169 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/169/ Magazin für praktische Philosophie Fri, 15 Dec 2023 10:51:06 +0000 de hourly 1 Nr. 169 (3/2022) https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-169-3-2022/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=nr-169-3-2022 https://www.abenteuer-philosophie.com/nr-169-3-2022/#respond Thu, 30 Jun 2022 00:06:22 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=5572 Magazin Abenteuer Philosophie

Humor und Optimismus

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Wie wir uns das Leben leichter lachen
Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

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Wie wir uns das Leben leichter lachen

Kinder lachen etwa 400 Mal am Tag. Früher taten das Erwachsene auch. Vor fünfzehn Jahren lachten Erwachsene nur mehr 15 Mal täglich. Und wie oft lachen wir heute? Ich konnte dazu nur Zahlen für Österreich finden: fünf- bis achtmal. Warum es also nicht schaden kann, bewusst öfter zu lachen … und warum davon in Zukunft unser aller Leben abhängen kann …

Wie schreibt man einen Artikel über Humor? Muss dieser nicht vor Witz und Weisheit sprühen? Und ich hadere: Warum habe gerade ich mich für diesen Artikel – freiwillig – gemeldet? Ein Clown hat mir einmal erklärt: „Will jemand besonders witzig sein, wirkt das immer furchtbar peinlich!“
Ein anderer Rat, der mir in diesem Moment einfällt: „Nimm dir vor, dich mindestens einmal am Tag so richtig zu blamieren.“ Ist aber ein Artikel der richtige Ort für solch eine Blamage? Aber jetzt verstehe ich die zweite Botschaft des oben erwähnten Clowns besser: „Wahre Komik entsteht erst aus Todesangst …“ Ich sitze also erstarrt wie eine Maus vor der Schlange angesichts der leeren Bildschirmseite meines Computers.

Ein Experiment

Jetzt kommt mir eine andere Geschichte in den Sinn: ein Experiment. Es soll veranschaulichen, ob Sie von Ihrem Partner oder von Ihrem Hund mehr geliebt werden. Anmerkung: Katzen oder Hamster eigenen sich dafür weniger!
Versuchsanordnung: Sperren Sie Partner und Hund (allenfalls auch nacheinander – je nach Größe) in den Kofferraum Ihres Autos. Öffnen Sie ihn nach einer Stunde und Sie sehen ein eindeutiges Ergebnis. Und wenn dieses Experiment vielleicht auch nicht tauglich ist, die Liebe oder Güte einer Partnerschaft gegenüber dem Vergleichshund festzustellen, so ist es ein wunderbares Experiment, um den Humor zu testen.
Stellen Sie sich also vor, Sie sind im Kofferraum eingesperrt: Was tun Sie in dieser Stunde? Woran denken Sie? Was fühlen Sie? – Die einzige Handlungsoption, die Ihnen bleibt, – zumindest nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben, – ist, mit Humor zu reagieren. Welches Ausstiegsszenario planen Sie? – Ich meine hier nicht den Ausstieg aus Ihrer Beziehung, sondern mit welchen Worten, welcher Gestik und Mimik entsteigen Sie dem Kofferraum?

…. Raum und Zeit zum Nachdenken … (Sie haben eine ganze Stunde Zeit.)

Haben Sie etwas WIRKLICH Gutes gefunden? Gratulation, Sie sind ein humorvoller Mensch.

Herr, schenke mir Sinn für Humor! Gib mir die Gnade, einen Scherz zu verstehen, damit ich ein wenig Glück kenne im Leben und anderen davon mitteile.

Thomas Morus

An diesem Beispiel erkennen wir die unendlich vielen Vorteile eines humorvollen Lebens. Denn es gibt im Alltag viele Kofferräume, in denen wir uns von Menschen oder Situationen eingesperrt fühlen, – aber wir sind uns auch selbst der beste Gefängniswärter. Wir sperren uns ein, wenn wir uns selbst zu wichtig nehmen, unsere eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse, unsere Sorgen und Ängste überdimensional groß werden lassen. Natürlich dürfen wir wütend sein, uns ängstigen, unsere Sorgen pflegen, die Tragik des Lebens – im Großen wie im Kleinen – ganz auskosten. Aber was bringt es? Deswegen geht der Kofferraum nicht früher auf! Es ist also einfach intelligenter, sich in dieser Zeit ein lustiges „Ausstiegsszenario“ zu überlegen. Die Zeit wird dann viel amüsanter und schneller vergehen. Garantiert!

