfteren: „Ihr Blatt, Herr Rosenblatt!“. Wir haben unser letztes Blatt schon vor über zehn Jahren gespielt. Ich denke oft daran. Ich denke sehr gerne daran. Sie fehlen mir, diese mehrstündigen Wochenendwattmarathons (Watten, ein Kartenspiel, das hauptsächlich im deutschsprachigen Süden gespielt wird) mit meiner Großmutter und meinen Eltern.

Wenn Menschen zusammenkommen,

muss man mit Wundern rechnen.“ (Hannah Arendt)

Bei Gottfried Benn heißt es: „Worte, Worte – Substantive. Sie brauchen nur ihre Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug.“

Wie verhält es sich erst beim Spiel, diesem Polymechanos – diesem Universalgeist und -könner, der sich so schwer verorten und einhegen lässt, was entfällt alles seinem jahrtausendelangen Flug? Wir finden Liebesspiele, Gesellschaftsspiele, Schauspiele, Kinderspiele, Glücksspiele, olympische Spiele, Kampfspiele, Festspiele … Wir sehen den virtuos sein Instrument spielenden Künstler, die Schönheit, die mit unserem Herzen spielt, die Philosophen und Dichter, die für uns aufs Schönste und Klügste die Klaviatur unserer Gedanken und Gefühle bespielen. Wir sehen das selig, in völliger Selbstvergessenheit spielende Kind, den Fußballspieler, der mit einem einzigen Schuss Zigtausende zu einem ekstatischen Kollektivkörper fusioniert, den Genius, dem alles spielend von der Hand geht. Wir beobachten den „Homo ludens“, den spielenden Menschen, der Kultur entstehen lässt, indem er durch das Spiel seine feinsten und humansten Möglichkeiten zeigt und entfaltet. Und wir erkennen die, wie es Max Reinhardt so schön pathetisch formulierte, glänzenden Augen von Erwachsenen, die ihre Kindheit in die Tasche gesteckt haben und sich damit heimlich auf und davon gemacht haben.

„Es war ein Spiel!
Was sollt´es andes sein?
Was ist nicht Spiel, was wir auf Erden treiben,
Und schien es noch so groß und tief zu sein
Wir spielen immer, wer es weiß ist klug.“  

(Arthur Schnitzler)

Das Spiel ist uns Menschen von der Evolution in die Wiege gelegt. Und auch auf dem Weg zur Bahre lässt sich nicht viel Gescheiteres tun, als zu spielen. Spiel und Leben bilden eine Einheit, magisch ineinander verwoben. Die Spiele nehmen die kräftige Farbe der Wirklichkeit an, die Wirklichkeit bekommt einen Firnis vom schillernden Zauber des fantastischen Spiels.

Schlussendlich können wir uns der Gewissheit nicht entziehen, dass wir alle spielende Menschen sind. Mitspieler in einem großen Lebensspiel, das wir mehr oder weniger gelingend versuchen, voller Integrität zu spielen, um eine Ursehnsucht des Menschen zu verwirklichen: die nach einer freien, unbehinderten und beschwingten Harmonie zwischen Leib, Geist und Seele.

Auch wenn wir es schaffen, ansatzweise den vielfältigen Erscheinungsformen des Spieles habhaft zu werden und uns mitunter der Balsam der Glückseligkeit, der uns im Spiel ereilt, bewusst wird, so wissen wir doch über sein Wesen, seine Wirkmacht und seine nicht hoch genug zu veranlagende Bedeutung sehr wenig. Der Versuch der Bestimmung des Unbestimmbaren ist zum Scheitern verurteilt. Das Spiel sagt uns einfach nicht, wer oder was es ist. Nein, diesen Gefallen tut es uns nicht. Doch es führt es vor. Es zeigt sich und seine Wunder, wenn wir den Mut haben, unser Spiel zu spielen. Wir erfahren seine Bedeutung, sein Wesen, seinen Charakter im Umgang mit ihm. Dieser Charakter verleitet einen Genius wie Friedrich Schiller zu der so unglaublichen, wie wahrhaftigen Aussage, dass der Mensch nur da spielt, wo er Mensch im vollen Sinne des Wortes ist, und er nur da wirklich Mensch ist, wo er spielt.

