148 Archive • Abenteuer Philosophie Magazin https://www.abenteuer-philosophie.com/tag/148/ Magazin für praktische Philosophie Mon, 17 Dec 2018 15:38:16 +0000 de-DE hourly 1 Star Wars: Die Welt braucht Jedi-Ritter https://www.abenteuer-philosophie.com/star-wars-die-welt-braucht-jedi-ritter/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=star-wars-die-welt-braucht-jedi-ritter https://www.abenteuer-philosophie.com/star-wars-die-welt-braucht-jedi-ritter/#respond Fri, 25 May 2018 12:24:51 +0000 https://www.abenteuer-philosophie.com/?p=1339 Magazin Abenteuer Philosophie

Star Wars: ein moderner Mythos, weit mehr als filmische Luftschlachten, Explosionen und Kampfchoreografien. Es geht um unsere dunkle Seite und wie sie stärker und stärker wird, wenn wir nichts gegen die kleinen Schwächen tun. Der Kampf der Jedi ist unser Kampf. Nehmen wir in auf uns?

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Star Wars: ein moderner Mythos, weit mehr als filmische Luftschlachten, Explosionen und Kampfchoreografien. Es geht um unsere dunkle Seite und wie sie stärker und stärker wird, wenn wir nichts gegen die kleinen Schwächen tun. Der Kampf der Jedi ist unser Kampf. Nehmen wir in auf uns?

Star Wars ist bereits für viele ein Begriff, obwohl sie vielleicht noch niemals selbst einen Film gesehen haben. Die Filmreihe hat bereits Kultstatus und ist fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Georg Lukas schuf einen Mythos, der die Geschichte der hellen und der dunklen Seite um das Ringen nach Macht erzählt. Mittlerweile erscheint die dritte Trilogie und einige Kritiker schreien auf, es wäre doch immer wieder das Gleiche. Doch ein Mythos trägt für jede Generation seine Wahrheit und auch unsere moderne Zeit – oder vielmehr die heutigen Menschen – brauchen Geschichten wie diese.

Die erste verfilmte Trilogie erschien um die siebziger Jahre und besteht aus den Episoden vier bis sechs. Die Galaxie wird vom bösen Imperator und seinem Gefolge beherrscht. Sie sind nicht nur böse, sie haben sich der dunklen Seite der Macht verschrieben. Die Macht ist eine alles durchdringende Kraft, die Leben gibt oder es auch zerstören kann. Sie besteht aus einer dunklen und einer hellen Seite. Doch in jener Zeit sind die Jedi, Vertreter der hellen Seite, längst geschlagen, getötet oder vertrieben worden. Es ist eine hoffnungslose Zeit. Inmitten dieser lebt Luke Skywalker, ein Niemand auf einem Wüstenplaneten. Seine Zieheltern werden eines Tages vom Imperium getötet und er will dadurch – anfangs angetrieben aus Wut – ein Jedi werden. Luke lernt den letzten Jedimeister Yoda kennen, der ihn von seiner Wut reinigt und zur absoluten Beherrschung seiner selbst und zu einem Ritter im Kampf für das Gute ausbildet. Er ist bereit, sich den letzten großen Prüfungen zu stellen und seinem Vater Darth Vader, einem Schüler des bösen Imperators, gegenüberzutreten.

Heute begreifen wir nur schwer, warum die Enthüllung des Darth Vader als Vater von Luke Skywalkers, solche Empörung und einen Schock im Publikum bewirkte. Dieses mechanische, skrupellose Wesen soll der Vater des lieb gewonnen, beseelten Protagonisten sein. Die Filme zeigen einen klaren Zusammenhang zur Situation der Gesellschaft der damaligen Zeit. Der Vietnamkrieg war schon zu Ende, doch protestierte die Jugend gegen die Verbrechen ihrer Eltern und wollte nichts mit ihnen zu tun haben. Sie will keinen Krieg, nein! und sie hält es auch nicht für möglich, jemals selbst solche Gräueltaten zu begehen. Das Bekenntnis „Ich bin dein Vater“ saß für eine ganze Generation tief in der Magengrube, musste sie doch zugeben, ihre eigenen Väter und Großväter waren für die vorigen Kriege verantwortlich und das Potenzial lag daher auch in ihnen verborgen. Zugleich liegt auch der Keim der Hoffnung in dieser neuen Generation, diesmal einiges anders zu machen und so manches im besseren zu hinterlassen, als ihre Eltern es taten.