Tragik und Tiefe des Humors

Jetzt kommt das Gegenargument der Oberflächlichkeit. Aber das greift nicht. Steigen Sie aus dem Kofferraum mit dem Witz auf den Lippen:
„Warum summen Bienen? – Weil sie den Text vergessen haben!“
Nein, das funktioniert nicht. Gerade in der Tragik und in der Selbstbetroffenheit der Situation müssen Sie wirklich in die Tiefe gehen. Der Humor, den Sie hier brauchen, wird aus dem Grunde Ihres Herzens und Denkens geboren und nicht an der Oberfläche.

Wir können sagen: Das Leben ist ein Spiel. Wir nehmen selbst Spiele meist zu ernst. Wie dann erst das Leben! Aber es geht um eine gewisse Leichtigkeit, eine spielerische Freude, einen Kitzel der Herausforderung und nicht (nur) um die Tragik der Ereignisse. Selbst der Tod kann uns zu Humor veranlassen.
Es läutet an der Türe einer altehrwürdigen Wiener Dame. Sie öffnet und sieht einen winzigen Tod vor sich stehen. „Nein, bittscheen noch nicht. Ich will noch nicht! Ein bissl noch, bitte!“ – „Keine Sorge, gnä´ Frau. Diesmal hol ich nur Ihren Hamster!“
Oder eine Schlagzeile, die zu meinen besonderen Lieblingswitzen gehört:
„Hubschrauber über dem Wiener Zentralfriedhof abgestürzt. 300 Leichen bereits geborgen!“
Und ein angeblich aus dem Leben gegriffener Ausspruch:
Die Todesstrafe soll vollzogen werden. Die Beamten holen den Verurteilten ab, – vermutlich an einem Montag. Dieser sagt: „Die Woche fängt ja gut an!“
Und noch ein Witz zum Thema Tod – ein unfreiwilliger Versprecher einer österreichischen Politikerin voller Pathos in Coronazeiten: „Wie viele Tote müssen noch sterben?“

Fast in jedem Witz steckt eine gehörige Portion an Tragik.
„Zwei Jäger treffen sich.“

Oder ein wenig subtiler:
Fuchs, Hase und Bär müssen zur Musterung. Sie wollen aber nicht einrücken. Der Fuchs schneidet sich die Lunte, der Hase die Ohren ab und der Bär reißt sich seine Zähne aus. Fuchs und Hase kommen glücklich zurück, aber der Bär ist verzweifelt. Zahnlos lispelt er: „Zu groß und zu dick!“

Hier taucht auch das wichtige Thema der fehlgeschlagenen Erwartungen auf. Im Witz erwartet man immer etwas, aber diese Erwartung trifft eben nicht ein. Da ist es schon egal, ob es der Bär ist oder der Zuhörer. Wichtig ist die Enttäuschung im besten Sinne des Wortes, das Unerwartete und nicht zu Erwartende. Aber auch hier gleich noch eine Enttäuschung: Witz ist nicht gleich Humor. Beim Witz lachen wir über meist anonymisierte andere und freuen uns, dass es diesmal wenigstens nicht uns betroffen hat. Aber Humor ist die Fähigkeit, über uns selbst zu lachen. Und Humor ist auch nicht Spott, sondern er hat etwas Weises an sich – ohne Hass, Rache oder Bösartigkeit.

„Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“

Karl Valentin

Passieren uns nicht manchmal Dinge im Leben, die in der besten Slapstickkomödie vorkommen könnten? Lachen wir darüber, denn das Tragische ist ohnehin schon passiert. Ein weiser Narr namens Karl Valentin hat dieses Phänomen so erklärt: „Alles hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“ Die negative Seite drängt sich meist von selbst auf. Machen wir uns aber ganz bewusst auf die Suche nach der positiven und der komischen.

