159 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/159/ Magazin für praktische Philosophie Tue, 14 Dec 2021 15:17:32 +0000 de-DE hourly 1 Aristoteles https://www.abenteuer-philosophie.com/aristoteles/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=aristoteles https://www.abenteuer-philosophie.com/aristoteles/#respond Fri, 10 Dec 2021 07:49:40 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=2466 Magazin Abenteuer Philosophie

„Aristoteles war wohl eines der tiefsten wissenschaftlichen Genies, die je erschienen sind.“
(G. W. F. Hegel)

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Aristoteles war wohl eines der tiefsten wissenschaftlichen Genies, die je erschienen sind.“
G. W. F. Hegel

Zweitausend Jahre lang galt alles, was Aristoteles (384-322 v. Chr.) behauptete, als unanfechtbares Dogma – schreibt der italienische Autor Luciano De Crescenzo. Auch wenn das nicht ganz richtig ist, kann man die wissenschaftliche Bedeutung des Aristoteles kaum überschätzen. Noch zu Beginn der Neuzeit musste jeder ernsthafte Versuch, einen wissenschaftlichen Fortschritt zu erzielen, mit einem Angriff auf einzelne Lehren des Aristoteles beginnen. In der europäischen Scholastik nannte man ihn einfach „den Philosophen“, was seinen uneinholbaren Rang verdeutlicht, wobei manchmal ein Verweis auf ihn bereits genügte, um eigene Thesen zu rechtfertigen. Für die Wissenschaft hatte Aristoteles daher lange eine ähnliche Autorität wie die Bibel für den frommen Christen.

Das Kunststück, die aristotelische Philosophie mit der christlichen in Einklang zu bringen, vollzog Thomas von Aquin.

Dies führte in Frankreich immer wieder vorübergehend zu Verboten aristotelischer Schriften. Denn nach Aristoteles ist die Seele sterblich und Gott wird als unpersönliches Wesen interpretiert, das weder Menschen verdammt noch christliche Fürsorge zeigt. Bereits über 500 Jahre zuvor übte sein Denken einen ähnlich starken Einfluss auf den jüdischen und arabischen Wissenschaftsbetrieb aus.

Doch wer war dieses Genie, von dem noch Immanuel Kant im 18. Jh. sagte, dass dessen formale Logik wohl nicht weiter verbesserbar sei? Wer war diese Person, dessen Denken noch im 20. Jh. zu einer Renaissance der Tugendethik führte?

Obwohl es ganze 2000 Jahre dauerte, bis Männer wie Galileo Galilei und Isaac Newton Grundannahmen der aristotelischen Physik überwinden und der modernen Physik den Weg ebnen konnten, trat die Persönlichkeit des Aristoteles dabei in den Hintergrund. Aristoteles war der erste große Lehrer des Abendlandes, der wie ein Professor arbeitete.

Seine Stärke lag in seiner systematischen Arbeitsweise, die durch hohe analytische Präzision und Reflexionsfähigkeit gekennzeichnet war.

Bei Aristoteles kommt zudem ein Wesenszug zum Ausdruck, der nicht umsonst die Wissenschaft bis heute prägt: die Suche nach Wahrheit wird zum Selbstzweck, d. h. sie darf nicht der Verteidigung erwünschter Vorurteile oder Lebensweisen dienen. Gegenüber Platon zeichnet ihn aus, dass er Mehrdeutigkeiten von Begriffen durch Definitionen vorzubeugen suchte und theoretische von praktischen Disziplinen klar trennte. Damit wurden Wissenschaft und philosophisch inspirierte Ideologie zu unvereinbaren Sphären. Diese Aufrichtigkeit kam auch in seinem Wesen zum Ausdruck. Aristoteles war ein staubtrockener Analytiker, dem jeder Hang zur Leidenschaftlichkeit fehlte. Wer seine Denkweise genau studiert, wird bemerken, dass es bedeutende Übereinstimmungen zwischen der vollendeten Lebensweise nach Aristoteles‘ Ethik und seiner eigenen gab. Erstaunliche Parallelen lassen sich auch zwischen der vollkommenen Glückseligkeit Gottes (laut Aristoteles) und seiner eigenen Lebensweise finden. Gott ist demnach reines Denken, der Materie enthoben und muss sich genauso wenig die Hände mit Materie (z. B. körperliche Arbeit) schmutzig machen wie der aristokratische Philosoph, der es sich leisten kann, vorwiegend zu studieren. Sein größter Reichtum sind Zeit, Bildungsbeflissenheit und Muße. Die negativen Züge dieser Lebens- und Denkweise fallen durch ihre aristokratische Überheblichkeit sowie durch die für dessen Gottesbild typische Gleichgültigkeit und Selbstgenügsamkeit auf. Bertrand Russell kommentiert Aristoteles‘ Ethik folgendermaßen:

„Die sogenannte Güte oder Menschenfreundlichkeit fehlt bei Aristoteles fast völlig. Die Leiden der Menschheit lassen ihn, sofern er sich ihrer überhaupt bewusst wird, ganz unberührt … Mit unangemessen behaglicher Selbstzufriedenheit spekuliert Aristoteles über menschliche Dinge; alles, was die Menschen zu leidenschaftlichem, gegenseitigem Interesse anregt, scheint er zu übersehen. Selbst seine Schilderung der Freundschaft ist lau und matt. Niemals merkt man ihm an, dass er irgendwelche Erlebnisse gehabt hatte, bei denen er Gefahr lief, den Verstand zu verlieren; alle tieferen Aspekte des moralischen Lebens sind ihm offenbar unbekannt.“

Russell dürfte dabei jedoch übersehen haben, dass antike Tugendethiken die Leidenschaftslosigkeit als eines der wertvollsten Güter betrachteten. Die christliche und später kantische Pflichtethik war der gesamten antiken Tugendethik fremd.

Obwohl die Selbstgenügsamkeit des aristotelischen Weisen nicht gerade Sympathien erweckt, sollte gerade Aristoteles nicht nachgesagt werden, dass ihn andere Menschen nicht kümmerten.

So sorgte er für seine Frau und seinen Sohn, ja sogar für Bedienstete testamentarisch vor, während bis heute gelegentlich das humanistische Potenzial seines Denkens hervorgehoben wird. Unter bestimmten Umständen plädierte Aristoteles sogar für die Freilassung von Sklaven und es fehlte ihm jede Neigung zu Jähzorn oder Bosheit. Nachdem Aristoteles gegen Ende seines Lebens von Athen fliehen musste, starb er zurückgezogen unweit von Athen – vermutlich an einem Magenleiden. Seine Schule – das Lykeion – blieb noch ca. bis ins 1. Jh. v. Chr. bestehen.

Literaturhinweis:

  • BIRNBACHER, Dieter: 2007. Analytische Einführung in die Ethik. 2. Auflage. Berlin: de Gruyter (de Gruyter Studienbuch)
  • CORCILIUS, Klaus; Christof RAPP (Hg.): 2011. Aristoteles Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler
  • DE CRESCENZO, Luciano: 1990. Geschichte der griechischen Philosophie. Von Sokrates bis Plotin. Aus dem Italienischen von Linde Birk. Zürich: Diogenes
  • HÖFFE, Otfried: 2006. Aristoteles. München: C.H. Beck (Beck’sche Reihe Denker 535)
  • KOBUSCH, Theo 2011: Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters. München: C.H. Beck (Geschichte der Philosophie, Band V)
  • RUSSELL, Bertrand 2004: Philosophie des Abendlandes. Aus dem Englischen von Elisabeth Fischer-Wernecke. München: Piper

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„Alles!“, sagen die einen. „Nichts!“, sagen andere.
Zum Nachdenken
Anworten auf die Frage: Was macht Gott eigentlich?