Um die Jahrtausendwende erschienen die nächsten drei Teile, Episode eins bis drei, welche die Vorgeschichte über Darth Vader erzählt. Wie aus einem Jedi, Anikan Skywalker, dieser dunkle Lord wird und wie eine blühende Republik in ein totalitäres Regime, das Imperium, verfällt. Interessant ist, dass Anikan nicht aus einer Laune oder von Natur aus zur dunklen Seite wechselt. Er möchte das Beste für seine Familie und stürzt sich immer tiefer in ein Verderben, welches er nicht mehr umkehren kann. Mag es anfangs eine kleine Schwäche sein, eine egozentrische Liebe, immer das Beste zu wollen, wird diese im Kampf Gut gegen Böse immer größer und dominiert seinen ganzen Charakter. Das Fatale an der Wendung des vermeintlich guten Anikan zum bösen Darth Vader ist, dass er diese Wandlung selbst kaum bemerkt. Für ihn sind es immer nur kleine Schritte, wo er in guter Absicht, im Glauben zum Schutz seiner Familie zu handeln, immer grausamere Taten vollbringt. Die Verwandlung zu Darth Vader zeigt uns wie selbst liebevolle Menschen – und möglicherweise auch wir selbst –  grausam werden können. Eine kleine Schwäche, wie beispielsweise der Neid auf den Besitz des Anderen, wird mit dem Feuer einer guten Absicht, wie es der Schutz der eigenen Familie sein kann, zu Hass und letztendlich zu einem ganzen Krieg. Die Filme zeigen, dass auch wir zu seelenlosen, mechanischen Soldaten werden können, wenn wir einer kleinen Schwäche in uns immer wieder so viel Spielraum lassen, sodass sie wächst und uns irgendwann beherrscht.

Auf einem Wüstenplaneten wartet Rey, eine Heldin der neuesten Episoden, sehnsüchtig auf ihre Eltern, die sie zurückgelassen haben. Sie überlebt gerade mit Schrottteilen, die sie aus alten, in der Wüste liegenden Raumschiffen sammelt. Der Krieg der Sterne ist lange vorbei, die Jedi sind nur mehr ein alter Mythos, längst vergessene Hüter des Universums. Und die dunkle Seite? Eine neue Macht, die erste Ordnung erbaut ein totalitäres System in der ganzen Galaxie und dazu ist jedes Mittel recht. Mit einer monströsen Waffe ist es in der Lage, ganze Planeten zu zerstören und damit ist es vor jedem Widerstand gefeit. Die Hoffnung auf einen positiven Verlauf der Zukunft ist gering. Es gibt keine Helden mehr, manche versuchen im Schutz von Randzonen sich vor dieser Ordnung zu verstecken oder sie dienen dieser, um weiter ihr Leben genießen zu können. Doch es gibt Hoffnung, es gibt einen Widerstand der im Verborgenen Pläne gegen dieses riesige Monster der Zerstörung schmiedet. Und dann gibt es noch die Jedi, Helden die sich einst für den Schutz der Gemeinschaft eingesetzt hatten und unglaubliche Kräfte wecken konnten. Selbst ganz kleine Wesen, wie der einstige Yoda, konnte tonnenschwere Objekte werfen und wurde mehr als 500 Jahre alt. Und dies alles mithilfe der Macht, die alles durchströmende Urkraft, welche die Lebewesen verbindet.

Dies alles kennen wir auch von Luke Skywalker in den alten Filmen. Das Imperium war am Vormarsch und es gab nur eine Handvoll Rebellen, die dem Machtdrang Widerstand leisteten. Lukes Zieheltern kamen ums Leben, Wut förderte seinen Kampf gegen das Böse und er war schnell entschlossen, sich den Rebellen anzuschließen. Rey und Finn, der zweite Held der neuen Trilogie, hingegen flüchten erstmals und wollen nichts mit dieser aussichtslosen Schlacht zu tun haben. Sie zweifeln an sich und haben große Angst. Finn weiß, wie mächtig die neue Ordnung ist, er fürchtet die Größe seines Gegners und sieht keine Chance auf einen Sieg. Es ist sinnlos zu kämpfen, also am besten sich verstecken und auf ein möglichst langes, schadloses Leben an einem abgelegenen Ort hoffen. Rey ist in einer gewissen Weise naiver, sie weiß wenig über ihren Gegner und sie glaubt an die Kraft der Macht und an die Jedi. Doch fürchtet sie ihre Eltern zu verpassen. Ist das eine Ausrede, sich dem Kampf nicht stellen zu müssen? Sich einer trügerischen Hoffnung hinzugeben und deswegen nicht seinem Schicksal zu folgen, ist ebenfalls Flucht. Und so kennzeichnet die neuen Protagonisten der Star Wars Episoden am Anfang großer Zweifel an ihren Fähigkeiten und ihrer Bestimmung im Kampf für das Gute aus. Ist das vielleicht eine Konzession an den heutigen Menschen, der auch an sich und seinem Schicksal (ver)zweifelt?