Die Spiele nehmen die Farbe der Wirklichkeit an, die Wirklichkeit bekommt einen Zauber des fantastischen Spiels.

„Der Stoff ist kostbar von dem Spiel
Dahinter aber liegt noch viel
Das müßt ihr zu Gemüt euch führen
Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.“

(Hugo von Hofmannsthal – Jedermann)

Freiwilligkeit und Freiheit sind die Grundpfeiler und der Schlussstein eines jeden Spiels. Spielen macht frei von Lebenszwängen, von allen Lasten und Pflichten. Spiel ist alles, dem das Nützlich-Sein erspart geblieben ist. Es ist alles, worauf es nicht ankommt. Es bewegt sich weit jenseits aller Zweckrationalitäten, Intentionen, Pflichtübungen und Verhaltensdressuren. (Das sollten Kindergärten, Eltern und Schulen sich immer wieder ins Gedächtnis rufen).

Weil es von all diesen äußeren Zwängen und der Kuratel des Funktionierens befreit ist, ist es ein großartiger Baumeister unseres Innenlebens. Sein Movens ist die Versenkung, das Erleben, Ursache zu sein, das Vergnügen, sich als Urheber eines Effektes, einer Wirkung fühlen zu dürfen, und die Gelegenheit mit anderen Grenzerfahrungen und Genusserleben zu teilen. Dem Spiel inhärent ist das geniale Prinzip des „So tun, als ob“ und damit die Gabe, Dinge auszuprobieren, Möglichkeitsräume auszulosten und Potenziale zu erkunden. Dies gelingt durch das genießerische Auskosten eigenen Könnens, eigenen Willens und eigener Fantasie.

Im Spiel nehmen wir zwar unsere Umwelt unmittelbar wahr, aber wir möchten uns vor allem selbst erleben, uns unserer selbst bewusst werden, uns mit all unseren Irrtümern und Fehlbarkeiten aussöhnen und gefühlsmäßig innewerden.

Dem Spiel inhärent ist das Prinzip des „So tun, als ob“ und damit die Gabe, Dinge auszuprobieren, Möglichkeitsräume auszulosten und Potenziale zu erkunden.

Spiele werden somit Lehrmeister von Kenntnissen, Fertigkeiten und Haltungen, die für uns Menschen zuvorderst außerhalb der Spielewelt bedeutsam sind. Die Schule des Spiels ist durchaus eine anspruchsvolle, eine harte Schule. Mit dem Scheitern umgehen können, die Demut des Siegers in sich entwickeln und offenbaren können, das von Vorne-beginnen-Wollen, das Mehr-können-Wollen und das Besser-machen-Wollen, sind also nicht nur für das Spiel erheblich, sie sind Voraussetzungen jeden Lernens, sie sind Voraussetzungen allen würdigen Lebens. Und das alles gelingt mit Freude und Freiwilligkeit. Entspringt der Lust am Tun an sich. Entspringt einer leiblichen, geistigen und seelischen Bewegungslust – kurz gesagt, dem Spieltrieb.

Wir nehmen reichlich Anstrengungen auf uns, um Spiele zu lernen,
welche wir, wären sie uns befohlen,
als Pflicht und Geschäft verabscheuen würden.“

(John Locke, Philosoph und Arzt)

Das Spiel ist ein sinnvolles Erleben jenseits aller Erhaltungswerte. Es spendet uns im Spagat zwischen Spannung und Lösung, zwischen Erwartung und Ergebnis, zwischen Handlung und Vergnügen, eine von aller Unbill losgelöste, eine erfüllte Zeit. Die Äußerungsenergien des Spiels wie z. B. die Leichtigkeit, Beschwingtheit, Anmut und Schönheit sind hochgradig ansteckend und unheilbar. Bis ins hohe Alter sucht die Ökumene aus Spielfreude und intellektueller Anstrengung die Wechselwirkung aus Lachen und Lernen ihresgleichen. Über das Spiel verankern sich Wissen, Normen und Werte und darüber hinaus sensomotorische, intellektuelle, emotionale und soziale Fähigkeiten weit tiefer in unserem Bewusstsein als über alle anderen Methoden aus dem psychopädagogischen Setzkasten zusammen.