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Erneuter Kampf um Gaia
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philoSOCIETY

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Zum Nachdenken
Søren Kierkegaard
Über die Liebe

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Die Melodie der Atome
Wie Werner Heisenberg die Welt erklärt
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philoSOPHICS

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Bin ich bereit, mich zu riskieren?
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Aristoteles: Einer der tiefsten Wissenschaftler
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„Alles!“, sagen die einen. „Nichts!“, sagen andere. „Er ist tot!“, sagte Nietzsche. „Es gibt ihn gar nicht!“, sagen die Atheisten. Vielleicht muss man die Frage überhaupt anders stellen: Nicht, was macht Gott, sondern was macht Gott mit uns?

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Alles!“, sagen die einen. „Nichts!“, sagen andere. „Er ist tot!“, sagte Nietzsche. „Es gibt ihn gar nicht!“, sagen die Atheisten. Vielleicht muss man die Frage überhaupt anders stellen: Nicht, was macht Gott, sondern was macht Gott mit uns?

„Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen, aber er war nicht dort. Ich ging zu den Tempeln der Hindus und zu den alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern, aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden. Ich ging zur Kaaba in Mekka, aber dort war er auch nicht. Ich befragte die Gelehrten und Philosophen, aber er war jenseits ihres Verstehens. Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als ich ihn sah. Er ist nirgends sonst zu finden.“

Mit diesen Worten verkündete der große persische Sufi- Mystiker Rumi (1207 – 1273), dass weder die Wissenschaft noch die Philosophie und nicht einmal die Religionen uns sagen können, wer oder was Gott ist. Dazu müssen wir unser Herz befragen. Ganz ähnlich formulierte es der christliche Mystiker Meister Eckhart (1260 – 1328): „Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen; er ist nicht weiter als vor der Tür des Herzens. Dort steht er und harrt und wartet.“

Von welchem Gott reden wir?

Rumi wie Meister Eckhart sind sich in zwei Dingen einig. Erstens: Es gibt einen Gott. Generell ist die Existenz Gottes oder von etwas Göttlichem bei allen Völkern in allen Zeitaltern anzutreffen, auch wenn die heutigen atheistischen Strömungen sich krampfhaft bemühen, Atheismus überall und zu allen Zeiten nachzuweisen. In diesem Zuge wurde selbst der Pantheismus zu einem versteckten Atheismus. Jedenfalls ist dieser Consensus gentium eines universellen Glaubens an Gott Anlass für Ciceros Gottesbeweis:

 „Es gibt kein Volk, das so wild, und niemanden unter allen, der so roh wäre, dass er in seinem Geist nicht einen Gedanken an die Götter trüge.

Viele meinen über die Götter Verkehrtes (das aber pflegt aus einem schlechten Lebenswandel zu rühren) – dennoch glauben alle, dass es eine göttliche Kraft und Natur gibt …“ Mit diesem sogenannten Konsensargument meint Cicero, die Existenz von etwas Göttlichem bewiesen zu haben. Nur will ich Sie hier weder mit diesem noch mit sonstigen Gottesbeweisen langweilen. Falls Sie jedoch entgegen meiner Annahme sogar darauf brennen, mehr über den anthropologischen, ontologischen, kosmologischen, moralischen, teleologischen usw. Gottesbeweis zu erfahren, verweise ich Sie auf den gleichnamigen Wikipedia-Artikel. Abraham Lincoln argumentierte übrigens einst in einem Satz sowohl die Leugnung wie die Existenz Gottes: „Ich könnte mir vorstellen, dass ein Mensch auf die Erde hinabblickt und behauptet, es gebe keinen Gott; aber es will mir nicht in den Sinn, dass einer zum Himmel aufschaut und Gott leugnet.“ Mehr als auf den Konsens, dass es einen Gott gibt, möchte ich auf den zweiten Konsens zwischen Rumi und Meister Eckhart eingehen: Gott ist nur in unserem Herzen zu finden. Die Betonung liegt auf nur.

© Dedmazay | Dreamstime.com

Und was macht das mit uns?