Zweifel plagen auch den Bösewicht Kylo Ren. Misslungenes kaschiert er mit Wutausbrüchen. Er möchte der dunklen Seite genügen, hat sich eine eiserne Disziplin auferlegt und trägt eine stählerne Maske wie einst Darth Vader. Aber nicht alles und jeder tanzt nach seinem Plan, und so lässt er öfters seinem ungezügelten Charakter freien Lauf. Er ist unsicher, ob er alles schafft, was von ihm verlangt wird, möchte sich beweisen und schöpft daraus Kraft, immer skrupelloser zu werden. Doch er erkennt auch zeitweise das Richtige und zweifelt an seiner Entscheidung für die dunkle Seite der Macht. Erst gegen Ende des Filmes sind die Fronten geklärt. Eine Schlucht trennt Gut von Böse. Der graue Schleier lichtet sich und jeder entscheidet sich.

Dies widerspiegelt die Zeit, in der die Filme gedreht wurden sehr deutlich. In den 1970ern war man klar entschlossen. Entweder man schloss sich einer politischen Gruppierung an, vertrat eine Umweltorganisation oder kämpfte in einer studentischen Bewegung um Gerechtigkeit. Man wollte gehört werden, für etwas einstehen, mit einem idealistischen Geist beflügelt, vielleicht auch öfters durch Wut angetrieben, aber rein im Herzen und voller Tatendrang. Wie sieht es heute aus? Welche grauen Bereiche kennen wir im Leben? Wir wollen eine ökologisch nachhaltige Welt für die Zukunft gestalten, greifen aber auch gerne zu Luxusgütern und wollen selten verzichten. Geiz ist geil, und so greifen wir zu fragwürdigen Angeboten. Wir wollen Freunde, aber bitte nicht zu nahekommen lassen, sonst könnten sie ja hinter einer Maske auf Dinge stoßen, die wir nicht zeigen wollen. Wir lassen uns emotional schnell begeistern, aber vergessen auch wieder nach kurzer Zeit unser Bestreben. Wir liken vieles, aber wofür treten wir wirklich ein? Wofür gehen wir auf die Straße und zeigen uns? Jeder Idealismus oder Drang in eine andere, neue Richtung zu gehen, wird mit rationalen Argumenten erstickt. Es mag schon auch Idealisten geben, aber die Zeit der radikalen, „Alles oder Nichts“- Einstellungen ist vorbei. Um die grauen Bereiche besser zu erkennen, hilft die Frage, was denn die dunkle Seite ist? Sie beschreibt eine scheinbare Abkürzung, einen schnelleren Weg zum Ziel ohne den  harten, langen Weg beschreiten zu müssen. Anikan Skywalker will das Beste für seine Familie und verliert das große Ideal der Jedi aus den Augen, er will schnell Macht über sich und sein Schicksal und alles andere ist nicht mehr wichtig. Genauso Kylo Ren, der schnell viel Macht in den Händen hält, weil er skrupellos nach dem Willen seines bösen Meisters handelt und so seinen Ehrgeiz auf kurzem Wege befriedigt.  Haben wir heute in unserer Gesellschaft eine besondere Affinität zur dunklen Seite der Macht?

Jede Zeit hat neben ihren Schattenseiten auch ihre Chancen, und es ist faszinierend, wie Star Wars hier unsere Epoche wiederspiegelt und uns zum Nachdenken anregt.

Die Kunst ist schon immer ein guter Spiegel der Gesellschaft gewesen und Filme wie „Star Wars“ können uns sehr gut zeigen, mit welchen Themen wir uns herumschlagen. Lassen wir uns entführen in eine andere Welt und achten wir auf die Botschaften, die zwischen den Zeilen auf uns warten.

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Philosophisches Lexikon
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Der Mann, der 2-mal verbrannt wurde
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Genf, den 27. Oktober 1553. Der spanische Arzt, Philosoph und beschlagene Theologe Miguel Servet wird aus seinem Kerker im Rathaus geholt. Das öffentlich verlesene Urteil lautet: Tod auf dem Scheiterhaufen. Sein Verbrechen: Häresie. Der katholischen Inquisition in Frankreich konnte er entkommen, im reformierten Genf des Johannes Calvin aber war die Falle zugeschnappt.