Tabus und warum nur der Hofnarr die Wahrheit sagen darf

In Humor und Witz tut sich oft (verborgene) Wahrheit auf. Daher sind Witze von Natur aus nicht politisch korrekt, sie berühren sehr oft Tabus. Sie sprengen Grenzen des Denkens und können auch die Absurdität von Haltungen und Meinungen offenbar machen. Hierzu zähle ich auch die Wortwitze, die aufzeigen, wie oft wir gedankenlos Begriffe verwenden wie hier:
Eine Blondine: „Ich bekomme eine Vollholzküche!“ Die andere Blondine nachdenklich: „Und wo gibst du das Geschirr hin?“
Ich erinnere mich hier auch an einen Witz, der vor etlichen Jahren die österreichische Politik erschütterte:
Eine weiße und eine schwarzafrikanische Mutter sitzen in einem Zugabteil. Ihre Säuglinge werden hungrig und sollen die Brust bekommen. Sagt das weiße Baby: „Mama, ich hätte auch gerne einmal Kakao!“
Dieser Witz ist harmlos, nicht diskriminierend und doch darf er heute nicht mehr erzählt werden. Verlieren wir dadurch à la longue als Gesellschaft den Humor? Irgendwann werden keine Beamten-, Ärzte-, Politikerwitze u. s. w. mehr erzählt werden dürfen. Zigeuner- und Indianerwitze sind derzeit wohl schon tabu.

Aber wir erkennen auch, dass die Witze eng verknüpft sind mit kollektiven und individuellen Themen. In Abwandlung eines bekannten Sprichwortes formuliere ich daher: Verrate mir deinen Lieblingswitz und ich sage dir, wer du in Wahrheit bist. Überprüfen Sie das bei sich selbst und bei Freunden. Sie werden staunen. Witz und Humor enthüllen unser Inneres. Aber weil die Wahrheit in ein Lächeln gehüllt ist, tut sie nicht so weh.

Humor ist einer der wichtigsten Schlüssel zu innerer Freiheit!

Michael von Brück

Humor – nicht nur um das Leben leichter zu lachen

Bloß das Leben leichter zu lachen, wäre wohl bei aller philosophischer Betrachtung zu wenig. Ja, es ist ein angenehmer Nebeneffekt. Aber Humor ist viel mehr. Der französische Philosoph André Comte-Sponville (in seinem Buch: Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben – Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte) geht sogar so weit, Humor als Tugend zu bezeichnen. Denn er verleiht Leichtigkeit, Abstand von Problemen und dem eigenen Ich, sprengt Grenzen des Gewohnten und Althergebrachten und eröffnet so neue Perspektiven und Möglichkeiten.
Wenn wir angesichts von Corona, Krieg und Klimawandel wie die oben erwähnte Maus vor der Schlange erstarren, so können wir nichts dagegen tun. Auch dazu gibt es einen Witz:
Treffen sich im Weltraum die Erde und ein Komet: „Wie geht es dir, Erde?“ – „Schlecht! Habe Homo sapiens!“ Der Komet antwortet lächelnd: „Ach was, das geht vorüber!“
Aber in Zeiten wie diesen reicht es nicht, bloß auf Zeitablauf zu setzen. Jedes Gefühl der Ohnmacht und des Opferseins führt in Passivität, Verzweiflung und Stress. Wir könnten stattdessen alle gemeinsam das Rezept für die „Bessere-Welt-Suppe nachkochen:
Man nehme je 500 g Eigeninitiative und Verantwortungsgefühl, 200 g Toleranz, füge 4 EL Mut dazu, schmecke das Ganze ab mit einer Brise Menschenliebe, würze mit Wille und Ausdauer und verfeinere am Schluss mit einem Schuss Humor.

Humor gibt uns Kraft und innere Freiheit. Denken wir uns und die Welt neu und legen wir einfach los. Nutzen wir diese gewonnene Kreativität in uns, denn humorlose Pessimisten haben noch nie die Welt verändert.

Ohne Optimismus geht der Wille zur Gestaltung der Zukunft verloren.

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anlässlich seines 130. Geburtstages
Mehr noch als sich selbst wollte Walter Benjamin sein letztes Werk retten, als er 1940 zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien floh. Er starb einen Tag nach seiner Ankunft unter immer noch ungeklärten Umständen. Das Werk, das er in einer Aktentasche bei sich trug, ist verschollen...

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Walter Benjamin, Denker zwischen Marx und Mystik

anlässlich seines 130. Geburtstages

Mehr noch als sich selbst wollte Walter Benjamin sein letztes Werk retten, als er 1940 zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien floh. Er starb einen Tag nach seiner Ankunft unter immer noch ungeklärten Umständen. Das Werk, das er in einer Aktentasche bei sich trug, ist verschollen…

„Die Welt gerät aus den Fugen, aber Benjamins Höflichkeit ist unerschütterlich.“ Das war Lisa Fittkos erster Gedanke, als der „alte Benjamin“, wie sie ihn nannte, unerwartet vor ihrer Tür stand und sagte: „Gnädige Frau, entschuldigen Sie bitte die Störung. Hoffentlich komme ich nicht ungelegen.“

Der „alte Benjamin“ war in diesem September 1940 zwar erst 48 Jahre alt, aber schwer herzkrank. Und er war in Panik. Seit 1933 lebte er im französischen Exil. Er, der jüdische Intellektuelle, Geschichtsphilosoph, Essayist und Denker zwischen Politik und Mystik, zwischen Marx und Kabbala. Nun hatten die Nazis einen Teil Frankreichs besetzt und in der Vichyregierung willige Helfer gefunden. Alle von den Nazis gesuchten Personen sollten ausgeliefert werden. Damit war das Exilland Frankreich zur Falle geworden.