„Der Mensch ist nur dann an Leib und Seele gesund, frisch munter und kräftig,
fühlt sich nur dann glücklich im Genuß seines Daseins,
wenn ihm alle seine Verrichtungen, geistige und körperliche
zum Spiele werden.“

(Christoph Martin Wieland, deutscher Dichter und bedeutender Schriftsteller der Aufklärung)

Das Spiel wie das Leben besteht unentwegt aus Handlungs-Widerfahrnis-Gemischen. Wir agieren hier wie dort unentwegt und erleben ad hoc hier wie dort unterschiedlichste Resonanzen. Wir haben also Gott sei Dank neben unserem „Ernstleben“ auch ein „Spieleleben“,  wie Jean Paul es so trefflich ausdrückt: „Nur das Gewissen ist ernsthaft, alle anderen Kräfte spielen.“

Kräfte, die uns eine sorglose Sphäre von Illusion, Imagination und fehlender Konsequenz bauen, in die man so gerne eintaucht. Das Spiel ist der Weg zur Erkenntnis der Welt. Es ist eine Vorübung für die Welt, in der wir uns gefahrlos ausprobieren können. Das Spiel ist nicht etwas Randständiges, Überflüssiges oder zur Freizeitbeschäftigung Degradiertes, es ist die Königsform von Lernen, Wachsen und Entfaltung. Es hat das Momentum überschießender Produktivkräfte und des schöpferischen Augenblicks. Irgendetwas zündet in uns das, wir nicht recht erklären können, wo es herkommt und wo es uns hinführt.

Doch auf dieser spielerischen Erfahrungsstrecke erleben wir eine Woge der Begeisterung und des intensiven Erlebens, die alle und alles mitreißt und uns als ein anderer Mensch wieder freigibt, wenn das Spiel zu Ende ist. Spiele verbessern uns und die Welt, weil wir lernen, uns mit Anforderungen, Lösungen, den anderen und vor allem uns selbst auseinanderzusetzen.

„Arbeit, Gebet, Mahl, Schlaf, Spiel,
das sind die fünf Finger unserer Lebenshand.“

(William Shakespeare)

Bis ins hohe Alter sucht die Verbindung aus Spielfreude und intellektueller Anstrengung die Wechselwirkung aus Lachen und Lernen ihresgleichen.

Ob wir, wie das Kind, als Meister der Selbstvergessenheit allein im Sandkasten spielen und im Tun die absolute Erfüllung finden oder ob wir, wie es der niederländische Kulturtheoretiker Johan Huizinga formulierte (er prägte 1938 den Begriff des Homo ludens“), als Erwachsene mit unseren Mitspielern den heiligen Ernst des Spiels zu spüren bekommen, sind beides der gleiche Fingerzeig. Wir trachten nach einem unernsten Ernst und einem ernsten Unernst, von dem aus alles fühlbar, alles denkbar, alles machbar wird. Spiel ist Leben, aus dem die Langeweile herausgestrichen ist. Es ist diese Entente cordiale aus Übung und Hingabe, weswegen wir uns sehnen spielen zu dürfen, weswegen wir uns nach einem Leben sehnen, das zum Spiel wird.

„Das Menschenleben ist aus Ernst und Spiel zusammengesetzt,
und der Weiseste und Glücklichste verdient nur
derjenige genannt zu werden,
der sich zwischen beiden im Gleichgewicht zu bewegen versteht.“

(Johann Wolfgang von Goethe)

Manfred Schwarzbraun

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