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Genf, den 27. Oktober 1553. Der spanische Arzt, Philosoph und beschlagene Theologe Miguel Servet wird aus seinem Kerker im Rathaus geholt. Das öffentlich verlesene Urteil lautet: Tod auf dem Scheiterhaufen. Sein Verbrechen: Häresie. Der katholischen Inquisition in Frankreich konnte er entkommen, im reformierten Genf des Johannes Calvin aber war die Falle zugeschnappt. Der Zug setzt sich in Bewegung, lässt den mächtigen Bau der gotischen Kathedrale links liegen, wo Calvin gepredigt hatte und wo noch sein Stuhl zu sehen ist, vorbei am Place Bourg de Four mit den vielen Kneipen, in denen heute „Calvin Bier“ ausgeschenkt wird, nach dem Stadtteil Champel, der damals außerhalb der Stadt lag und wo sich jetzt der große Krankenhauskomplex Genfs befindet. Heute steht dort, wo die Rue Michel-Servet auf die Avenue de Beau-Séjour trifft, ein Gedenkstein und seit 2011 auch eine Skulptur von Miguel Servet. An jenem 27. Oktober 1553 aber stand hier der Scheiterhaufen. Man bindet Servet ein Exemplar seines Buches „Christianismi Restitutio“ an den Leib, setzt ihm einen mit Schwefel bestäubten Strohkranz auf den Kopf und zündet das grüne Holz an. Eine halbe Stunde dauert sein Todeskampf, er schreit, schreit, schreit, immer wieder auch „Jesus, Sohn des ewigen Gottes“. Hätte er „Jesus, ewiger Sohn Gottes“ geschrien, wäre es ein Widerruf gewesen. Ob es ihm genützt hätte, ist fraglich.

Im Schweizer Stadtstaat Genf gab es zwar eine zivile Regierung, die für die Gerichtsbarkeit zuständig war, aber Johannes Calvin war der starke Mann, der die reformierten Pastoren geschlossen hinter sich hatte. Gegen seinen Willen kam niemand an. Wenn Calvin gewollt hätte …, aber er wollte nicht. Schon früher hatte er an seinen engsten Vertrauten Farel geschrieben, dass Servet die Stadt nicht lebend verlassen würde, sollte er in Genf auftauchen.  Warum war Servet überhaupt nach Genf gekommen? Das ist bis heute unklar, denn die beiden kannten sich, zwar nicht persönlich, aber sie hatten brieflich über ihre theologischen Meinungsverschiedenheiten diskutiert und wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Beide hatten in Paris studiert, der Nordfranzose Calvin Theologie, der Spanier unter dem Pseudonym Michel de Villeneuve Medizin, Astrologie und Mathematik. Beide mussten schon damals vor der Inquisition fliehen. Calvin kam nach einigen Umwegen über Straßburg und Basel nach Genf, wo er seine Version eines reformierten Christentums entwickelte; Servet wurde vorerst unter seinem Decknamen Leibarzt des Erzbischofs von Lyon und ein geachteter Bürger von Vienne, wo der Erzbischof residierte. Hier brachte er heimlich das Buch heraus, das mit ihm auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Obwohl anonym und ohne Angabe des Druckortes erschienen, wird der Verfasser schnell aufgedeckt, wobei Calvin seine lange Hand im Spiel hatte, denn er kannte die Position Servets. Servet wird vor die Inquisition gezerrt, kann fliehen – und taucht ein paar Monate später in Genf wieder auf.