Der „alte Benjamin“ mit seinem spanischen Hofzeremoniell

Benjamin war von Lisas Mann Hans nach Banyuls-sur-Mer geschickt worden, einer Kleinstadt an der französischen Mittelmeerküste, unweit der spanischen Grenze. Dort hatte Lisa einen Weg über die Pyrenäen, einen alten Schmugglerpfad, ausgekundschaftet. Lisa, eine Jüdin, und ihr „arischer“ Mann, waren Antifaschisten der ersten Stunde. Sie waren politisch aktiv, d.h., sie waren diszipliniert, vernetzt und ließen sich kein X für ein U vormachen. Nun war auch ihnen in Frankreich der Boden unter den Füßen zu heiß geworden. Sie hatten bereits alle Ausreisepapiere zusammen und eine Schiffspassage von Lissabon nach Panama gebucht. Da stand plötzlich Walter Benjamin vor der Tür.

Der erste Erkundungsgang, auf den Lisa noch eine Frau und ihren 16-jährigen Sohn mitnahm, sollte wie ein Ausflug aussehen. „Um Himmels willen nur keinen Rucksack mitnehmen“, hatte Lisa ihnen eingeschärft. Der Rucksack war sozusagen das Wahrzeichen der Deutschen. Einen Rucksack hatten sie nicht dabei, aber Benjamin kam mit seiner schweren Aktentasche. „Das Manuskript muss gerettet werden. Es ist wichtiger als meine Person“, sagte er. Als die kleine Gruppe sich den verschlungenen Pfad durch die Weinberge eingeprägt hatte und wieder umkehren wollte, blieb Benjamin liegen und erklärte höflich, aber kategorisch, er werde die Nacht hier verbringen. Er habe zwar nichts zu essen und nichts zum Zudecken, aber wenn er zurückginge und am folgenden Tag dieselbe Strecke und die restlichen zwei Drittel des Weges auch noch zurücklegen müsse, dann würde sein Herz wahrscheinlich nicht durchhalten. Er müsse unbedingt die Grenze überqueren, damit er und sein Manuskript nicht der Gestapo in die Hände fielen. Tatsächlich fanden die Drei Benjamin am nächsten Morgen in verhältnismäßig guter Verfassung.

„Das Manuskript muss gerettet werden. Es ist wichtiger als meine Person“, sagte Walter Benjamin mit seiner schweren Aktentasche in der Hand.

Benjamin wanderte langsam und gleichmäßig und legte regelmäßig kurze Pausen ein. Das Gehen musste ihm ungeheuer schwerfallen und Lisa bewunderte seine Disziplin. Sie schreibt in ihrer Biografie: „Was für ein merkwürdiger Mensch. Kristallklares Denken, eine unbeugsame innere Kraft und dabei ein hoffnungsloser Tollpatsch.“ Tatsächlich war seine Unfähigkeit, mit den praktischen Lebensanforderungen zurechtzukommen, sprichwörtlich.  In dem Sammellager, in dem Walter Benjamin wie alle deutschen Flüchtlinge nach Kriegsausbruch interniert worden war, hatte er unter einer Treppe gelebt und war von einem anderen Gefangenen versorgt worden. „Ein Heiliger in seiner Höhle, betreut von einem Engel“, wie jemand beschrieb. Auch damals schon fiel die Gelassenheit auf, mit der Benjamin alle Widrigkeiten ertrug. Sein Beitrag zum Leben in Gefangenschaft war ein Philosophiekurs für Fortgeschrittene!