Wenn Gott nur in unserem Herzen zu finden ist: Was macht das mit uns? Das bedeutet wohl, dass wir uns auf die Suche nach uns selbst machen müssen, um Gott zu finden. Dies erinnert an das vielzitierte Gnothi seauton auf dem Apollon-Tempel in Delphi: „Mensch erkenne dich selbst.“ Und so mancher spirituelle Lehrer ergänzte: „Erst dann wirst du Gott erkennen.“

Bei Eckhart ist die Selbsterkenntnis ganz klar Gotteserkenntnis, da der „Seelengrund“ des Menschen ein „Fünklein Gottes“ ist.

Die Abkehr von diesem Seelengrund, also die Abkehr von Gott, ist für Meister Eckhart Sünde. Sünde ist ein Sich-Sondern, ein Zurückschreiten vom Einen zu den vielen Dingen. Heute würden wir sagen, wir verlieren das Wesen, den Sinn unseres Mensch-Seins aus den Augen und zerstreuen uns sowohl in den unzähligen Vergnügungen als auch in den zahlreichen sogenannten Verpflichtungen.

Unser Gottesbild also macht etwas mit uns. Es bestimmt, wie wir uns im Leben verhalten, wonach wir streben und was wir vermeiden wollen. Wenn wir an einen persönlichen, außerkosmischen Gott glauben, der in seiner Allmacht über alles bestimmt und uns willkürlich alles geben, aber auch alles nehmen kann: Was macht das mit uns? Wir werden uns wohl ganz diesem Gott ergeben. In unseren Gebeten werden wir mit diesem Gott verhandeln.

Im schlimmsten Falle werden wir zu geistigen Bettlern, die sich in frommer Untätigkeit auf die Gnade Gottes verlassen. Selbst der Pastor Martin Luther King wetterte gegen diese Haltung:

„Kein Problem wird gelöst, wenn wir träge darauf warten, dass Gott allein sich darum kümmert!“

Auf Gott wartete ja auch jener Mann, der bei steigendem Hochwasser auf seinem Dach saß. Jedes Mal, wenn die Feuerwehr im Boot vorbeikam, weigerte er sich einzusteigen mit den Worten: „Gott wird mich retten!“ Als er schließlich ertrank, beschwerte er sich vor Gottes Thron, dass er ihn nicht gerettet hätte. Gott erwiderte: „Ich habe dir dreimal die Feuerwehr vorbeigeschickt, und du bist nicht eingestiegen.“ Wie so viele Witze hat auch dieser seine ernste Seite.

Noch dramatischer ist das Bild eines allmächtigen strafenden und rächenden Gottes, der seinen Gläubigen ein umso prächtigeres Paradies verspricht, je mehr Ungläubige sie zum wahren Glauben bekehren oder diese sogar vernichten. Was würde das mit uns machen?

Würden wir uns eines Tages mit einem „heiligen“ Sprengstoffgürtel irgendwo in einer der belebten „satanischen“ Konsumstraßen in die Luft sprengen? Religionskriege und religiös motivierter Terror sind wohl die schlimmsten Auswüchse eines verirrten Gottesbildes. Martin Luther, nicht der King, sondern der Reformator, meinte:

„Wie du an Gott glaubst, so hast du ihn. Glaubst du, dass er gütig und barmherzig ist, so wirst du ihn so haben.“

Diese Idee lässt sich genauso auf atheistische und generell areligiöse Ideologien übertragen. Wie wir an die Welt glauben, so werden wir sie haben. Der Glaube an den Gott Mammon, was macht der mit uns? Der Glaube an den unendlichen Fortschritt, was macht der mit uns?

Der Glaube an nichts

Und wenn wir an nichts mehr glauben, wenn wir jeglichen Sinn des Lebens und auch objektiv gültige Werte und Wahrheiten leugnen, was macht das mit uns? Werden wir dadurch zu wert(e)losen Egoisten, die nur noch ihren Trieben und Neigungen folgen?