Der Taliban von Genf

Das reformierte Christentum Calvinscher Prägung war Staatsreligion in Genf. Wer anders dachte, musste die Stadt verlassen. So auch Sebastian Castellio, einst ein Mitstreiter Calvins. Er wanderte nach Basel aus, wo wir ihn später noch treffen werden. Andererseits war die Stadt voller Glaubensflüchtlinge, denn die Protestanten wurden vor allem in Frankreich verfolgt und getötet, aber auch in Großbritannien, das zu dieser Zeit gerade dem Katholizismus anhing. Der Schotte John Knox war mit einem ersten Versuch, die Reformation durchzusetzen, gescheitert und hielt sich auch in Genf auf. Später wurde er der Gründer der „Church of Scotland“. Die Stadt Genf galt also den einen als das „neue Jerusalem“; für viele der alteingesessenen Genfer Bürger war sie jedoch zu einem Joch geworden, unter das man sich zähneknirschend beugen musste. Jede Art von Luxus oder Prachtentfaltung war verpönt; weltliche Feiern wie Hochzeiten oder Geburtstage durften nur in aller Stille begangen werden. Tanz und Gesang, gar Kartenspiel oder Sex außerhalb der Ehe wurden streng geahndet. Als Taufnamen waren nur biblische Namen zugelassen. Künstlerische Betätigung? Wer käme unter diesen Umständen auch nur auf den Gedanken? Am schlimmsten war aber wohl die Glaubensüberwachung. Jede geringfügige Abweichung von der theologischen Linie Calvins wurde als Angriff auf die Ehre Gottes gewertet und entsprechend bestraft. Ganz rigoros ging man mit „Hexen“ um, die auch aktiv aufgespürt wurden und unweigerlich auf dem Scheiterhaufen endeten. Ein Gottesstaat? Das „Handelsblatt“ jedenfalls titelte am 10.07.2009: „Johannes Calvin: Der Taliban von Genf“. Selbstverständlich galt bei allen Gottesdiensten Anwesenheitspflicht. Auch deshalb ging Servet am Tag nach seiner Ankunft in die Kirche. Dort erkannten ihn einige französische Flüchtlinge. Kurz darauf wurde er gefangen genommen. Es war der 13. August 1553.

Servet wurde 1511 in dem kleinen Dorf Villanueva in Aragón geboren, ging in Saragossa zur Schule, und war dann einige Jahre Zögling und Mitarbeiter des Mönchs Juan de Quintana. Mit ihm reiste er u. a. zur Kaiserkrönung Karls V. nach Bologna, denn Quintana war der Beichtvater Karls. Servet bewegte sich also in gehobenen Klerikerkreisen und war an theologische Spitzfindigkeiten gewöhnt. Wenn Servet heute von Freidenkern vereinnahmt wird, so muss man dem entgegenhalten, dass er ein zutiefst frommer Mann war, der die Bibel kannte wie wenige. Seiner Meinung nach gab es für die Dreifaltigkeit, also die drei „Personen“ in dem einen Gott, keine biblische Grundlage. Heutzutage ist das Interesse an der Trinitätslehre, die 325 auf dem ersten Konzil von Nicäa beschlossen wurde, eher gering, aber daran zu kratzen kam lange einem Angriff auf das Christentum gleich – darin waren sich Katholiken und Protestanten einig. Dass sich Servet gerade mit dieser Frage so intensiv beschäftigte, hat sicher mit seiner Herkunft zu tun. Er hatte in seiner Heimat Spanien erlebt, dass Juden und Mauren dieses Dogma vehement ablehnten, das damit zu einem Hindernis für deren Bekehrung wurde. Jedenfalls war ihm diese Frage so wichtig, dass er sein Leben dafür gab.

Der fromme Häretiker

Der Häretiker war also tot und das Ärgernis aus der Welt geschafft … Mitnichten. Die Aufregung unter den Menschen war groß, aber das Feuer schwelte eher unter der Decke. Nur eine Stimme erhob sich wie eine Stichflamme: „Einen Menschen töten heißt nicht eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten!“ Diese Stimme kam von Sebastian Castellio aus Basel, der nach seinem Rausschmiss aus Genf zuerst als schlecht bezahlter Korrektor in einer Druckerei arbeitete, bevor er Dozent für Griechisch an der Universität wurde. Seine Liebe galt der Übersetzertätigkeit, und es gab viele, die bedauerten, dass sich Castellio nicht auf diese seine „Kernkompetenz“ beschränkte, sondern sich mit Calvin angelegt hatte. 1554 brachte er ein Buch heraus, das ein Meilenstein in der Geschichte der Toleranz und der Religionsfreiheit werden sollte: „De haereticis, an sint persequendi“ also „Über Häretiker und ob man sie verfolgen darf“. Castellio sagt laut und deutlich Nein. Dieser schmale Band besteht aus Bibelstellen, Aussagen der Kirchenväter über Erasmus bis hin zu –  man höre und staune – Luther und Calvin, die sich in jungen Jahren, als sie selbst noch verfolgt wurden, dagegen aussprachen. Was folgte, war ein Kampf der Meinungen, der mittels Druckschriften zwischen Genf und Basel ausgetragen wurde. Castellio war zwar ein Humanist, argumentierte hier aber ausschließlich über die Bibel. Er gibt, kurz gesagt, der Nachfolge Christi den Vorzug vor der doktrinären Festlegung Calvins. Wie brenzlig die Lage selbst in Basel für Castellio wurde, zeigt der „Schutzbrief“, den der Reformator Melanchthon an Castellio schrieb. Er hatte seinerzeit die Ermordung Servets noch gutgeheißen; als sich aber die Schlinge um den Hals Castellios zuzuziehen begann, fühlte sich Melanchthon gezwungen, sein Ansehen für Castellio in die Waagschale zu werfen. Bevor es allerdings so weit kam, verstarb der 1515 geborene Savoyer Bauernsohn im Jahre 1563.