Der Weg in den Untergang

Aus diesem ersten Internierungslager war er dank der Intervention von Freunden noch einmal freigekommen. Aber jetzt ging es um Leben oder Tod. Auf dem Weg über die Berge kam es zu einem Zwischenfall, der Benjamins Verfassung zeigte. Lisa versuchte, ihn davon abzuhalten, aus einem grünlich-stinkenden Wassertümpel zu trinken. „Sie kriegen Typhus!“ Und er: „Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich Typhus kriege, aber erst nachdem ich die Grenze überschritten habe und mein Manuskript gerettet ist. Sie müssen schon entschuldigen, gnädige Frau.“ Und Lisa Fittko schreibt im Rückblick auf diese Szene: „Ja, so war er, der alte Benjamin mit seinem spanischen Hofzeremoniell.“

Am höchsten Punkt des Weges, von dem aus man schon die Zollstation und den spanischen Grenzort Portbou sehen konnte, machte Lisa beschwingt kehrt. Sie glaubte ihre „Gäste“ gerettet. Doch kurz vorher hatten sich die Bestimmungen wieder einmal geändert. Die spanischen Grenzer verlangten jetzt französische Ausreisepapiere, die keiner der Drei vorweisen konnte. Man sagte ihnen, dass sie sich die Nacht über in einem Hotel ausruhen könnten, dass sie dann aber wieder zurückgeschickt würden. Als man Walter Benjamin am nächsten Morgen tot auffand, waren die Spanier so erschüttert, dass sie Mutter und Sohn weiterreisen ließen. Obwohl immer wieder Zweifel an der Todesursache aufkommen, ist die Vermutung, Benjamin habe aus Verzweiflung seinen ganzen Vorrat an Morphintabletten geschluckt, immer noch am wahrscheinlichsten. Von der Aktentasche und ihrem Inhalt, der Benjamin so am Herzen lag, fehlt seitdem jede Spur.

Wer war Walter Benjamin? Essayist, Literatur- und Filmkritiker, Übersetzer und Philosoph. Vielleicht: ein Denker zwischen Politik und Mystik, ein Sprachphilosoph …

Die Bestimmung, die Walter Benjamin das Leben gekostet hatte, wurde bald wieder aufgehoben und Lisa und Hans konnten noch viele Menschen auf dem Weg, der jetzt „Route Fittko“ heißt, über die Grenze nach Spanien bringen. Welchen Mut, auch Wagemut, welche Kaltblütigkeit und Warmherzigkeit sie an den Tag gelegt hatten! Deswegen, und weil wir die näheren Umstände von Benjamins Weg über die Pyrenäen vor allem aus Lisas Biografie kennen, sei noch auf ihren weiteren Lebensweg verwiesen. Auch dem Ehepaar Fittko gelang in letzter Minute die Flucht über Spanien und Lissabon nach Kuba. Eigentlich hatten sie nach Deutschland zurückkehren wollen, um das Land demokratisch wieder aufzubauen.  Als Hans schwer erkrankte, reisten sie in der Hoffnung auf Heilung in die USA, wo Lisas Bruder, ein Physiker, lebte. Dort sind beide gestorben; Hans 1960 und Lisa 2005.

Walter Benjamin wurde auf dem Friedhof von Portbou beerdigt. Ein schöner Ort. Er liegt dem Wind und der Sonne ausgesetzt hoch über dem Meer, aber ein Grab gibt es nicht. Nur einen Gedenkstein, auf dem Besucher nach jüdischer Tradition Steine ablegen. Fünf Jahre nach seinem Tod waren seine Gebeine in ein Massengrab versenkt worden. Kein Grab, keine Aktentasche, kein Manuskript. Also nichts? 

Das Denkmal heißt „Passagen“ und bezieht sich sowohl auf Benjamins „Passage“ über die Pyrenäen als auch auf sein Werk mit demselben Titel. Photo 139461101 © Denis Chiosea | Dreamstime.com

Ein Denkmal aus „Stahl, Glas, Wellen, Fels, Wind und Oliven“

Sehr viel. Auf Anregung des damaligen deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker schuf der israelische Künstler Dani Karavan (* 1930 in Tel Aviv) ein Monument, das, so der Künstler, aus „Stahl, Glas, Wellen, Fels, Wind und Oliven“ besteht. Es wurde 1994 eingeweiht. Die Oliven beziehen sich auf einen Olivenbaum, der in der Nähe der Friedhofsmauer wächst und ganz klar in die Konstruktion mit einbezogen wurde. Der Hauptteil des Denkmals ist ein 33 Meter langer Stahltunnel, der sich den Berghang hinunter zum Meer zieht. Er heißt „Passagen“ und bezieht sich sowohl auf Benjamins „Passage“ über die Pyrenäen als auch auf sein Werk mit demselben Titel.  Knapp über der Meeresoberfläche schließt eine Glasscheibe den Tunnel ab. Darauf eingraviert ein Zitat des Philosophen: „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten.“  Manchmal ist es auch schwer, das Gedächtnis der Berühmten zu ehren. Hier ist es gelungen.