Stürzt uns diese Sinnlosigkeit in Minderwertigkeit, Verzweiflung und Depression?

Aus diesem von Friedrich Nietzsche als Nihilismus bezeichneten Zustand, in dem sich der Mensch buchstäblich und verzweifelt im Nichts befindet, gibt es laut Nietzsche nur eine Rettung: Der Mensch muss sich auf sich selbst besinnen. Da er sich bis dato in einem Gott verloren hat, kann er nun wahrhaft Mensch werden. Dieser „Übermensch“ ist der von Gott losgekettete Mensch, der selbst zum Sinn dieser Erde wird. Ihm gelingt eine „Umwertung Werte; er bejaht das unvermeidliche Schicksal und wird so zum Bezwinger des Nichts.

Rekonstruktion des Apollon Tempel in Delphi

Über Sinn und „Übersinn“

Für Ludwig Wittgenstein heißt an Gott glauben, zu sehen, dass das Leben einen Sinn hat. Viktor Frankl betrachtet Religion als Wille zum letzten Sinn. Diesen „letzten Sinn“ oder auch „Sinn des Ganzen“ nennt Frankl „Über- Sinn“. In seinem Werk Das Leiden am sinnlosen Leben schreibt er: „Ebenso wenig wie das Tier imstande wäre, aus seiner Umwelt heraus den Menschen und dessen Welt zu verstehen, ebenso wenig ist es möglich, dass der Mensch Einblick hat in die Überwelt.“

Wir können nur den einzelnen Situationen unseres Alltags Sinn verleihen. Das Ganze hat jedoch einen Übersinn, an den wir nur glauben, ihn aber nicht beweisen können. Denn wir können niemals alles überblicken. Der heute in der Wissenschaft herrschende Reduktionismus, den der Mensch nur noch ein Bioroboter ist, ein reines Produkt seiner Erbmasse und seiner Umgebung, wertet den Menschen ab und nimmt ihm jede Freiheit.

Dies ist einer der Gründe für unser existenzielles Vakuum mit all seinen Folgen. Diese Leere führt heute bei vielen Menschen zu Aggression, zu Vergnügungs-, Alkohol- und Drogensucht, zu Burn-out und Depression.

Gott ist bei Frankl ein absoluter Wert, der vom Menschen bewusst oder unbewusst vorausgesetzt wird. Alles andere, materieller Besitz, selbst unser Ehepartner oder unsere Kinder werden in diesem höheren Lichte relativ. Wenn wir uns aber an Äußerlichkeiten klammern, wenn wir sie nicht mehr loslassen können, wenn wir beispielsweise nicht in der Lage sind, ein persönliches Urlaubswochenende für ein höheres Ziel wie einem Freund in einer schwierigen Situation beizustehen, opfern können, dann ist genau diese Vergötzung der Materie der Grund für Verzweiflung und Resignation.

Der, der loslassen und opfern kann, erkennt etwas Höheres an und kann sich dadurch mit dem relativen Wert irdischer Dinge abfinden. Wer aber durch die Verabsolutierung der Dinge sich an diese als das Höchste und Einzige klammert, der leidet an permanenter Angst, sie zu verlieren, und stürzt in tiefe Verzweiflung und Resignation, wenn er sie verloren hat. Der tief im Menschen verankerte Übersinn, von vielen als Gott bezeichnet, lässt uns Angst und Verzweiflung überwinden, weil das Wertvollste in unserem Leben nie verloren gehen kann.

Dass also Gott etwas mit uns macht, ist unleugbar.

Er macht Menschen zu Selbstmordattentätern, er stürzt Menschen in aussichtslose Sinnleere, aber er macht sie auch zu Heiligen und Helden, die schlimmstes Leid in Einsicht und innere Entwicklung verwandeln. Nur macht er es nicht durch einen willkürlichen Akt eines Allmächtigen, sondern durch das Bild, das wir uns von ihm machen.

Insofern macht Gott eigentlich alles.

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