Der mutige Humanist

Was ist ein Häretiker? Dieser Frage geht Castellio im Vorwort zu seinem Buch nach. Und antwortet: „haeresis“ ist griechisch und bedeutet „Meinung“. Nun sind nicht nur Juden und „Türken“ (wie man damals alle Muslime nannte) verschiedener Meinung, nein, auch die Christen sind sich nicht einig und bekämpfen einander „viel grausamer als die Türken die Christen verfolgen“. Das war starker Tobak, damals wie heute. Aber Castellio geht noch weiter. Auch Jesus sei ja als Ketzer hingerichtet worden. Wer seine Mitmenschen also als Ketzer verfolgt und tötet, begeht die schlimmste aller Gotteslästerungen.

Bleibt immer noch die Frage: Wer ist ein Häretiker? Castellio sagt kurz und bündig: Einer der anders denkt als wir. Und damit wird eine geschichtliche Frage hochaktuell. Zugegeben, der Scheiterhaufen ist aus der Mode gekommen, aber es gibt noch genug andere „Hinrichtungsmöglichkeiten“. Wir müssen auch von der damaligen Problematik abstrahieren, die viele heute gar nicht mehr interessiert. Wenn ein Problem nicht mehr als solches wahrgenommen wird, ist es leicht, tolerant zu sein, aber wie steht es mit einer sozialen, ethischen, religiösen oder persönlichen Frage, die uns unter den Nägeln brennt? Sind wir auch dann bereit, dem „Ketzer“ seine andere Meinung zuzugestehen und auf eine Verfolgung zu verzichten?

Aus der geschichtlichen Auseinandersetzung ging Johannes Calvin ganz klar als Sieger hervor. Nicht nur starb er als angesehener und geachteter Reformator, der als einziger der drei hier vorgestellten historischen Persönlichkeiten ein Grab hat, sondern er wurde auch zum „geistigen Gründervater Amerikas“ (so der Historiker Leopold von Ranke), wohin viele derer, denen die Reformation in Europa nicht weit genug ging, auswanderten. Die „Protestantismusthese“ des Soziologen Max Weber beruht auf der Arbeitsethik Calvins, und wenn wir beim Faulenzen ein schlechtes Gewissen haben, outen wir uns als Kinder Calvins. Der fromme Miguel Servet ist Medizinern bekannt, weil er den Lungenkreislauf, der das Blut vom Herz zur Lunge und wieder zurückbringt, entdeckt hat. Auch er ist zu einer Art Gründervater geworden, nämlich dem der christlichen Unitarier. Castellio ist der am wenigsten bekannte von den Dreien. Als Universitätslehrer war Castellio im Kreuzgang des Basler Münsters bestattet worden, aber aus unerfindlichen Gründen wurde seine Grabplatte entfernt. Werner Kaegi hielt 1953 an der Basler Universität eine Rede, die Castellio gewidmet war. Er sagte darin: „Im 17. und 18. Jh. hat sich der Name Castellios vom Häretikerproblem gelöst und mit der Freiheit verknüpft. Eine Frucht davon ist die Einfügung der Toleranz in den Katalog der Menschenrechte.“  Stefan Zweig hat ihm ein fulminantes Buch gewidmet. In einem Brief an Joseph Roth schreibt Zweig am 10.September 1937: „Castellio, das ist das Bild eines Mannes, der ich sein möchte.“

 

Literaturhinweis

Zu Servet:           Uwe Birnstein, Toleranz und Scheiterhaufen. Göttingen 2013

Zu Castellio:       Werner Kaegi, Castellio und die Anfänge der Toleranz. Basel 1953

Stefan Zweig, Castellio gegen Calvin. Ein Gewissen gegen die Gewalt. Neuausgabe Berlin 2016

Zu Calvin:            Uwe Birnstein, Der Reformator. Wie J. Calvin Zucht und Freiheit lehrte. Berlin 2009

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