Walter Benjamin wurde auf dem Friedhof von Portbou in ein Massengrab versenkt. Es gibt aber einen Gedenkstein, auf dem Besucher nach jüdischer Tradition Steine ablegen. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/af/Grab_Walter_Benjamin.jpg

Walter Benjamin und der sprechende Baum

Der Zugang zu Walter Benjamin (*15.7.1892 in Berlin, gestorben 1940 in Portbou, Spanien) ist nicht ganz leicht. Selbst die Beantwortung der Frage „Wer war Walter Benjamin?“ ist nicht einfach: Essayist, Literatur- und Filmkritiker, Übersetzer und Philosoph. Und was für ein Philosoph? Ein „Denker zwischen Saturn und Mickey Mouse“? (Titel eines Buches von Jean-Michel Palmier über W.B.) Ein Marxist mit mystizistischem Einschlag? Vielleicht: ein Denker zwischen Politik und Mystik, ein Sprachphilosoph, der sich in metaphysisch-mystischer Sprachtradition auf die Schöpfungssprache Gottes bezog, jedenfalls einer der einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jh.

Der sprechende Baum löste in W. B. ein mystisches Erlebnis aus. Sprache ist für ihn die Mitteilung des geistigen Inhalts in allen Dingen, der belebten wie auch der unbelebten Natur. Foto: Sabina Jarosch

Im Jahr 1932 war Benjamin noch weitgehend unbekannt, lebte in ärmlichen Verhältnissen auf Ibiza und kämpfte mit einer anhaltenden Depression. In seinen „Denkbildern“ (erschienen 1974 bei Suhrkamp) schildert er unter dem Titel „Der Baum und die Sprache“ folgende Begebenheit, die mir eine erste Begegnung mit Benjamin ermöglicht hat:

Kein Grab, keine Aktentasche, kein Manuskript …

„Ich stieg eine Böschung hinan und legte mich unter einen Baum. Der Baum war eine Pappel oder eine Erle. Warum ich seine Gattung nicht behalten habe? Weil, während ich ins Laubwerk sah und seiner Bewegung folgte, mit einmal in mir die Sprache dergestalt von ihm ergriffen wurde, dass sie augenblicklich die uralte Vermählung mit dem Baum in meinem Beisein noch einmal vollzog. Die Äste und mit ihnen auch der Wipfel wogen sich erwägend oder bogen sich ablehnend, – die Zweige zeigten sich zuneigend oder hochfahrend, – das Laub sträubte sich gegen einen rauhen Luftzug, erschauerte vor ihm oder kam ihm entgegen; der Stamm verfügte über seinen guten Grund, auf dem er fußte; und ein Blatt warf seinen Schatten auf das andre. Ein leiser Wind spielte zur Hochzeit auf und trug alsbald die schnell entsprungenen Kinder dieses Betts als Bilderrede unter alle Welt.“

Das ist eine mit Magie aufgeladene Szene (und das „magische“ Element in Benjamins Sprachphilosophie wurde auch vielfach kritisiert). Wir können uns einen heißen, trockenen Tag am Mittelmeer vorstellen. W.B. macht einen Ausflug oder vertritt sich die Beine, wir wissen es nicht. Und da steht dieser Baum, der zunächst einfach nur Schatten verheißt. Aber plötzlich wird W.B. Zeuge der „Vermählung“ zwischen Baum und Sprache. Der Sprechende – der Baum – und seine Sprache werden eins. Sie sind nicht mehr getrennt, wie das bei der menschlichen Sprache nach dem Sündenfall ist. Hier müssen wir uns vom Einfühlen verabschieden und uns dem benjaminschen Begriff der „reinen Sprache“ anvertrauen. Sprache ist für W. B. die Mitteilung des geistigen Inhalts in allen Dingen, der belebten wie auch der unbelebten Natur, und die menschliche Sprache ist darunter nur eine von vielen. Oder anders formuliert: Das, was mitgeteilt werden kann, ist die Sprache (nicht: wird durch Sprache ausgedrückt). Der Baum hat keine Botschaft; er ist seine Sprache und W.B. konnte in einem Moment der Erleuchtung diese Sprache „verstehen“. Diese Erfahrung war für ihn ein solcher Glücksmoment, dass er ihm das Weiterleben ermöglicht hat.

Literaturhinweis:

Lisa Fittko, Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41. Veröffentlicht 1985

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